Im Folgenden teilen wir einen Artikel von österreichischen Genossen, den wir unseren Lesern wärmstens empfehlen.
Great Reset: Imperialistische Strategie oder Verschwörung?
„Der Große Umbruch“ ist zuerst kein Mythos, sondern ein von Klaus Schwab und Thierry Malleret verfasstes und 2020 vom Weltwirtschaftsforum (WEF) herausgegebenes Buch. Schwab ist seines Zeichens niemand geringerer als Gründer und Ehrenvorsitzender des Weltwirtschaftsforums. Das ist man nicht nebenher, sein Wort hat also in bestimmten Kreisen Gewicht. Nachdem das Buch unter dem Titel „COVID-19: Der grosse Umbruch“ bzw. „COVID-19: The Great Reset“ hochoffiziell vom WEF herausgegeben wurde, kann selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass Schwab in seinem Buch nicht einfach nur persönliche Gedanken und Überlegungen festhält, sondern es sich um einen ernsthaften Konsens innerhalb des Weltwirtschaftsforums handelt, einen Konsens der durch die stärksten und am besten aufgestellten, hegemonialen Fraktionen in den Reihen bestimmter Repräsentanten des Kapitals hergestellt wurde. Natürlich ist es kein „Geheimplan“ dem alle Politiker der Welt folgen müssten. Dann wäre es eine Verschwörung. Doch auch die Kapitalisten sind untereinander voller Widersprüche. Es handelt sich jedoch um ein politisches Dokument, in dem Klaus Schwab als Vertreter bestimmter starker Fraktionen der herrschenden Klasse seinen „Kollegen“ vorschlägt, was zu tun ist um aus der gegenwärtigen Krise heil herauszukommen. Gleichzeitig folgt er darin sozusagen dem – zugegebenermaßen ziemlich abgelutschten – Motto die „Krise als Chance zu nutzen“ und formuliert daher einen Weg, von dem er davon ausgeht, dass vermittels diesem das Kapital auch aus der gegenwärtigen Krise profitabler, oder zumindest stabiler hervorgehen kann. Politische Wege und ökonomische Möglichkeiten aufzuzeigen und vorzugeben hat nichts mit einer „Verschwörungstheorie“ zu tun, sondern ist schlussendlicher Zweck solcher Einrichtungen wie dem Weltwirtschaftsforum, denn Konzern- und Regierungsvertreter treffen sich dort ja nicht zum Teetrinken oder Kartenspielen. Das WEF unterscheidet sich in vieler Hinsicht von Einrichtungen wie dem Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie keine philanthropischen Geselligkeitsvereine sind, sondern politischer Ausdruck des Imperialismus, der ökonomischen Monopole, Kartelle und Trusts. Sie repräsentieren auf unterschiedliche Art und Weise, in unterschiedlicher Wirkmächtigkeit und Funktion die Kompromisse und die Konflikte der Imperialisten untereinander, sowie das Verhältnis der Imperialisten zu ausgebeuteten Ländern und unterdrückten Völkern. Entsteht nun in solchen Institutionen ein politisch-ökonomisches Programm, dann sollte man das nicht als „Verschwörungstheorie“ abtun, sondern ernst nehmen. Denn immerhin sind es die Imperialisten, die derzeit (noch) die Herrschenden innerhalb des bestehenden Weltsystems sind. Genau daher rühren aber auch die mehr oder weniger verbreiteten verschwörungstheoretischen Verklärungen und Mythologisierungen des „Great Reset“: vom Gefühl der eigenen Ohnmacht gegenüber „denen da oben“, vom Unvertrauen in den Klassenkampf und in die Kraft der Massen im Kampf gegen den Imperialismus. Damit sich diese Kraft aber entwickelt und der Klassenkampf vorankommt, dafür ist es wichtig, dass wir uns ansehen, worum es im „Great Reset“ wirklich geht, was Klaus Schwab und mit ihm das Weltwirtschaftsforum vorschlagen, und was das für die Arbeiter und Völker der Welt bedeutet. Wir wollen hiermit einen kurzen Überblick zum Thema geben.
Die Pandemie als „Impulsgeber“: Chancen ergreifen wo sie sich bieten.
Vor 20 Jahren, inmitten der weltweiten Massenproteste gegen die Globalisierung, hätten es nur wenige Linke für möglich gehalten, wenn man ihnen gesagt hätte, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft das Ende des sogenannten „neoliberalen Modells“ erleben werden, wenngleich sie auch massiv gegen dieses ankämpften. Die heutige Linke erlebt dieses Ende zwar, doch halten es manche von ihr für eine „Verschwörungstheorie“. Was für eine paradoxe Situation, die durch den ideologischen Einfluss des Reformismus entstehen konnte.
Im Weltwirtschaftsform versteht man hingegen sehr gut, dass es mit der derzeitigen Krise des imperialistischen Weltsystems, die im Grunde seit 2007/8 andauert, 2018 erneut aufflammte und mit der Pandemie massiv an Dynamik gewann, ans berühmte „Eingemachte“ gehen kann. Nicht umsonst betont Schwabs „Great Reset“ an verschiedenen Stellen des Buches das „Ende des bisherigen neoliberalen Modells“. Diese dramatische Einschätzung wurde auch von der österreichischen Regierung zum bestimmenden Rahmen ihrer Politik gemacht: „Wir leben in einer neuen Zeitrechnung“ meinte beispielsweise der ehemalige Finanzminister Blümel im März 2020 und der grüne Vizekanzler Kogler sekundierte: „Wir haben es zweifelsohne mit der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun.“. Die Kapitalisten „verwalten“ die gegenwärtige Krise nicht einfach, sondern versuchen aktiv sie zu nutzen und bestimmte Programme gegen die Arbeiterklasse und den Großteil der Bevölkerung durchzusetzen. Das ist keine „Verschwörung“, sondern gar nicht ungewöhnlich, handeln sie damit doch nur so, wie sie es in ihrem Klasseninteresse müssen. Besonders soll die „Vierte Industrielle Revolution“ vorangetrieben werden, das heißt die möglichst vollständige Digitalisierung und Robotisierung nicht nur der industriellen Produktion und Zirkulation. Stützen wir uns darauf was Klaus Schwab im Namen des Weltwirtschaftsforums schreibt, dann ist vollkommen klar, dass der Rahmen der Pandemie genutzt wird, um bis dato nicht durchsetzbare Programme im Interesse des Kapitals endlich durchzuboxen: „Mit der Pandemie hat die ‚digitale Transformation‘, von der so viele Analysten seit Jahren sprechen (…) ihren Impulsgeber gefunden.“ (2)
Staatliche Regulierungen, die bisher noch in manchen Branchen ein zu großes Hemmnis waren, fielen unter dem Vorwand der Pandemie weg, nicht zuletzt gerade auch in medizinischen Fragen: „Während der Lockdowns kam es plötzlich zu einer quasi-globalen Lockerung von Vorschriften, die zuvor den Fortschritt in Bereichen behindert hatten, in denen die Technologie bereits seit Jahren verfügbar war. (…) Was gerade noch undenkbar war, wurde plötzlich (!!) möglich, und wir können sicher sein, dass weder die Patienten, die gemerkt haben, wie einfach und bequem Telemedizin (!!) ist, noch die Regulierungsbehörden, die sie möglich gemacht haben, möchten, dass dies wieder rückgängig gemacht wird. Die neuen Rechtsvorschriften werden in Kraft bleiben.“ (3)
Die total erfasste Arbeitskraft.
Doch es geht nicht nur um die digitale Transformation in der Industrie und die Absenkung des Niveaus öffentlicher Leistungen, wie der Gesundheitsversorgung durch Telemedizin, sondern den Arbeiterinnen und Arbeitern wird unter dem Vorwand der Gesundheitspolitik auch eine massive Überwachung ihrer Arbeit in Aussicht gestellt, die schlussendlich die Produktivität erhöhen soll: „Sobald die Coronakrise abklingt und die Menschen wieder anfangen, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, werden die Unternehmen zu einer stärkeren Überwachung übergehen. Wohl oder übel werden die Unternehmen beobachten und manchmal auch aufzeichnen, was ihre Belegschaft tut. Der Trend könnte viele verschiedene Formen annehmen, von der Messung der Körpertemperatur durch Wärmebildkameras bis hin zur Überwachung per App, ob die Mitarbeiter das Social Distancing einhalten. Dies wird zwangsläufig tiefgreifende regulatorische und datenschutzrechtliche Fragen aufwerfen, die viele Unternehmen mit dem Argument ablehnen werden, dass sie, wenn sie die digitale Überwachung nicht verstärken, nicht in der Lage sein werden, wieder aufzumachen und in Betrieb zu gehen, ohne neue Infektionen zu riskieren (…) Sie werden Gesundheit und Sicherheit als Rechtfertigung für eine verstärkte Überwachung anführen. (…) die Überwachungsinstrumente … werden wahrscheinlich bestehen bleiben, einfach, weil die Arbeitgeber keinen Anreiz haben, ein einmal installiertes Überwachungssystem zu entfernen, insbesondere, wenn einer der indirekten Vorteile der Überwachung darin besteht, die Produktivität der Arbeitnehmer zu überprüfen.“ (4) Es ist vollkommen klar, dass unter dem Vorwand von Gesundheit und Sicherheit zu einer neuen „Arbeitsnormalität“ gefunden werden soll. Interessant ist dabei weiter die potenzielle Funktion von Kampagnen wie „ZeroCovid“ (bzw. „Null Covid“-Forderungen), die sich ja meist selbst das Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Fahnen schreiben, hier aber ganz problemlos als Argumentationslinie und Legitimation für verstärkte Überwachung der Arbeitskräfte genutzt werden können.
Doch damit ist die Sache nicht erledigt, die Gesundheitsüberwachung ist nämlich nur dann auf Höhe der Zeit wenn sie auch noch „live“ erfolgt, schließlich soll in eine neue Zeit aufgebrochen werden: „Wie die letzten Seiten zweifelsfrei gezeigt haben, könnte die Pandemie eine Ära der aktiven Gesundheitsüberwachung einleiten. Dies würde ermöglicht durch Smartphones mit Ortungsfunktion, Gesichtskameras und andere Technologien, die Infektionsquellen identifizieren und die Ausbreitung einer Krankheit quasi in Echtzeit verfolgen.“ (5) Ob wohl die sogenannten „Gurgeltests“, bei denen man in die Kamera schauen muss ohne zu wissen was mit dem Bildmaterial passiert, auch schon unter die Schwab‘sche „aktive Gesundheitsüberwachung“ fallen?
Eine neue Rolle des bürgerlichen Staates und die Gefahr der Revolution.
Der Wegfall von Reulierungen, die Schwab hier bejubelt, die totale Auslieferung von Gesundheitsdaten an die Unternehmen und die Live-Überwachung von Arbeitskräften… bis hier liest sich der Vorschlag des Weltwirtschaftsforums noch wie ein Traum aller Neoliberalen. Damit ist es aber noch lange nicht getan, denn ebenso wie sozialdemokratische Parteichefs den bürgerlichen Staaten eine „neue Rolle“ geben möchten, will es auch Klaus Schwab als Repräsentant des WEF. Es geht dabei nicht um herkömmliche staatliche Wirtschaftsstützungen, sondern darum, dass diese Wirtschaftsgelder einen dermaßen großen Umfang haben und nationale Wirtschaften so weit durchdringen sollen, dass sie neue politische Realitäten schaffen. Zuvor politisch unmöglich, soll damit beispielsweise der in den letzten Jahren massiv ins Straucheln geratene EU-Integrationsprozess stabilisieren werden: „Und wir haben jetzt ehrgeizige Maßnahmen gesehen, die vor der Pandemie unvorstellbar gewesen wären und die die EU möglicherweise zu einer stärkeren Integration treiben, insbesondere der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene 750 Mrd. Euro schwere Wiederaufbaufonds.“ (6) Die neue Rolle des Staates bestimmt daher für Schwab auch die wesentlichsten Punkte der „Politik nach Corona“: „Im Folgenden werden drei wichtige Formen von Auswirkungen skizziert, die in den ersten Monaten der Post-Pandemie-Ära verstärkt das Bild bestimmen werden: an Bedingungen geknüpfte Rettungsaktionen, öffentliche Auftragsvergabe und Arbeitsmarktregelungen.“ (7) Was Schwab hier zusammenfasst, ist im Grunde die spezifische Neuauflage eines keynesianistisch inspirierten Programms (auch Karl Polanyi darf ein bisschen mitspielen), also eine sehr sozialdemokratische Ausrichtung. Es brachte nicht wenige Aktivisten sozialer Bewegungen in große Verwirrung, als sie mit ansehen konnten, wie eine ÖVP-geführte Regierung plötzlich zu keynesianischen Maßnahmen findet. Natürlich waren die verschiedenen „Krisenmaßnahmen“ unter den Kapitalisten beispielsweise auf EU-Ebene miteinander abgestimmt, daraus hat ja auch die Bundesregierung nie einen Hehl gemacht. Dass es dabei auch eine Orientierung am „Grat Reset“ des Weltwirtschaftsorums gab, wurde teilweise sogar in der Wortwahl deutlich: So ist das vom damaligen Kanzler Kurz hinausposaunte „Unser Zugang ist: Koste es was es wolle.“ (8) tatsächlich sogar ein indirektes Zitat aus dem „Great Reset“, konkret einer Stelle an der Schwab weiter für eine „unkonventionelle Finanz- und Geldpolitik“ eintritt um dann fortzufahren: „Maßnahmen, die vor der Pandemie undenkbar erschienen, könnten durchaus weltweit zur Norm werden, da die Regierungen zu verhindern versuchen, dass die wirtschaftliche Rezession in eine katastrophale Depression umschlägt.“ (9) Dazu sollte man wissen, dass Sebastian Kurz eng in die Netzwerke des Weltwirtschaftsforums eingebunden ist, immerhin war er Teil der WEF-Nachwuchsschmiede „Young Global Leaders“, auch das ist kein besonderes Geheimnis, sondern kann sogar auf der Homepage des WEF, sowie im Wikipedia-Artikel zum Ex-Kanzler nachgelesen werden. Also nicht gerade ein besonders hohes Maß an Konspiration, was es in der Tat zu einer eher seltsamen „Verschwörung“ machen würde. Was hier vor uns liegt ist keine „Verschwörung“, sondern politische Organisierung und Netzwerkerei in Kreisen des Monopolkapitals.
Selbst wenn viele sozialdemokratische „Basis“-Mitglieder sich ob der Corona-Politik ihrer Parteiführungen verwundert die Augen reiben, liegt es schlussendlich doch sehr nahe, warum die Sozialdemokratie (und mit ihr gewisse Teile der Linken) in ganz Europa bei so keynesianistisch anmutenden Vorschlägen auch nicht die leiseste Kritik an den Corona-Wirtschaftsmaßnahmen artikuliert: ganz einfach weil sie sich in der führenden Rolle dafür sieht, diese Konzepte umzusetzen. Was das Weltwirtschaftsform fordert, ist nicht weniger als ein neuer staatsmonopolistischer Kapitalismus, der klassischerweise in einer sehr breiten und allgemeinen Charakteristik folgendermaßen definiert wird: „In der Epoche des Imperialismus ist die gesamte Tätigkeit des bürgerlichen Staates, der die Diktatur der Finanzoligarchie darstellt, allein den Interessen der herrschenden Monopole untergeordnet. Mit der Verschärfung der Widersprüche des Imperialismus bemächtigen sich die herrschenden Monopole in immer stärkerem Maße der unmittelbaren Leitung des Staatsapparats. (…) Der monopolistische Kapitalismus wird zum staatsmonopolistischen Kapitalismus. (…) Der staatsmonopolistische Kapitalismus besteht darin, dass sich die kapitalistischen Monopole den Staatsapparat unterordnen und ihn zur Einmischung in die Wirtschaft des Landes benutzen. (…) Die Monopole nutzen die Staatsmacht aus, um die Konzentration und Zentralisation des Kapitals aktiv zu fördern und die Macht und den Einfluss der großen Monopole zu verstärken: der Staat zwingt die selbstständigen Unternehmer mit besonderen Maßnahmen, sich den Monopolvereinigungen zu unterwerfen...“ (10) Nichts anderes als lupenrein diesen Prozess, doch auf definitiv neuem Niveau, haben wir vor uns wenn wir bei Klaus Schwab lesen, dass die vor Corona gemachte Politik der Regierungen „zu überdenken“ sei und „Unternehmen und sonstige Organisationen“ zwar in geringerem Ausmaß, doch fast ebenso gut gegenüber sozialen Unruhen „die Gefahr durch geeignete politische Maßnahmen reduzieren können“ (11) Was das Weltwirtschaftsforum hier offensichtlich im Sinn hat, ist die offene Übertragung von gewissen Regierungs- und Staatsaufgaben auf Unternehmen und andere Organisationen, insbesondere in Fällen wo es um die Widersprüche der Kapitalisten zum Großteil der Bevölkerung geht. Eine Verschmelzung von Konzernen, Regierung und Staatsapparat gegen die Masse der Bevölkerung.
Die Widersprüche zu den Unterdrückten und Ausgebeuteten müssen bei solcherlei Vorhaben besser unter Kontrolle gebracht werden, denn die Situation könnte den Herrschenden durch den Verlauf der Pandemie und die repressiven Maßnahmen gegenüber den Massen schnell entgleiten, soviel ist Herrn Schwab klar. Daher versteht er einerseits die mit Verweis auf die Pandemie ausgesprochenen Demonstrationsverbote und andere Beschränkungen des Versammlungs- und Koalitionsrechts als ausdrücklich notwendig und positiv, verweist aber auch darauf, dass das nicht auf Dauer aufrecht zu halten ist und die Widersprüche dadurch weiter an Schärfe gewinnen können: „Aber es ist schwer vorstellbar, dass die früheren Missstände und die vorübergehend unterdrückten sozialen Unruhen nach der Aufhebung des Versammlungs- und Demonstrationsverbots nicht erneut aufflammen werden, möglicherweise mit erneuter Stärke. Nach der Pandemie wird sich die Zahl jener dramatisch erhöhen, die nun zu den Arbeitslosen, Besorgten, Unglücklichen, Empörten, Kranken und Hungrigen gehören. Persönliche Tragödien werden hinzukommen und den Ärger, die Empörung und die Verzweiflung in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, einschließlich der Arbeitslosen, Armen, Migranten, Häftlinge, Obdachlosen und aller Ausgeschlossenen… verstärken. Wie sollte all dieser Druck nicht zu einem Ausbruch führen?“ (12) Schwab weiß um die Gefahren die von solchen Revolten ausgehen und auch, dass sie in Revolutionen umschlagen können. Einem konzentrischen Angriff auf die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung gleich, empfiehlt er einerseits einen gewissen Ausbau des Wohlfahrtsstaates, bei dem die „Gewerkschaften eingebunden“ sein müssten, andererseits muss er aber auch die Grundinteressen seiner Klasse wahrnehmen, weshalb sogleich die nächste Attacke auf die sozialen Rechte folgt: der „Gesellschaftsvertrag muss neu definiert werden“. Doch das wird Konflikte weiter anheizen, weshalb unter Bezug auf ein Zitat von Henry Kissinger in Erinnerung gerufen wird: „Die historische Herausforderung für Führungspersönlichkeiten besteht darin, die Krise zu bewältigen und gleichzeitig die Zukunft zu gestalten. Ein Scheitern könnte die Welt in Brand setzen.“ (13) Klaus Schwab weiß worum es geht.
Der Institution des Weltwirtschaftsforums angemessen, hat der Autor durchaus auch eine gewisse internationale Perspektive, denn das imperialistische Kapital agiert rund um den Globus. Nicht zuletzt was soziale Widersprüche betrifft und gegenüber der Gefahr die von revolutionären Bewegungen ausgehen kann, ist das WEF hier sehr präzise. Neben den Widersprüchen denen sich die Kapitalisten in den imperialistischen Ländern gegenübersehen, werden die sogenannten „Schwellenländer“ (also Länder, in denen der bürokratische Kapitalismus die hauptsächliche Form der imperialistischen Ausbeutung ist) als besonders schwache Kettenglieder in den Klassenkämpfen während der Pandemie beschrieben. Denn durch die „Vierte Industrielle Revolution“ werde es dort zu einer Deindustrialisieurng kommen, weiter können die imperialistischen Länder aufgrund der Kosten der Maßnahmen, insbesondere aber der Durchsetzung des neuen staatsmonopolistischen Kapitalismus, dort nicht mehr so viel Kapital investieren wie bisher (Kapitalabfluss). Die Krise der „Schwellenländer“ könnte laut Schwab außerdem weiter durch eine Staatsschuldenkrise angeheizt werden. „Besonders hart trifft diese Realität überschuldete Schwellenländer und arme Länder (…) Für sie wird diese Krise gewaltige Ausmaße annehmen und ihre Bewältigung wird Jahre dauern, denn der beträchtliche wirtschaftliche Schaden wird sich schnell in sozialem und humanitärem Leid niederschlagen.“ (14) Interessant ist dabei nun, dass es gerade einige diese Länder sind, in denen die internationale revolutionäre Bewegung besondere Perspektiven hat, da dort Volkskriege geführt werden (z.B. in Indien oder der Türkei), bzw. starke revolutionäre Bewegungen der Massen gerade in letzter Zeit massive Fortschritte machen (wie die Bauernbewegung in Brasilien). Unrecht hat Klaus Schwab also sicherlich nicht, wenn er gerade in diesen Ländern große Gefahren für die Kapitalisten heraufziehen sieht. Kurz: in diesem internationalen Zusammenhang sind das alles keine besonders rosigen Aussichten für den Imperialismus im Allgemeinen und das Weltwirtschaftsforum im Besonderen.
Widersprüche zwischen den imperialistischen Räubern.
Insgesamt muss das WEF konstatieren, dass es einen zwar unglaublich raschen, doch nach wie vor relativen Verlust der weltweiten Vorherrschaft der USA als Führungsmacht der „westlichen Welt“ gibt. Der internationale Schwerpunkt verlagere sich immer stärker von „Westen nach Osten“, womit Schwab natürlich China meint, welches schon in vielen Bereichen die „Rolle der USA übernommen“ hätte. Und das Verhältnis des Westens zu China ist neben dem Thema der Widersprüche der Herrschenden zum Volk auch das hauptsächlich bestimmende Motiv im „Great Reset“. Es geht um nichts weiter als um eine „Abkoppelung von China“, die zur Triebfeder für den neuen staatsmonopolistischen Kapitalismus, für die Verschmelzung von Kapital und Staatsapparat wird. Denn darüber sind sich die führenden Imperialisten der Welt auf jeden Fall einig, dass eine solche „Abkoppelung“ und damit eine Reorganisierung der Globalisierung, Unsummen an Ressourcen benötigt. Alleine kann das kein Kapitalist stemmen, denn außer Geld braucht es natürlich den Apparat des bürgerlichen Staates, um Projekte dieser Größenordnung umzusetzen, außerdem ist dafür eine gewisse Zeit vonnöten, längerfristige Planung und die politische Einbeziehung gewisser Teile der Gesellschaft. An der neuen Rolle des Staates führt daher kein Weg vorbei. „Dieser Prozess der Umkehr der Globalisierung wird nicht über Nacht stattfinden. Die Verkürzung der Lieferketten wird eine starke Herausforderung und sehr kostspielig werden. Eine sorgfältige und umfassende Abkoppelung von China würde es zum Beispiel notwendig machen, dass daran beteiligte Unternehmen Investitionen in neu angesiedelte Werke in der Höhe von Hunderten Milliarden Dollar tätigen und von den Regierungen entsprechende Beträge zur Finanzierung neuer Infrastrukturen, wie Flughäfen, Verkehrsanbindungen und Gebäude zur Betreuung der relokalisierten Lieferketten.“ (15) Hier ist die Pandemie ebenso der „Impulsgeber“ und damit auch der politische Vorwand, um mit diesem Vorhaben voranzukommen: „Zumindest wird die Pandemie … einen Systemwandel beschleunigen, der sich bereits abzeichnete: der teilweise Rückzug der Globalisierung, die zunehmende Entkoppelung zwischen den USA und China...“ (16)
Diese „Entkoppelung“ zwischen dem Westen (vor allem den USA) und China bringt einerseits für beide imperialistischen Mächte gewisse Vorteile, da sie in vielen Teilen des Weltmarkts dermaßen eng miteinander verwoben und verbunden waren, dass sie sich bei ihren Zielen gegenseitig im Weg standen und nicht mehr so voran kamen wie es von den jeweiligen Kapitalisten als notwendig erachtet wurde. Gleichzeitig tendiert der Widerspruch zwischen Imperialisten immer dazu, sich schlussendlich in Krieg auszudrücken und die enge Verflechtung von China mit den USA hätte in dieser Frage für beide Imperialisten jeweils bestimmte wichtige Nachteile gebracht. Dennoch ist der „Great Reset“ selbstverständlich vor allem ein Ziel der westlichen Imperialisten, ein Ziel das noch mit Hilfe der niedergehenden und (vor allem militärisch und politisch) stark geschwächten Hegemonie der USA durchgesetzt werden soll, denn der chinesische Imperialismus weist in der Frage internationaler Vernetzung nach wie vor größere Schwächen auf, welche wiederum der Westen unter Führung der USA nun für sich zu nutzen versucht.
Wenn Lieferketten gezielt einbrechen und der Handel neu organisiert wird, dann soll damit vor allem der chinesische Konkurrent getroffen werden, dessen wirtschaftlicher Wiederaufschwung mit Hilfe der „Gunst der Stunde“ verzögert werden soll. „China, dessen Handelssektor mehr als ein Drittel seines BIP ausmacht, wird es schwer haben, einen nachhaltigen wirtschaftlichen Wiederaufschwung zu schaffen, wenn seine großen Handelspartner (wie die USA) sich drastisch zurückziehen.“ (17) Das ist richtig, aber natürlich wird der chinesische Imperialismus nicht tatenlos zusehen, während ihm eine Allianz unter Führung der USA schwer zusetzt. Das chinesische Kapital wir versuchen seine Stellung zu behaupten und aggressiver als bisher vorgehen müssen. Was wir damit vor uns sehen, ist ein drastisches Beispiel dafür, dass selbst solche Maßnahmen, die oberflächlich aussehen als ob sie den Krieg zwischen Imperialisten vermeiden könnten, dazu führen werden, dass Kriege dieser Art erst recht ausbrechen, nur etwas verzögert, dafür aber mit größerer Heftigkeit. In einem solchen Krieg wäre die EU natürlich auf Seiten der USA als imperialistischer Kriegstreiber involviert. Auch das soll mit dem Konzept des „Great Reset“ vorbereitet werden, nicht umsonst vergleicht Schwab die staatsmonopolistischen Wirtschaftsmaßnahmen die unter dem Schlagwort „Corona“ durchgeführt werden, mit dem Marshall-Plan. Der „Große Umbruch“ ist nicht einfach nur ein abstrakter Vorschlag, denn die ausgewählten Beispiele zeigen, dass wichtige Teile des Konzepts in vielerlei Hinsicht gegenwärtig schon angewandt werden. In Bezug auf den Widerspruch zwischen den Imperialisten ist der „Great Reset“ ein wirtschaftliches und politisches Konzept das dem Krieg zwischen den Imperialisten vorangeht.
Dass die bisher etablierten internationalen Organisationen und Allianzen des Imperialismus weder ein effizientes Niederhalten sozialer und politischer Proteste und Rebellionen im Rahmen der Pandemie gewährleisteten, noch in den letzten Jahrzehnten den Aufstieg Chinas aufhalten konnten, zeigt die tiefe Krise in der das alte imperialistische Weltsystem steckt. Im Versuch aus dieser Krise herauszukommen, treffen die führenden und hegemonialen Imperialisten nicht nur weitgehende wirtschaftliche und politische Maßnahmen, sondern müssen auch ihre bisherigen „Werkzeuge“ neu gestalten. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Schwab ohne Umschweife vom „Versagen der bisherigen globalen Ordnungspolitik“ (18) spricht und unumwunden klar macht, dass es ohne einen neuen „globalen, strategischen ordnungspolitischen Rahmen keine anhaltende Erholung geben kann“ (19).
Der „Great Reset“ ist keine Verschwörung und kein geheimer Masterplan, sondern ein aggressives, antidemokratisches und staatsmonopolistisches Konzept der Reorganisierung wichtiger Bereiche der imperialistischen Weltwirtschaft unter dem Vorwand und den politischen Möglichkeiten der Corona-Pandemie. Als solches drückt er die Interessen der führenden und hegemonialen Fraktion der herrschenden Klasse im „Westen“ aus. Es handelt sich um ein Konzept das auch unter dem Aspekt einer zukünftigen Aggression zwischen den Imperialisten entwickelt wurde. Diese gesamte Charakterisierung lässt sich nicht zuletzt recht eindeutig daraus ableiten, dass die Inhalte des „Great Reset“ sehr deutlich mit der Entwicklung grundlegender Widersprüche des Imperialismus korrespondieren. Fortschrittliche und wirklich demokratische Kräfte müssen das aufgreifen und zu Gegenstand ihrer Kritik machen. Zu lange blieb diese Frage vom progressiven Standpunkt aus unbeantwortet und damit Obskurantisten und Rechten überlassen. Den „Great Reset“ und damit eine wichtige politische und wirtschaftliche Konzeption der Herrschenden nicht zu kritisieren, kann schnell zu einer neuen Form der Burgfriedenspolitik führen, mit der fortschrittliche und demokratische Kräfte in das politische Herrschaftssystem des Kapitals integriert werden sollen.
(1) Klaus Schwab, Therry Malleret: COVID-19: Der Grosse Umbruch. Forum Publishing, Weltwirtschaftsform (Genf), 2020, S.12-13
(2) Ebd., S.179, Hervorhebungen von uns.
(3) Ebd., S.182, Hervorhebungen von uns.
(4) Ebd., S.194-195, Hervorhebung von uns.
(5) Ebd., S.197-198
(6) Ebd., S.135
(7) Ebd., S.215
(8) Tageszeitung Kurier: „38 Milliarden gegen Corona: Koste es was es wolle“ am 18.3.2020
(9) Klaus Schwab, Therry Malleret: COVID-19: Der Grosse Umbruch. Forum Publishing, Weltwirtschaftsform (Genf), 2020, S.76
(10) Politische Ökonomie. Lehrbuch. Hrsg. Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Institut für Ökonomie. Dietz (Berlin), 1955, S. 292
(11) Klaus Schwab, Therry Malleret: COVID-19: Der Grosse Umbruch. Forum Publishing, Weltwirtschaftsform (Genf), 2020, S.102
(12) Ebd., S.97-98
(13) Ebd., S.117
(14) Ebd., S.86
(15) Ebd., S.125-126
(16) Ebd., S.19
(17) Ebd., S.145
(18) Ebd., S.134
(19) Ebd., S.131