Die alljährliche russische Militärparade zur Feier des Sieges über den deutschen Faschismus wurde, mit Covid-19 begründet, in diesem Jahr erst am 24. Juni abgehalten. Seit Jahren ist diese Tradition ein Anlass für deutsche Politiker und Journalisten, die Massen gegen den russischen Konkurrenzimperialismus einzuschwören und dafür auch historische Tatsachen zu verdrehen.

Besonders frech tönt es in diesem Jahr aus dem öffentlich-rechtlichen Propagandaministerium. Golineh Atai verunglimpft die berechtige Freude über das Ende der Nazi Herrschaft als „Siegeskult“. Dem „politischen System Russlands“ wirft sie vor, „die Erinnerung für seine Zwecke zu nutzen.“ Dass Staaten grundsätzlich ein instrumentelles Verhältnis zur Geschichte haben und dass es einen Unterschied macht, welche Zwecke mit welchen historischen Themen verknüpft werden, verschweigt sie. Stattdessen behauptet sie, dass hier „Weltkriegsmythologie“ herausgebildet worden sei, derer sich die Ukrainer zunehmend entzögen. Laut einer Umfrage eines Kiewer Instituts sprächen sich 61 Prozent der Befragten gegen eine Beteiligung ukrainischer Politiker an den Feierlichkeiten in Russland aus.

Ihre Freude darüber rührt aber nicht daher, dass sie irgendwelche vermeintlich falschen Geschichtsbilder korrigieren will. Es ist ein Zeichen dafür, dass es dem deutschen und us-amerikanischen Imperialismus gelungen ist, die Ukraine dem russischen Einfluss abzuringen. Dafür waren in der Vergangenheit alle Mittel Recht, insbesondere die Unterstützung ukrainischer Faschistenbanden und die Befeuerung eines ukrainischen Chauvinismus gegen die russischen Minderheiten im Land. In diesem Sinne ist es für diese staatstragenden Journale eine willkommene Entwicklung, wenn in der Ukraine statt antifaschistischer Traditionen die Erinnerung an den ukrainischen Faschistenführer Stepan Bandera hochgehalten wird. Und die Tagesschau setzt noch einen drauf, in dem sie weiter aus besagter Umfrage zitiert: „56 Prozent der Befragten sehen sowohl die Sowjetunion als auch Nazi-Deutschland verantwortlich für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.“ Ohne weiteren Kontext wird die Schuld am 2. Weltkrieg so zu einer reinen Glaubensfrage erklärt – der Russe war Schuld. So werden die Verbrechen der Nazis relativiert, um das Volk gegen den Russland aufzuhetzen und die eigene imperialistische Plünderung der Ukraine unter den Teppich zu kehren.

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Wollen auch keinen "Siegeskult": Ukrainische Faschisten

Im weiteren Verlauf des Artikels wird ein kürzlich erschienener Aufsatz Wladimir Putins besprochen, in dem er die Deutung des russischen Imperialismus zum Thema Sowjetunion und 2. Weltkrieg darlegt. Um es kurz zu halten: Der Text ist in seinen historischen Ausführungen akkurater, als Vergleichbares von vielen westlichen Historikern, insbesondere die Darstellung des Münchner Abkommens und die sowjetischen Bemühungen um ein Bündnis gegen das Deutsche Reich. Aber natürlich bleibt es ein Text aus der Feder Putins (bzw. seiner Ghostwriter) und es werden Schlüsse gezogen, die die Verbrechen des russischen Staats rechtfertigen und zum Patriotismus aufrufen sollen. So werden zum Beispiel die militärischen Aggressionen, mit denen der Nordkaukasus unterdrückt wird, mit dem Großen Vaterländischen Krieg gleichgesetzt. Entsprechend widerlich ist die Tatsache, dass die „sozialistische“ Junge Welt den Artikel in gekürzter Form aber unkommentiert auf einer Doppelseite abgedruckt hat. Damit macht sie sich einmal mehr zur Handpuppe eines antikommunistischen Unterdrückers.