„Vor hundert Jahren wäre Deutschland beinahe kommunistisch geworden.“ Dieser frohe Gedanke ist die Einleitung eines Tagesspiegelartikels und soll als Drohung verstanden werden.
Gemeint ist der Polnisch-Sowjetisch Krieg von 1920, an dessen Ende die Rote Armee an der Weichsel zurückgedrängt wurde. Über die Vorgeschichte dieses Krieges wird in der bürgerlichen Welt oft weniger ausführlich berichtet als über das angebliche „Wunder an der Weichsel“. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Zerschlagung des russischen Imperiums durch die Bolschewiki witterten polnische Nationalisten ihre Chance. Unter dem späteren Diktator Józef Piłsudski wurde das polnische Territorium aggressiv auf Kosten der östlichen Nachbarn erweitert. Darüber macht der Tagesspiegel kein Aufheben und berichtet lakonisch: „Er eroberte Lemberg (heute Ukraine), Wilna (heute Litauen) und Minsk (heute Belarus) und stellte annähernd die Grenzen der polnischen Adelsrepublik vor den Teilungen wieder her.“ Einem Nachbarland die Hauptstadt klauen, was heißt das schon, zumindest wenn die Aggressoren aufrechte Antikommunisten sind. Denn Piłsudskis Armee wurde von Frankreich ausgebildet, das Polen als Verbündeten gegen Deutschland und die Sowjetunion etablieren wollte. 1920 marschierte er auch gegen Kiew, Hauptstadt der Ukraine, in der die Revolution gesiegt hatte und die teil der werdenden Sowjetunion war. Die Rote Armee schlug zurück und drängte die überstrapazierte polnische Armee bis kurz vor Warschau zurück. Letztlich verlor die Rote Armee die Schlacht um die polnische Hauptstadt und zog sich aus polnischem Territorium zurück. Der erhoffte Aufstand der polnischen Arbeiter und Bauern gegen die polnische Bourgeoisherrschaft blieb aus. Der Krieg endete 1921 mit dem Vertrag von Riga, mit dem Polen seine Ostgrenze bis in die Ukraine und Belarus hinein verschieben konnte.
Diese militärische Historie ist dem polnischen Staat zum 100. jährigen Jubiläum einen Festakt wert. Dass dabei u.a. einem Nachbarland die Hauptstadt geraubt wurde, wird in der polnischen Geschichtskultur kaum kritisch reflektiert. Aber die Vergangenheit hat bei solche Feiern eh eine untergeordnete Bedeutung. Sie dienen als Projektionsfläche für die Geopolitik der Gegenwart. Der polnische Staat empfiehlt sich erneut als Lakai des Imperialismus, konkret des Yankee-Imperialismus. Dafür steht die Teilnahme des Yankee-Außenministers Mike Pompeo an den Feierlichkeiten. Vorangegangen war das Werben des polnische Staat um US-Soldaten, die bisher in der BRD stationiert waren. Wieder einmal soll das Handlangerdasein gegen Russland zu einem Hebel der polnischen Bourgeoisie werden.
Sicher ist, dass die Revolution im Nachkriegs-Europa nicht an der bürgerlichen Polnischen Armee scheiterte, sondern am Gift des Revisionismus in Gestalt sozialdemokratischer Maden.