Zensurmaßnahmen auf beiden Seiten des Atlantik. Reaktionarisierung und Heuchelei prägen die Berichterstattung in Deutschland.

Ab nächstem Jahr laufen neue Ausgaben des Reportagemagazins „Klar“. Die Sendung solle auch in Zukunft „Streitfragen aufgreifen, die in der Mitte der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden“, hieß es vor Kurzem in einer gemeinsamen Pressemitteilung von NDR und BR. Dabei wird nebenbei allerdings auch erwähnt, dass es zu einer personellen Veränderung kommt: Julia Ruhs ist raus. Der NDR möchte gerne „ein eigenes Gesicht einbringen“, behauptet der NDR auf Nachfrage.

Betrachtet man die Kommentare in den deutschen Monopolmedien dann reibt man sich die Augen. Julia Ruhs hätte dem journalistischen Anspruch, ihre eigene politische Weltanschauung beiseitestellen zu können, um der Wahrheit ein Stück näherzukommen, nicht entsprochen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk benötige angeblich keine Meinungsmacher und Selbstdarsteller. Formate wie das Magazin „Klar“ seien aufgrund ihres dokumentarischen Charakters nicht auf eine meinungsstarke Moderatorin angewiesen. Julia Ruhs solle doch eine Talkshow auf einem rechten Krawallportal moderieren – doch bitte nicht beim NDR. Die Frage ob Julia Ruhs eine gute Moderatorin sei wird verneint, sie sei allenfalls Durchschnitt. Auffällig an ihr sei nur ihr ausgeprägtes Sendungsbewusstsein und dass sie so viel Gefallen an der Polarisierung findet. Darum sei es vollkommen berechtigt sie abzusetzen. Trotz der Argumentation für die Zensur unliebsamer Meinungen, wird sich dann darüber lustig gemacht, dass Ruhs von „Cancel Culture“ und einem „Armutszeugnis“ des NDR spricht, das sei Polemik und „Hyperventilationsvokabular“, Selbstmitleid und Opfermythos einer Populisten. Der „Funk“ Podcast „Brave Mädchen“, der genausovon den Rundfunkgebühren bezahlt wird, wo Suki und Henna nichts viel mehr tun als nach Aufmerksamkeit lechzend über andere Influencer lästern, läuft übrigens weiter.

Anders sieht es aus, wenn die deutschen Monopolmedien über den Atlantik blicken. Eine der „besten Late-Night-Shows der USA finde nicht mehr statt. Abgesetzt. Es geht um „Jimmy Kimmel Live!“. Das wird dann erkannt als ein weiterer Sieg für US-Präsident Trump bei seinem „Feldzug gegen die Pressefreiheit“. Kimmel, dem man getrost jede Fortschrittlichkeit absprechen kann, war ein in liberalen Kreisen populärer Moderator und Satiriker in den USA. Die Medienaufsicht in den USA, geleitet von Brendan Carr, der der Bundesbehörde FCC vorsteht, erklärte man erwarte von Moderatoren, dass diese dem öffentlichen Interesse im Großen und Ganzen dienen und ein breiteres Publikum ansprächen. Eine ähnliche Argumentation, wie sie genau so gegen Julia Ruhs geführt wurde. Aber im Fall der USA werden andere Maßstäbe, als an den eigenen Imperialismus angelegt. So liest und hört man, die Maßnahmen gegen Kimmel seien „verabscheuungswürdig, widerwärtig und gegen demokratische Werte“. Weiter: So verhalten sich Demokratien nicht. So verhalten sich Autokratien“, und „es spielt keine Rolle, ob man mit Kimmel übereinstimmt oder nicht, er hat das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Beide Zensurmaßnahmen machen deutlich: Hüben wie drüben, dies und jenseits des Atlantik wird die Reaktionarisierung voran getrieben. Presse- und Meinungsfreiheit wird mit Füßen getreten, wenn es den Herrschenden passt, und genauso wird die Presse- und Meinungsfreiheit „hochgehalten“, wenn man sie gegen andere ins Feld führen kann. Zynisch und bigott ist das.