„Heute erleben wir einen historischen Tag für unser Land, erleben, wie ein Traum von vor 60 Jahren wahr wird“. Das waren Erdogans Worte nach der Vorstellung der beiden Prototyp-Modelle der neuen Elektroautos im Dezember letzten Jahres, die ab 2022 in der Türkei von Band gehen sollen. Dann soll „die Türkei endlich eine eigene Automarke haben“. Die Pläne haben sich konkretisiert, im August sind neue Details veröffentlicht worden. Der erste Exportmarkt soll unter anderem Deutschland sein.1 Aber: Ist die E-Auto-Produktion in der Türkei tatsächlich ein Zeichen der Stärke der eigenständigen nationalen Ökonomie?

Der Hersteller ist das Joint Venture TOGG (Türkiye'nin Otomobili Girişim Grubu), an dem fünf türkische Unternehmungen – die Anadolu Group, BMC, die Koç Holding, der Mobilfunkbetreiber Turkcell und die Zorlu Holding – und die „Union der Kammern und Börsen in der Türkei“ beteiligt sind. Projektleiter und CEO ist Gürcan Karakas, ehemaliger, lange selbst in Deutschland tätiger Manager von Bosch.

Turkcell war bis vor kurzem zu 47,1% im Aktienbesitz der „Telia Company“ aus Schweden als mit Abstand größter Aktionär 2,3. Der Fahrzeughersteller BMC (Turkey) wurde in den 1960ern als Niederlassung des gleichnamigen britischen Unternehmens gegründet (BMC steht nämlich für British Motor Corporation). Die übrigen drei beteiligten Unternehmungen der TOGG sind Konglomerate. Ihre Tochterfirmen produzieren hauptsächlich für ausländische Unternehmen. Der Koç Holding gehören z.B. Automobilhersteller Tofaş (gemeinsam mit Fiat gegründet) und Otosan, die für Fiat/Peugeot und Ford produzieren, und andere unter Mitführung von Ford, Unicredit, Case New Holland uvm.4

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Nicht anders ist die Lage bei der Anadolu Group. Um die Funktionsweise der großen türkischen Unternehmensgruppen zu untersuchen, ziehen wir sie hier als Beispiel heran: Die Anadolu Group gründete 1960 mit Çelik Motor ihr erstes Unternehmen, das mit dem Verkauf von Fahrzeugen von den tschechischen Herstellern Skoda und Jawa (geführt von der Ökonomie des sowjetischen Sozialimperialismus) und der in Österreich ansässigen Steyr-Daimler-Puch AG sein Geschäft machte.5,6 Die „Zusammenarbeit“ mit den ausländischen Unternehmen für die Entwicklung der „eigenen Unternehmen“ wurde in den folgenden Jahren ausgebaut, wie mit dem italienischen Motorenhersteller Lombardini oder dem deutschen Schreibwarenproduzenten Faber-Castell. Das bedeutet, von Anfang an kam das Kapital, das in die Entwicklung der Anadolu Group und ihrer Produktion floss, aus dem Ausland; die Anadolu Group wurde durch ausländisches Kapital aufgebaut. Mit der Zeit begannen hauptsächlich Yankee-Unternehmen auf dieser Grundlage, neue Unternehmen der Anadolu aufzubauen. Heute hat fast die gesamte Führungsetage des Konglomerats in den Vereinigten Staaten studiert7 und die Gruppe führt sechs große Unternehmen an der Istanbuler Börse – für Bier, Softdrinks, Autos, „soziale Organisationen“, Einzelhandel und „Landwirtschaft, Energie und Industrie“. Dabei agiert sie laut eigenen Angaben in neun verschiedenen Sektoren, und gibt für die meisten dieser Sektoren einen oder zwei wichtige „Internationalen Handelspartner“ an: Bier (AB InBev), Fast Food (McDonald‘s), Schreibwaren (Faber-Castell), Autos (KIA / Isuzu), Soft-Drinks (Coca Cola), Einzelhandel, Landwirtschaft, Energie und Immobilienhandel; dazu kommt „sozialen Organisationen“ (John Hopkins Medicine).8 Der Aktienbesitz bei den sechs Börsenunternehmen der Anadolu ist oft: Ein Anteil um die Hälfte liegt bei der Gruppe selbst, ein Viertel bei dem wichtigsten „internationalen Handelspartner“, und das andere in Streubesitz. Bei der Biergruppe „Anadolu Efes“ sind es 24,0% Anteil (Stand 2019, wie alle folgenden Angaben) für die AB InBev Harmony Ltd und 43,1% für die Anadolu Goup, bei dem Autounternehmen „Anadolu Isuzu“ 29,7% für die Isuzu&Itochu und 55,4% für Anadolu, bei dem Schreibwarenproduzenten „Adel Kalemcilik“ 15,4% für die Faber-Castell AG und 56,9% für die Anadolu.9 Oft ist ein Viertel des Aktienbesitzes längst ausreichend für die Kontrolle über ein Unternehmen, wenn der Großteil in Streubesitz ist. Hier gehört der Großteil der Muttergesellschaft oder einer größeren Tochtergesellschaft von ihr – die Anadolu Efes ist bei unter anderem der Soft-Drink-Gruppe „Coca‐Cola İçecek (CCI)“ Mehrheitsaktionär (The Coca-Cola Company besitzt 20,1%) –, hinter welchen nichts anderes steckt als das ausländische Kapital, das in die Tochterunternehmen der Anadolu Group investiert wurde. Somit lässt sich dieser Anteil wieder in zahlreiche Teile aufgliedern, und was bleibt, ist die relative Kontrollmöglichkeit durch das ausländische Unternehmen mit den (mit Abstand) größten Anteilen.

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D.h., um zurück zu TOGG zu kommen, einige der größten Unternehmensgruppen der Türkei sind beteiligt, die alle nach ähnlichem Prinzip funktionieren. Die Gruppen selbst sind offiziell in türkischen Händen, die Geschäfte ihrer Tochterunternehmen, also die ganze Produktion unter Herrschaft des Konglomerats, werden hingegen mehrheitlich durch imperialistisches Finanzkapital gesteuert und sind ihm untergeordnet. Über wenige zentrale nationale Monopole agiert das ausländische Finanzkapital und entfaltet den bürokratischen Kapitalismus im Land. Wenn das ausländische Finanzkapital nicht mehr da ist, dann können die Tochterunternehmen nicht mehr produzieren und eine noch so große Koç oder Zorlu Holding bricht zusammen.

Nun zur Frage der Technik der neuen Wagen. Die Designvorgaben und entwickelten Prototypen stammen von der italienischen Firma Pininfarina. Die genaue Fahrzeugentwicklung des SUV-Modells findet jetzt in Wiesbaden und Fulda beim deutsch-schweizerischen Ingenieurdienstleister Edag statt. In Frage der Konstruktion haben türkische Firmen also überhaupt nichts zu melden, oder, wie es eine Lokalzeitung passend beschreibt: „Vom Fahrwerk bis zum Aschenbecher, alles erdacht in Osthessen.10 “ Der Technologieexport als Teil des bürokratischen Kapitalismus dient den Imperialisten, indem er die Abhängigkeit des bürokratischen Kapitals verstärkt.

Ein Joint Venture aus (Misch)Konzernen, die als Töchter ausländischer Firmen die Automobilbranche kennengelernt haben oder von ausländischen Automobilherstellern und -monopolen wie Ford und Honda abhängige Tochterunternehmen besitzen, baut mit vollständig importierter Technologie ein Elektroauto. Das ist nicht das Zeichen für eine starke ökonomische Selbstständigkeit, sondern für eine starke Abhängigkeit, die Gebundenheit an das imperialistische Finanzkapital, das den bürokratischen Kapitalismus in der unterdrückten Nation Türkei entfaltet. Es gibt keine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung, sondern nur durch Kapital, was aus dem Ausland kommt. Immer wieder wird das negiert und die Türkei als ein kapitalistisches Land bezeichnet. Natürlich ist die Koç Holding ein großes Unternehmen und natürlich hat Erdogan einen großen Palast. Aber es kommt wie wir wissen nicht nur auf die Größe an, sondern auch darauf, wer und was dahintersteckt.

 

                                                                                                                                       

  1. https://efahrer.chip.de/news/tuerkisches-volks-e-auto-kommt-erstes-export-ziel-ist-deutschland_102809

  2. https://www.derstandard.de/story/2000118167564/tuerkischer-staatsfonds-uebernimmt-mehrheitsbeteiligung-an-turkcell

  3. https://web.archive.org/web/20140118134643/http://www.turkcell.com.tr/en/aboutus/investor-relations/shareholder-structure

  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Ko%C3%A7_Holding

  5. https://www.anadolugrubu.com.tr/HistoryEn/1/92/history-

  6. https://www.steyr-arms.com/en/announcement/merger-to-become-steyr-daimler-puch-a-g/

  7. https://www.anadolugrubu.com.tr/Overview/1/89/board-of-directors-

  8. https://www.anadolugrubu.com.tr/Upload/Docs/Anadolu_Group_at_a_Glance.pdf

  9. https://www.anadolugrubu.com.tr/upload/CmsPage/PageContentFile/AGHOL_219ENG_236R_fdba9.pdf

  10. https://www.hessenschau.de/wirtschaft/tuerkisches-elektroauto-mit-hessischer-hilfe---suv-soll-ab-2022-gebaut-werden,elektroauto-tuerkei-fulda-100.html