Zwischen dem 17. und 19. Februar findet die Münchner Sicherheitskonferenz statt. Ursprünglich wollte Außenministerin Baerbock dort die erste „Nationale Sicherheitsstrategie“ der BRD vorstellen, an der das Außenministerium seit nun einem Jahr arbeitet. Wie es nun aussieht, wird sich das wohl doch noch um einige Zeit verzögern. Da das Thema aber in den letzten Wochen in aller Munde ist, gab es Anfang des Jahres wieder aus unterschiedlichen Richtungen der bürgerlichen Presse den Ruf nach einem sogenannten „Nationalen Sicherheitsrat“ nach Yankee-Vorbild. Im Januar trafen sich die Chefs der Staatskanzleien der Bundesländer auf einem Krisentreffen um diese Sache weiter zu diskutieren, während parallel dazu die Ampelspitzen hinter verschlossen Türen versuchten ihre Streitigkeiten beizulegen.

Um zu verstehen was dieser „Nationale Sicherheitsrat“ konkret ist, oder viel mehr sein soll, ist es wichtig zu verstehen, was die erste sogenannte „Nationale Sicherheitsstrategie“ ist, die im Herbst letzten Jahres von Ex-Bundesverteidigungsministerin Lambrecht in einer Grundsatzrede erstmals skizziert wurde. Es geht bei dieser Strategie um einen erneuten Versuch der deutschen Bourgeoisie Außenpolitik, Sicherheitspolitik und Militärpolitik – sowohl politisch als auch organisatorisch – zu verbinden und diese unterschiedlichen Politikfelder in eine gemeinsame und einheitliche Richtung verlaufen zu lassen. Lambrecht beschreibt das wie folgt:

Sicherheit wird wieder zur zentralen Staatsaufgabe. Aus einem Guss, über die Ressortgrenzen hinweg, so wie es der Begriff „Integrierte Sicherheit“ zeigt. Aber gleichzeitig, und das ist mir ganz wichtig – müssen wir auch sensibel sein für die Trennlinien von innerer und äußerer Sicherheit, die bei uns verfassungsrechtlich festgeschrieben sind und die nicht verwischt werden dürfen. Das ist auch ein klares Signal, bei allem Integrierten Ansatz: Das muss uns klar sein und darauf werden wir achten. Als Verteidigungsministerin kann ich sagen: gerade die Bundeswehr wird in Zukunft eine wichtigere Rolle in unserem politischen Denken und Handeln spielen. Wir hatten uns daran gewöhnt, unsere Streitkräfte ausschließlich als Akteur bei Kriseneinsätzen im Ausland oder in der Amtshilfe – Corona, Hochwasser, Waldbrände – wahrzunehmen. Diese Zeit ist vorbei. Wir müssen die Bundeswehr wieder als zentrale Instanz für unsere Daseinsvorsorge betrachten. Und zwar jeden Tag.“

Das ist ganz offen der Versuch des deutschen Imperialismus die Militarisierung weiter zu entwickeln und sie politisch in einer konkreten Strategie zu bündeln. Dass diese Priorisierung der Sicherheit nicht ohne organisatorische Konsequenzen vor sich gehen kann, sieht man gut darin, dass Lambrecht davon spricht die Sicherheit „aus einem Guss“ und „über Ressortgrenzen hinweg“ zu verfolgen, was nichts anderes bedeutet als eine noch engere und einheitlichere Zusammenarbeit aller Organe der Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik. Bei der Vorstellung der eigenen Strategie an dieser Stelle auch vor eventuellen verfassungsrechtlichen Problemen zu warnen setzt dem ganzen natürlich die Krone auf.

Wenn es in Lambrechts Rede um die neue Rolle der Bundeswehr geht, kommt ihr Militarismus besonders zum Vorschein. Die Bundeswehr soll nicht nur mehr wie zuvor im Ausland gegen die Völker der Welt oder inländischen angeblichen „Natur- und Gesundheitskrisen“ eingesetzt werden. Lambrecht sagt in ihren eigenen unverschämten Worten, dass die Bundeswehr „wieder [eine] zentrale Instanz für unsere Daseinsvorsorge“ werden wird. Und was sie damit meint ist bestimmt nicht, dass die Bundeswehr zukünftig dafür benutzt werden soll, neue Sozialwohnungen zu bauen oder Straßen zu sanieren. Es ist konkret die Aussage, dass der deutsche Imperialismus mehr und mehr auf sein Militär setzten wird, um seine Interessen in der Welt und auch im Inland durchzusetzen.

Es handelt sich bei der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ um nichts anderes als ein politisch-organisatorisches Strategieprogramm der deutschen Bourgeoisie für eine konzentrierte Bemühung der zentralen Steuerung und Koordinierung der militärischen Aufrüstung und Militarisierung, bei der alle notwendigen Behörden und Staatsbereiche mitwirken, um die militärischen und sicherheitspolitischen Interessen des deutschen Imperialismus unkomplizierter und vor allem koordinierter zu planen und  durchzusetzen.

Es soll aber nicht bei einer effizienteren Gestaltung der deutschen Militarisierung bleiben,  Lambrecht artikuliert auch sehr deutlich den deutschen Führungsanspruch und zeigt einmal mehr, dass dieses Vorhaben nur in der Konfrontation mit den USA realisiert werden kann, wie sie es in ihrer Grundsatzrede an verschiedenen Stellen sagt:

Deutschlands Größe, seine geografische Lage, seine Wirtschaftskraft, kurz, sein Gewicht, machen uns zu einer Führungsmacht, ob wir es wollen oder nicht. Auch im Militärischen.

(...)

Die Ableitung ist klar: Wir Europäer, und damit ganz prominent wir Deutschen müssen also mehr tun, um selbst glaubhaft so viel militärische Stärke zeigen zu können, dass andere Mächte gar nicht erst auf die Idee kommen, uns anzugreifen.

(...)

Wenn wir das schaffen, dann ist das Signal unüberhörbar:
    • Deutschland nimmt seine Rolle ernst
    • Deutschland steht fest in der NATO und zu seinen Verbündeten
    • Deutschland ist bereit, Amerika in Europa zu entlasten und damit entscheidend zur fairen Lastenteilung beizutragen.

Wir müssen Europa aus sich heraus stärker machen.

Unter dem Feigenblatt „Amerika in Europa zu entlasten“, präsentiert die ehemalige Verteidigungsministerin das Interesse des deutschen Imperialismus die Machtposition des US-Imperialismus in Europa zu beschneiden. Die „faire Lastenteilung“ ist hier vielmehr der Anspruch Deutschlands, ein größeres Stück vom Kuchen zu erhalten, indem man eine größere militärische Rolle einnimmt.

Um sich von den USA weiter unabhängig zu machen und weitere, selbstständige militärische Kapazitäten aufzubauen setzt der deutsche Imperialismus auf seine hegemoniale Führungsrolle in der Europäischen Union, wie Lambrecht sagt „Und dabei ist mir wichtig: auch die EU kann dazu beitragen, dass die Staaten Europas mehr für ihre eigene Sicherheit tun. Wir sollten das voll ausschöpfen. (…) Deutschland ist vorne mit dabei, steht aber als zentrales Drehscheibenland natürlich auch besonders in der Pflicht. Hier werde ich mich für noch mehr Engagement einsetzen.

Lambrecht kündigt außerdem an, an gemeinsamen europäischen „Rüstungs-Beschaffungs-Agenturen“ zu arbeiten und bezieht sich dabei auf die in Brüssel ansässige „Europäische Verteidigungsagentur“ an deren Spitze sie einen deutschen Vize-Präsidenten entsendet hat. Durch seine Vormachtstellung innerhalb der EU versucht der deutsche Imperialismus eine noch stärkere führende Rolle in der europäischen Rüstungsindustrie einzunehmen. Warum das eine Notwendigkeit ist zeigt die Liste der weltweit 100 führenden Rüstungsunternehmen, wovon allein 40 aus den USA stammen, welche das weltweite Rüstungsgeschäft mit 51% Umsatz eindeutig dominieren.

Lambrecht sagt „Unser Ziel in der EU ist es, 35 Prozent unserer Investitionen in Rüstung gemeinsam zu beschaffen. Gegenwärtig sind es gerade einmal acht Prozent. Da ist noch richtig viel Luft nach oben.“ Um das zu gewährleisten will Lambrecht im Übrigen die Export-Regeln für Rüstungsgüter ändern lassen, damit die Rüstungskooperation unkomplizierter und einfacher verlaufen kann. In Zukunft werden also in Europa unter deutscher Führung noch mehr Waffen und Kampfsysteme produziert und schneller verteilt werden.

Ein weiterer Punkt der Verzahnung von Militär- und Sicherheitspolitik in der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ ist die Frage der inneren Sicherheit und Aufstandsbekämpfung. Lambrecht spricht davon, dass die Bundeswehr nicht mehr wie gewohnt nur bei Corona, Waldbränden und Hochwasser Amtshilfe leisten soll, sondern künftig eine viel zentralere Instanz in der deutschen Regierungspolitik einnehmen soll. Die Beispiele, die sie aufzählt, sind nicht nur darauf ausgelegt klar zu machen, dass die BRD in Zukunft mehr Auslandseinsätze führen wird, sondern auch im Inland militärisch aktiver werden soll. Beispiele kennen wir alle genug: G20 in Hamburg, die Fußball Weltmeisterschaft 2006 usw. und auch die kommende Europameisterschaft im nächsten Jahr, die in Deutschland stattfinden wird, bietet sich dafür an. Für die weitere Koordinierung schlägt Lambrecht einen sogenannten „Tag der nationalen Sicherheit“ vor und zählt auf:

- von der inneren Sicherheit bis zu den Nachrichtendiensten,

- von der Diplomatie bis hin zur Entwicklungspolitik,

- vom Verfassungsschutz bis hin zur militärischen Bedrohungslage durchnehmen, durchdiskutieren, miteinander sprechen. Nicht wegdrängen, sondern wahrnehmen und darüber auch die Auseinandersetzung führen – und dann die entsprechenden Rückschlüsse ziehen.

Da die „Nationale Sicherheitsstrategie“ ein Projekt über Ministeriumsgrenzen hinaus sein soll und eine allumfassende deutsche Sicherheitspolitik etablieren will, sollen hier innenpolitische, außenpolitische und sogar Fragen der Entwicklungspolitik vom Standpunkt der Sicherheitsinteressen des deutschen Imperialismus betrachtet werden, um diese gemeinsam anzugehen. Käme es z.B. dazu, dass sich die Widersprüche der Imperialisten im Ukraine-Krieg mit der Lieferung von Panzern und womöglich sogar Kampfjets weiter zuspitzten und sich dagegen in der BRD starke Proteste entwickeln würden, wäre es nicht undenkbar, dass militärische Geheimdienste, der Außengeheimdienst BND, der Verfassungsschutz und auch die Innenministerien mit ihren Polizeien im Rahmen dieser Sicherheitsstrategie gemeinsam und koordiniert besonders gegen die Anti-Kriegsbewegung, Antimilitaristen sowie Antiimperialisten vorgehen könnten und versuchen könnten diese zu kriminalisieren.

Auch heute gehen bereits militärische Dienste gegen Aufrüstungsgegner und -Kritiker vor. Die vor kurzem aufgeflogene Überwachung von Künstlern des „Zentrums für Politische Schönheit“ könnte somit als eine Art Vorgeschmack für so ein Vorgehen dienen. Diese haben mit Aktionen auf den Waffen- und Munitionsklau in der Bundeswehr durch Faschisten aufmerksam gemacht und wurden dabei von der Bundeswehrabteilung „Operative Kommunikation“ als „feindliche Propaganda“ eingestuft und folglich überwacht. In diesem Fall hat die Bundeswehr sogar geplant eigene Gegenmaßnahmen gegen die Gruppe zu unternehmen.

In der Frage, wie diese „Nationale Sicherheitsstrategie“ konkret umzusetzen ist, herrscht innerhalb der Regierung aber noch große Uneinigkeit. Das von den Grünen geführte Außenministerium schlug die Errichtung eines „Nationalen Sicherheitsrats“ vor. Eine staatliches Organ mit diesen Namen gibt es schon in den USA. Der „United States National Security Council“ steht unter direkter Führung des US-Präsidenten, an deren Seite dann die Chefs des Außen-, Verteidigungs- und Energieministeriums sowie verschiedene Koordinationsleiter der US-Geheimdienste,  gemeinsam die Außenpolitik des Yankee-Imperialismus bestimmen. Was dieser „Nationale Sicherheitsrat“ in Deutschland sein soll, welche Befugnisse er haben soll und vor allem in welchem Ministerium er angesiedelt sein soll, ist noch unklar und Thema des Streits zwischen den Ampelparteien.

Zwar gibt es mit dem „Bundessicherheitsrat“ schon ein Gremium in dem für die Sicherheit zuständigen Ministerien zusammenkommen und beispielsweise über Rüstungsexporte entscheiden, doch hat dieses Gremium nicht einmal ein eigenes Sekretariat und damit keine ausreichend organisatorische Form und Weisungsbefugnis, um die von Lambrecht skizzierte Sicherheitspolitik  auf die verschiedenen Ressorts von Außen-, Innen- und Verteidigungsministerium zu übertragen und durchzusetzen.

Die Grünen wollen so einen „Nationalen Sicherheitsrat“ im von ihnen geführten Außenministerium angesiedelt haben, während die SPD das so ein Organ natürlich im Kanzleramt von Olaf Scholz sehen wollen würden. Es bleibt demnach offen, ob es überhaupt zu einer Verwirklichung einer solchen zentralisierten, über den einzelnen Ministerien stehenden Führungsstruktur nach US-amerikanischen Vorbild kommen wird. Es wäre ein sehr aggressiver Schritt im Abbau der demokratisch-liberalen Fassade des bürgerlichen Staates und würde dementsprechend jede Menge gerechtfertigten Widerstand dagegen mit sich bringen. Was hingegen sicher kommt, ist das weitere voranschreiten der Militarisierung und Aufrüstung des deutschen Imperialismus in seinem Streben sich zu einer Supermacht zu entwickeln. Ob „Nationaler Sicherheitsrat“ oder nicht – die erste „Nationale Sicherheitsstragie“ des deutschen Imperialismus wird auf jeden Fall Ausdruck dieses Strebens sein.