Christian Bangel ist empört. Er ist Redakteur der Zeit, also von Berufs wegen imperialistischer Chauvinist, deutscher Chauvinist. Als solcher will er Ordnung. Und wer die Wahrheit sagt, der stiftet in Zeiten des Ausnahmezustands womöglich Unordnung. Deshalb ist Herr Bangel sauer auf einen anderen Schreiberling. Einen von der FDP. Unglaublich?

„Marco Buschmann, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, hat in einem denkwürdigen Spiegel-Beitrag vor einer "Revolution" und dem Zusammenbruch "politisch geordneter Verhältnisse" gewarnt, die "unfassbares Leid" auslösen könnten, für den Fall, dass die Mittelschicht durch Corona Wohlstandsverluste erlebe. Und er hinterließ nicht den Eindruck, als fände er ein solch revolutionäres Verhalten besonders unverständlich.
Nun ist es vermutlich tatsächlich so, dass die Ausgangsbeschränkungen mit den Wochen wachsende Unzufriedenheit auslösen werden. Und es stimmt mit Sicherheit, dass sie ein kolossaler bürgerrechtlicher Eingriff sind, der große wirtschaftliche Probleme nach sich zieht. Man kann der Regierung oder besser den deutschen Landesregierungen auch vorhalten, zu scharfe, weitreichende, unspezifische Auflagen verhängt zu haben. Oder die Sicherheitsbehörden dafür kritisieren, dass sie mit Übereifer vorgehen. Man kann und soll fragen, wie eine Exit-Strategie aus diesem gesellschaftlichen Ausnahmezustand aussehen soll. Für all das sind Oppositionsparteien da.“

Alles was dem Herrn Bangel einfällt, was man so muss, kann, soll, und vor allem darf, ist als vom Standpunkt der Bourgeoisie und um ihre Ordnung besorgter Bürger öffentlich nach zu denken. Was wirft er also dem FDP-Mann vor? Hat dieser nicht seine Sorge um die „politisch geordneten Verhältnisse“ kund getan? Lassen wir ihn zu Wort kommen:


„Denn die Radikalisierung oder gar der Zusammenbruch politisch geordneter Verhältnisse kann auch unfassbares Leid auslösen. Eine zentrale Voraussetzung dafür, dass wir als Staat, Gesellschaft und Volkswirtschaft die Coronakrise heil überstehen, wird also ein neues Augemerk auf die Mittelschicht in Deutschland sein. Klaglos hat sie über Jahrzehnte dafür gesorgt, dass der Staat mit Steuern und Abgaben auskömmlich versorgt wird, um Infrastruktur, Bildung und sozialen Ausgleich zu finanzieren. Dazu gehört der Kfz-Mechatroniker wie die Einzelhandelskauffrau, der Bauarbeiter wie die Polizistin, der Lehrer wie der Unternehmer oder die Freiberuflerin.“

Und zum Abschluss:


„Wenn die deutsche Mittelschicht den Eindruck erlangen sollte, dass ihre Belange und Bedürfnisse angesichts der Bedrohung ihrer sozialen Lage nicht ins Zentrum der deutschen Politik rücken und dort zu einer klaren Änderung der Prioritäten führen, dann soll kein verantwortlicher Politiker behaupten, er habe nicht wissen können, was dann geschieht. Dann liegt irgendwann Revolution in der Luft.“


Was der Herr Buschmann von der FDP hier tut, ist die Tatsache benennen, dass sich zu spitzende Widersprüche in einer Klassengesellschaft zu Rebellionen führen. Er tut dies als ein FDP-Mann, als Politiker einer Partei, die mehr als zum Beispiel SPD und CDU das Kleinbürgertum, mit seiner Schwarzarbeit, seinem Schwarzgeld, seiner Steuerhinterziehung als soziale Stütze des deutschen Imperialismus im Blick hat. Aber er meint vielleicht auch das Proletariat. Der Mittelschichtsbegriff ist eine der schwammigsten soziologischen Kategorien.


Er tut dies durchaus vom Standpunkt der Bourgeoisie. Doch dem Herrn Bangel stößt es trotzdem sauer auf. Warum?


Herr Bangel schreibt unter anderem:

„So kann man das, was Buschmann schreibt, auch als Drohung auffassen. Als eine Mahnung, dass der vermögende Teil der Gesellschaft bald zu den Forken greifen wird, wenn nicht das passiert, was sie wollen. Dazu muss man noch nicht mal böswillig sein, sondern sein düsteres Geraune von der demokratischen Endzeit, die die Regierenden durch ihr Fehlverhalten ausgelöst hätten, einfach wortgenau nehmen. Es ist nicht ganz klar, ob dieser Effekt intendiert ist.“


Vom vermögenden Teil schreibt Herr Buschmann keineswegs. Offenbar gehört es nicht zu den notwendigen Qualifikationen eines Zeit-Journalisten lesen zu können. Er schreibt Mittelschicht, und nennt Einzelhandelskauffrauen als Beispiel. Das sind die Leute, die bei LIDL an der Kasse sitzen.
Das es ein düsteres Geraune von der demokratischen Endzeit sei, die die Regierenden durch ihr Fehlverhalten ausgelöst hätten, ist schon eher eine treffende Beschreibung des kritisierten Textes.


Doch warum, bringt die Sorge um die bürgerliche Ordnung vom Standpunkt der Bourgeoisie des Herrn Buschmann den Herrn Bangel so in Rage?
Er schreibt weiter:

„Wer jetzt der Öffentlichkeit ohne Not einen Gewaltausbruch der Normalbürger vor das gedankliche Auge setzt, der heizt die öffentliche Atmosphäre in einem Moment an, in der eine einigermaßen besonnene Stimmung ganz hilfreich ist. Wenn ein Teil der Bürgerinnen und Bürger beginnt, sich widerrechtlich eingesperrt zu fühlen oder sich gar ermuntert fühlt, Widerstand zu leisten, dann könnte es sein, dass eine Regierung lebenswichtige Maßnahmen nicht mehr durchsetzen kann, obwohl sie es müsste.“


Der Herr Bangel ist so sehr in Schnappatmung verfallen, dass er gar nicht bemerkt, dass er in seinem Vorwurf an Herrn Buschmann, dieser handele unverantwortlich, letzterem Recht gibt.
Wir leben in Zeiten, in denen der Machterhalt der Bourgeoisie auf so wackeligen Füßen steht, dass dem Regierungsfan Bangel diese Wahrheit auszusprechen schon als Angriff auf die heilige bürgerliche Ordnung gilt.