Vor knapp einem Jahr publizierte die Redaktion des Klassenstandpunktes die 17. Ausgabe ihrer Zeitschrift, in der unter anderem der Artikel „Teil 2: Das Streben des deutschen Imperialismus, sich zu einer Supermacht zu entwickeln und die Krise der parlamentarischen Demokratie“ erschien, welcher an den (auch hier auf DVD publizierten) ersten Teil anschließt.
Wir freuen uns sehr, dass die Genossen uns diesen Artikel haben zukommen lassen, dessen volle Richitigkeit sich aufgrund der aktuellen Krisensituation auf die der Imperialismus hinsteuert heute, ein Jahr danach, einmal mehr gezeigt hat.
Teil 2: Das Streben des deutschen Imperialismus, sich zu einer Supermacht zu entwickeln und die Krise der parlamentarischen Demokratie
Einige Kommentare zur „Nationalen Industriestrategie 2030“
Wir haben uns bereits in der Vergangenheit mit dem Streben des deutschen Imperialismus, sich von einer „einfachen“ imperialistischen Macht zu einer imperialistischen Supermacht zu entwickeln und seine historisch ein ums andere mal gescheiterten Versuche doch noch mit Erfolg zu krönen beschäftigt. Mit dem Artikel, „Das Streben des deutschen Imperialismus sich zu einer Supermacht zu entwickeln - Einige Kommentare zum Weißbuch 2016 – Zur Sicherheitspolitik der Bundeswehr“ den unsere Redaktion im Dezember 2016 verfasste, haben wir einige erste Observationen zu dieser Thematik dargelegt. Der Fokus lagt dabei insbesondere auf der Betrachtung der militärischen Ausrichtung und entsprechenden Ambitionen des deutschen Imperialismus in dieser Frage, hat sich mit einigen Ansätzen zu der Analyse der Rolle der BRD innerhalb der EU beschäftigt, aber auch verschiedene politische und ökonomische Fragen gestreift. Wir empfehlen, zur tieferen Analyse der Thematik, die Lektüre dieses Dokuments, zumal es sich in den Jahren seit erscheinen keineswegs als falsch heraus gestellt hat, sonder im Gegenteil, seine richtigen Analysen sich immer wieder in der Realität beweisen, wie unlängst beispielsweise in der Diskussion zum „Europäischem Flugzeugträger“1.
„Der deutsche Imperialismus formiert sich immer stärker. Nachdem er in der Europäischen Union durch seine ökonomische und politische Dominanz seine Führung gegen andere imperialistische Staaten durchgesetzt hat und weiterhin durchsetzt, macht er seit einigen Jahren auch verstärkt militärisch mobil und wird seine imperialistische Aggression stärken gegen die Völker der Welt entfesseln und eine Neuaufteilung der Welt forcieren. […] Das Weißbuch zeigt deutlich wie der gesamte Staatsapparat in der BRD weiter darauf ausgerichtet wird, eine Aggression des deutschen Imperialismus zu unterstützen, d.h. neben der Außenpolitik, sowohl militärisch wie auch ökonomisch, wird auch die Innenpolitik darauf getrimmt, dass „stürmische Zeiten“ bevorstehen.“2
In der Internationalen Kommunistischen Bewegung gibt es viel Verwirrung darüber, was eine imperialistische Macht und was eine imperialistische Supermacht ausmacht. Eingehender wird diese Sache im Dokument „These über die internationale Lage und die Aufgaben in der Internationalen Kommunistischen Bewegung“3 des V. Treffens marxistisch-leninistisch-maoistischer Parteien und Organisationen in Lateinamerika behandelt. Wir beschränken uns an dieser Stelle auf einige kurze Ausführung aus der Internationalen Linie der Kommunistischen Partei Perus:
Was die erste Welt anbelangt ist sie die beiden Supermächte, USA und UdSSR, die diejenigen sind die um die Welthegemonie ringen und einen imperialistischen Krieg loslassen können, sie sind Supermächte weil sie ökonomisch, politisch und militärisch mächtiger sind als die übrigen Mächte; […] Die zweite Welt sind die imperialistischen Mächte die keine Supermächte sind, das heißt von kleinerer ökonomischer, politischer und militärischer Macht, so wie Japan, Deutschland, Frankreich, Italien usw. Die Widersprüche mit den Supermächten haben, weil sie zum Beispiel die Entwertung des Dollars ausstehen, die militärischen Begrenzungen und die politischen Diktate; diese imperialistischen 25 Mächte wollen den Wettbewerb zwischen den Supermächten benutzen, so dass sie selber als neue Supermächte hervorgehen können.4
Um den Punkt hervorzuheben: Während die imperialistischen Supermächte (erste Welt) um die Welthegemonie ringen, weil sie ökonomisch, politisch und militärisch mächtiger sind, streben die imperialistischen Mächte (zweite Welt) danach selbst Supermacht zu werden, was sie nicht sind, da sie ökonomisch, politisch und militärisch weniger relevant sind. Angewandt auf unsere Praxis gegenüber dem deutschen Imperialismus bedeutet das in Konsequenz, dass der deutsche Imperialismus sowohl ökonomisch, als auch politisch und militärisch danach strebt, eine wichtigere Rolle zu spielen.
Aus gegebenem Anlass konzentrierte sich die Anmerkungen die wir 2016 machten vor allem auf den letzteren Punkt: Das Militärische.
Mit Anlass des Erscheinens der von der Wirtschaft geforderten und von der Regierung gelieferten „Nationalen Industriestrategie 2030 - Strategische Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik“ (welches aktuell vor allem innerhalb der verschiedenen Wirtschafts- und Interessenverbänden im In- und Ausland diskutiert wird, das es aber auch immer wieder in die tägliche bürgerliche Berichterstattung schafft) wollen wir einige erste Anmerkungen zur der geplanten wirtschaftlichen Agenda des deutschen Imperialismus machen. Hierfür ist jedoch zunächst einmal notwendig, ein Verständnis der aktuellen Situation in der BRD zu entwickeln, den diese bildet den Rahmen, in dem sich der jetzt vorgeschlagene Plan entfalten soll.
Das Scheitern des Gesellschaftsvertrags
Der Term Gesellschaftsvertrag ist ein historisch gewachsener Begriff der politischen Philosophie der dazu benutzt wird, die Relation zwischen einer Autorität, zum Beispiel einem Staatsapparat, und seinen Subjekten zu beschreiben. Es beschreibt zum Beispiel, welche Vorteile und Rechte ich habe, wenn ich mich seiner Autorität unterordne. Erinnern wir uns beispielsweise, wie der Yankee-Imperialismus über Jahre den „American Dream“ nach dem Motto „vom Tellerwäscher zum Millionär“ predigte. Das Versprechen war: Es mag dir und einem Großteil der Menschen dreckig gehen, aber streng dich mehr an als alle andern (bzw. sei schlauer, ruchloser, usw.) dann kannst du in dieser Gesellschaft richtig Kohle machen, egal woher du kommst. Dass das natürlich in der Praxis nur für einen privilegierten Teil des Gesellschaft galt ist selbstredend, aber seine Prägung auf die Gesellschaft in den USA ist – obwohl seit langem als gescheitert postuliert – spürbar.
In der BRD wird seit Jahrzehnten implizit ein Gesellschaftsvertrag aufrechterhalten, nach dem große Teile der Bevölkerung, sogar größere Teile innerhalb der Klasse des Proletariats, bestochen werden, dafür das sie für sozialen Frieden sorgen. Hier ist das Motto: Jedem sein Haus, seine Familie, sein Bausparvertrag, sein Auto, sein Hund und dafür „guter Deutscher“ sein. Imperialismus ist allerdings verrottender, sterbender und untergehender Kapitalismus, wie Lenin richtig feststellte, und die ökonomische Grundlage für eine solch umfängliche Bestechung durch den deutschen Imperialismus wird immer schmaler.
Die allgemeine Tendenz des abrutschenden Teils der oberen und mittleren Schichten des Proletariats wird hierdurch noch angetrieben. Auch aus der Klasse der Kleinbürger kommen mehr und mehr Elemente in das Proletariat. Internationale Institutionen wie beispielsweise die „Organisation für ökonomische Kooperation und Entwicklung“ („Organisation for Economic Co-operation and Development – OECD“) haben dies längst erkannt und stoßen massiv Warnungen aus, dass in den imperialistischen Ländern die stabilisierende „Mittelschicht“ im Auflösen begriffen ist und dieser Trend zunehmend schneller wird.
Bevor wir uns diesen Ausführungen zuwenden, heben wir noch einmal - an der Klassenanalyse Lenins festhaltend - die Klassenfrage in der BRD hervor, um unseren Blick im Nebel des Geredes über „Mittelstand“ und „Mittelschicht“ nicht trüben zu lassen.
„Als Klassen bezeichnet man große Menschengruppen, die sich voneinander unterscheiden nach ihrem Platz in einem geschichtlich bestimmten System der Gesellschaftlichen Produktion, nach ihrem (größtenteils in Gesetzen fixierten und Formulierten) Verhältnis zu den 26 Produktionsmitteln, nach ihrer Rolle in der Gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folglich nach der Art der Erlangung und der Größe des Anteils am Gesellschaftlichen Reichtum, über den sie verfügen. Klassen sind Gruppen von Menschen, von denen die eine sich die Arbeit der andern aneignen kann infolge der Verschiedenheit ihres Platzes in einem bestimmten System der Gesellschaftlichen Wirtschaft.“5
Ohne tiefer in die Materie eintauchen zu wollen, zeigen anfängliche Untersuchung zur Klassenanalyse, dass wir in der BRD ein Proletariat haben (die größte Klasse), mit ihren drei Schichten – der unteren, der mittleren, der oberen – sowie einer vierten darüberstehenden Schicht, mit angestellten Meistern, Technikern, usw. in kleineren Betrieben und der gesamten Armee von Gewerkschaftsfunktionären usw. die die Arbeiteraristokratie ausmachen, und einer Schicht von halb-proletarischen Elementen (Taxifahrer, selbständige Handwerker, Büroangestellte in administrativen Bereichen, usw.) die vergleichbare oder schlechtere Lebensbedingungen haben als die mittlere Schicht des Proletariats. Hinzu kommt eine Klasse der Kleinbürger, geteilt in drei Schichten – untere, mittlere, obere –, die Klassen der mittleren Bourgeoisie und die imperialistische Großbourgeoisie, sowie die deklassierten Elemente des Lumpenproletariats. Die Schichten, die vor Allem von der veränderten wirtschaftlichen Situation (der Verschärfung der imperialistischen Widersprüche und einem Wegfall von einer ökonomischen Grundlage für weitreichende Bestechung) betroffen sind, sind die obersten Schichten des Proletariats und das Kleinbürgertum, dass heißt die Teile der Bevölkerung, die laut bürgerlicher Sichtweise bisher den Kern der „Mittelschicht“ ausmachten.
Auch wenn im Folgenden die verschiedenen bürgerlichen Quellen leicht unterschiedliche Definitionen vorlegen, wer zur Mittelschicht gehört, sind diese im Kern deckungsgleich und unterscheiden sich primär darin, welche Einkommensgrenzen die oberen und unteren Grenzwerte ausmachen. Zunächst zum kürzlich veröffentlichtem Bericht der „Organisation für ökonomische Kooperation und Entwicklung“, die eine Organisation ist, die regelmäßige Berichte und Vorschläge für die Politik ausgibt. So wurde beispielsweise im ersten Quartal 2019 der Bericht „Under Pressure: The Squeezed Middle Class“ veröffentlicht, in den Informationen von 36 Ländern, unter anderem der BRD und den USA eingeflossen sind. Darin heißt es:
„Die soziale Klasse bezieht sich auf eine Gruppe von Menschen, die denselben sozioökonomischen Status teilen. Wie dieser Status definiert wird, unterscheidet sich je nach den verschiedenen akademischen Traditionen und wie das Konzept angewandt wird. Als Konsequenz daraus variieren die Indikatoren die zur Definition und Analyse der „Mittelklasse“ benutzt werden innerhalb und zwischen den Disziplinen erheblich. In vielen Wirtschaftsanalysen wird das Einkommen als Schlüsselindikator für die Definition des Status der Mittelklasse verwendet. In den übrigen Sozialwissenschaften basieren die meisten Maßstäben und Indikatoren auf dem Berufs- und Beschäftigungsstatus, obwohl auch soziales, kulturelles und wirtschaftliches Kapital betrachtet wird. Die Mittelklasse wurde auch mit subjektiven Maßstäben wie der sozialen Klassenidentifikation definiert.
In diesem Bericht wird das Einkommen als Maßstab für die Analyse der Mittelklasse herangezogen, und diese Wahl wird durch die hauptsächliche Verwendung des Begriffs „Mittlereeinkommensklasse“ anstelle von „Mittelklasse“ hervorgehoben. Der Bericht geht jedoch über die reine Einkommensperspektive hinaus, indem er die Bedeutung der Polarisierung von Arbeitsplätzen (Kapitel 3) und des Konsums (Kapitel 4) für die Mittelklasse im Detail analysiert. In beiden Fällen bleibt jedoch die Mittlereeinkommenklasse der Maßstab. In diesem Bericht wird die „Mittlereeinkommensklasse“ als die Bevölkerung definiert, die in Haushalten mit einem Einkommen zwischen 75% und 200% des nationalen Medians lebt“6 7
Dieser Logik folgend kommt die OECD zu dem Schluss, dass in der BRD Menschen zwischen 17.861 und 47.628 US$ jährlich (d.h. zwischen 1333 und 3555€ monatlich) zur Mittelschicht zu zählen sind. Hier zu Lande grenzt die bürgerliche Presse unter Berufung auf das Institut der deutschen Wirtschaft die Mittelschicht so ein:
„Wenn man zwischen 60 und 200 Prozent des Medianeinkommens verdient, zählt man zur mittleren Einkommensschicht. Konkret bedeutet das, dass ein Single, der zwischen 985 Euro und 4095 Euro zur Verfügung hat, in diese Gruppe gehört, so das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Bei einer Familie mit einem Kind verfügt die Mittelschicht zwischen 1770 Euro 7370 Euro im Monat.“8
Entsprechend der jeweiligen festgelegten Grenzwerte um das Medianeinkommen gehören also alle alleinstehenden Menschen die über 985€ im Monat verdienen mindestens zur „Mittelschicht“. Das bedeutet, in der bürgerlichen Analyse ist man Teil der „Mittelschicht“, wenn man mehr als 1300€ brutto im Monat Lohn bekommt. Konkret: bei momentan 9,19€ Mindestlohn ist man bei einer 37,5 Stundenwoche schon „Mittelschicht“. Fernab von der bürgerlichen Zahlendreherei ist unserer bescheidenen Erfahrung nach jemand der ein Einkommen von 1300€ brutto hat normalerweise Teil der mittleren bis unteren Schicht des Proletariats. Es ist absurd zu postulieren wer für Mindestlohn arbeite sei „Mittelschicht“. Warum also wird dies in beiden Beispielen getan? Aus dem einfachen Grund, dass das was die Bourgeoisie „Mittelschicht“ nennt im Auflösen begriffen ist und einen immer geringeren Anteil der Bevölkerung, insbesondere im Verhältnis zu der „Unterschicht“ ausmacht. Die Widersprüche in der Gesellschaft spitzen sich zu, die Bestechung der oberen Schichten des Proletariats und des Kleinbürgertums schrumpft und die untere Schichten des Proletariats vergrößern sich relativ und absolut. Die Chancen abzurutschen wachsen.
Abb. 1: Anteil der Bevölkerung an Haushalten mit mittlerem Einkommen und dem jährlichen Median. Das bedeutet, dass z.B. in den USA, bei einem Medianwert von 32.000$, etwa 50% der Bevölkerung ein mittleres Einkommen innerhalb der 75% bis 200% davon hat.9
„Wer als relativ arm gilt, verdient weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens - dabei werden Haushaltseinkommen zusammengefasst. Für einen Single-Haushalt bedeutet dies: Wer weniger als 999 Euro pro Monat zur Verfügung hat, gilt als relativ arm. Eine vierköpfige Familie erreicht diese Schwelle bei 2152 Euro für Westdeutschland. Im Osten liegt sie bei 1921 Euro. Der Anteil dieser Menschen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Die Armutgefährdungsquote betrug in Deutschland 2017 15,8 Prozent, zehn Jahre zuvor lag sie noch bei 14,3 Prozent, so die Ergebnisse des Mikrozensus. Das Sozio-oekonomische Panel des DIW errechnete sogar 16,8 Prozent, also 13,7 Millionen Menschen, die von Armut bedroht sind.“10
Das es von einem Hungerlohn unter 1000€ schwer fällt über die Runden zu kommen, wenn man ein paar hundert Euro Miete, Strom und Internet sowie dazu noch Nahverkehr oder Auto bezahlt und für seinen Lebensunterhalt aufkommen muss, dürfte jedem klar sein. Der Wucherer Vexcash hat unlängst Studienergebnisse veröffentlicht, in denen zehn deutsche Städte zum Vergleich aufgestellt wurden. Demnach geben Alleinstehende in den Städten in Deutschland im Durchschnitt rund „rund 1600 Euro monatlich für Wohnen, Energie, Nahrung, Verkehrsmittel, Kleidung und Freizeit aus. Einige Städte sind deutlich teuer wie München, Stuttgart oder Frankfurt, wo monatlich rund 2300 Euro ausgegeben werden. Berliner und Leipziger geben durchschnittlich weniger als 1400 Euro pro Monat aus.“ Was sich zeigt ist, das du selbst dann zur Mittelschicht gerechnet wird, wenn dein Geld, statistisch betrachtet, nicht zum leben reicht. Betrachten wir die Situation von Familien sieht es wenig anders aus (Abb. 2). In der Betrachtung der Zahlen ist auffällig, dass – obwohl es seit den 80ern einen drastischen Rückgang von Paaren mit Kindern gab (9%) – auch die Armut dieser Familien zumindest leicht zugenommen hat. Auf der anderen Seite ist der Anteil von alleinerziehenden Eltern, die ein geringes Einkommen haben, obwohl in der relativen Anzahl kaum größer geworden, explodiert (von 40% auf 54%).
Abb. 2: Verteilung der Bevölkerung nach Familientyp und Einkommensgruppe, OECD Durchschnitt, von Mitte 1980 bis Mitte 2010.
„Das mittlere Einkommen ist in den letzten 10 Jahren real kaum gewachsen und, wichtig, ist seit drei Jahrzehnten langsamer gewachsen als die oberen und obersten Einkommen. Im Durchschnitt der OECD-Länder sind die realen Durchschnittseinkommen um ein Drittel weniger gestiegen als die der Obersten 10%. Infolgedessen ist der Anteil der Mittelschicht am Einkommen im Vergleich zur Oberklasse geschrumpft: Während die Gesamtsumme der mittleren Einkommen in den 1980er Jahren viermal höher war als die der Oberen Einkommensklasse, war es in der Mitte der 2010er weniger als dreimal so groß. Der schwindende Einkommensanteil der mittleren Einkommensgruppe kann auch zu einem schwächeren wirtschaftlichen und politischen Einfluss führen. Die Mittlere Einkommensklasse ist kleiner als vor drei Jahrzehnten. Alle 10 Jahre hört durchschnittlich 1% der Bevölkerung auf, mittleres Einkommen zu haben. Ein Drittel der Haushalte, die aus der Mittleren Einkommensklasse raus sind, sind in die Obere Einkommensklasse gewandert. Die restlichen zwei Drittel sind jedoch unteres Einkommen geworden. Die hauptsächlich davon Betroffenen waren die Haushalte in den mittleren und unteren Regionen der Mittleren Einkommensgruppe. Tatsächlich wuchs die obere Mittlere Einkommensklasse sogar in den meisten Ländern, in denen die Mittlere Einkommensklasse als Ganzes schrumpfte. Die Folgerung ist eine zunehmende Kluft innerhalb der Mittelschicht.
Abb. 3: Anteilsveränderungen des Medianeinkommen und der Kosten eines bestimmten Haushaltsgegenstands, OECD-Durchschnitt.
Die Chancen, innerhalb des mittleren Einkommens zu sein, sind für Familien mit Kindern und junge Erwachsene gefallen. Im Unterschied zu vor 30 Jahren, sind die meisten Familien mit einem Alleinerziehendem heute in der Unteren Einkommensklasse. Seit der Generation der Baby-Boomers ist für jede neue Generation die Chance gefallen, zur Mittleren Einkommensklasse zu gehören.
Warum einen Schwerpunkt auf die Mittelklasse setzen? Die Mittelklasse war früher ein angestrebtes Ziel. Für viele Generationen bedeutete dies die Gewissheit, dank eines stabilen Arbeitsplatzes mit Karrieremöglichkeiten, in einem komfortablen Haus zu leben und sich einen einträglichen Lebensstil zu leisten. Es war auch eine Basis, von der aus Familien eine noch bessere Zukunft für ihre Kinder anstrebten. Auf der Makroebene unterstützt die Präsenz einer starken und prosperierenden Mittelklasse gesunde Volkswirtschaften und Gesellschaften. Durch ihren Konsum, ihre Investitionen in Bildung, Gesundheit und Wohnen, ihre Unterstützung für hochwertige öffentliche Dienstleistungen, ihre Intoleranz gegenüber Korruption und ihr Vertrauen in andere und in demokratische Institutionen sind sie die Grundlage für integratives Wachstum. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass dieses Fundament unserer Demokratien und unseres Wirtschaftswachstums nicht mehr so stabil ist wie in der Vergangenheit. Wird das mittlere Einkommen ausgehöhlt? In den OECD-Ländern verringerte sich der Anteil der Menschen in Haushalten mit mittlerem Einkommen, definiert als Haushalte mit einem Einkommen zwischen 75% und 200% des nationalen Medianeinkommens, zwischen Mitte der 1980er und Mitte der 2010er Jahre von 64% auf 61%. Der wirtschaftliche Einfluss der Mittelklasse und ihre Rolle als „Zentrum wirtschaftlicher Anziehung“ hat sich ebenfalls abgeschwächt. Die Gesamtsumme aller Einkommen der Haushalte mit mittlerem Einkommen war vor drei Jahrzehnten viermal so groß wie die Gesamtsumme aller Einkommen der Haushalte mit hohem Einkommen; heute ist das Verhältnis weniger als Drei. Die mittlere Einkommensgruppe ist mit jeder nachfolgenden Generation kleiner geworden: 70% der Baby-Boomer waren in ihren Zwanzigern Teil der Mittelklasse, verglichen mit 60% der Millennials. Die Baby-Boom Generation kam in ihrem Arbeitsleben in den Vorzug stabilerer Jobs. Ist die Mittelklasse unter Druck? Tatsächlich sind in den meisten OECD Ländern mittlere Einkommen sowohl relativ als auch absolut kaum gewachsen. Insgesamt sind in den letzten 30 Jahren die Medianeinkommen um ein Drittel weniger gewachsen als das durchschnittliche Einkommen der reichsten 10%. Parallel dazu sind die Kosten essenzieller Bestandteile des Lebensstils der Mittelklasse viel schneller gewachsen als die Inflation; Die Preise für Häuser sind in den letzten zwei Jahrzehnten dreimal schneller gewachsen als das Haushaltsmedianeinkommen. Das hat stattgefunden im Kontext von steigender Jobunsicherheit in sich schnell ändernden Arbeitsmärkten. Einer aus Sechs Arbeitsplätzen mit mittlerem Einkommen ist akut bedroht von Automation. Mehr als Einer aus Fünf Haushalten gibt mehr aus, als er verdient. Überschuldung für Haushalte mit mittlerem Einkommen ist höher als sie es sowohl für solche mit geringem als auch mit hohem Einkommen ist. Das Resultat ist, dass heute die Mittelklasse immer mehr wie ein Schiff in rauen Gewässern aussieht.Viele Haushalte mit mittlerem Einkommen stehen heute dem beachtlichen Risiko gegenüber in die Untere Einkommensklasse abzurutschen: Einer aus Sieben Haushalten in den mittleren 60% der Einkommensverteilung und Einer aus Fünf all jener im zweitniedrigsten Einkommensquintils rutschen innerhalb einer Zeitspanne von vier Jahren in die untersten 20%. Diese Risiken sind in den letzten Zwei Jahrzehnten in vielen OECD Ländern gestiegen. Gleichzeitig haben wohlhabendere Haushalte mit mittlerem Einkommen heute etwas geringere Risiken. Dies deutet auf eine steigende Wahrscheinlichkeit eines Bruchs in der Mittelschicht hin.“11
Wir haben dieses längere Zitat gewählt, weil die OECD hier das Problem selbst benennt und als Politikgeber für die Imperialisten klare Warnungen ausspricht. Besonders auf zwei Punkte insistiert die OECD. 1) Die Mittelschicht war eine Sache, „nach der man strebt“, die ein „Fundament unserer Demokratien“ ist und die „vertrauen in den demokratischen Institutionen“ hat, usw. 2) Diese Schicht wird jedoch zunehmend kleiner, ein Großteil – vor allem am unteren Rand – rutscht ab in die Kategorie der Einkommensschwachen. Gleichzeit hat die Jugend von Jahr zu Jahr weniger Chance, jemals die „Mittelklasse“ zu erreichen.
Parlamentarische Krise
Diese Entwicklung einer Situation, in der 1) der bisherige Gesellschaftsvertrag in Auflösung begriffen ist, 2) die Reihen des Proletariats wachsen und 3) große Teile des Proletariats und Kleinbürgertums die akute Angst haben abzurutschen, äußert sich sowohl in der BRD aber auch in anderen imperialistischen Ländern mit einer Krise des parlamentarischen Systems. Der alte Deal „Versprechen auf möglichen Wohlstand gegen Versprechen auf sozialen Frieden“ geht für einen größer werdenden Teil nicht mehr auf und unter anderem deswegen kriselt die Legitimation der Regierung, wie von der OECD angemerkt. Eine vor kurzem durchgeführte Umfrage anlässlich des 70. Jahrestag des Grundgesetzes zur Zufriedenheit mit der (bürgerlichen) Demokratie12 ergab, dass 47% der Menschen, die weniger als 1500€ netto im Monat bezahlt bekommen – das heißt mehr als die Hälfte aller Arbeitenden – unzufrieden mit dem System ist.13 Als Marxisten-Leninisten-Maoisten, die ihre Arbeit hauptsächlich im Proletariat und dort unter seinen tiefsten und breitesten Massen entwickeln, kommt diese Erkenntnis wenig überraschend. Aber es bestätigt einmal mehr, was in der Vergangenheit gesagt wurde.
Abb. 4: Wahrscheinlichkeit, innerhalb der nächsten vier Jahre in niedriges Einkommen abzustürzen. Ensprechend wird jeder vierte Haushalt in den USA in den nächsten vier Jahren abrutschen.
Gleiches gilt in der Frage der Abstinenz von den Wahlen, wo immer wieder kontinuierlich Behauptungen im Raum stehen, Menschen würden nicht wählen gehen, weil sie zu faul sind, bzw. so apolitisch, dass ihnen die Wahlen egal sind. Dies sei um so mehr der Fall, je ärmer die Leute sind, insbesondere bei Arbeitslosen. Schauen wir auf die Studienergebnisse über arbeitslose Nichtwähler, die von der Denkfabrik Stuttgart in ganz Deutschland durchgeführt wurde:
„die Bertelsmann-Stiftung [hat] einen Zusammenhang zwischen Nichtwählen und Langzeitarbeitslosigkeit in allen deutschen Großstädten nachgewiesen. Aber die 70 Nichtwähler, die wir [...] für unsere Studie interviewt haben, waren durchweg politisch interessiert und auch gut informiert. Das hat uns auch selbst etwas überrascht.
[…]
Die Menschen sind von der Politik enttäuscht. Sie erleben, dass sich für sie nichts zum Besseren ändert. Die Nicht-Wahl verstehen viele als politisches Statement: Ihre Stimme abzugeben, würden sie als falsche Legitimation sehen von etwas, mit dem sie gar nicht einverstanden sind.
[…]
Sie gehen nicht wählen, weil sie das Gefühl haben, dass sich Politik nicht für sie interessiert, ihre Lebensleistung nicht anerkennt. Viele Langzeitarbeitslose haben ja schon 30, 40 Jahre in die Sozialkassen eingezahlt. Dann gibt es noch das Gefühl, dass Politik nur Politik für die Reichen macht. Das Gefühl ist auch nicht falsch: Eine Studie von Armin Schäfer von der Uni Osnabrück hat empirisch belegt, dass die Entscheidungen in den Parlamenten überwiegend mit den Interessen der Wohlhabenden übereinstimmen.“14
Was von den revolutionären Kräften in der BRD schon länger erklärt wurde, wird mittlerweile auch von der bürgerlichen Presse erkannt. Die tiefsten und breitesten Massen lehnen die Wahlen ab. In den proletarischen Stadtteilen ist die Wahlbeteiligung meist nicht mal bei der Hälfte, oft gerade mal bei einem Drittel. Das ist keine neue Erkenntnis. Es ist zu betonen, dass einer der zentralen, von den interviewten Nichtwählern aufgeführten Punkte die Situation ist, in der man 30 oder 40 Jahre gearbeitet hat, aber am Ende doch kein Eigenheim mit Hund und Auto winken.
Dies ist der Rahmen und die allgemeine Tendenz, in der ein zunehmendes Abrutschen von Teilen des „Mittelstands“ in die unteren Schichten des Proletariats diskutiert werden muss. Die Einschätzung der Think-Tanks der Bourgeoisie ist nicht verkehrt, wenn sie Furcht davor sät, dass dies die Grundlage ihres Systems weiter untergraben wird.
So führt die OECD in ihrem Bericht aus:
„Politische Instabilität ist ein wichtiger Kanal, durch den eine unter Druck gesetzte Mittelschicht ökonomische Investition und Wachstum behindern könnte.
Ein wachsender Eindruck von Verletzbarkeit, Unsicherheit und Angst hat zu einem wachsenden Misstrauen gegenüber globaler Integration und öffentlichen Einrichtungen geführt.“15
„Eine unter Druck gesetzte Mittelschicht erhöht ökonomische, soziale und politische Risiken […] in Mittelklasse-Haushalten gibt es jetzt eine wachsende Unzufriedenheit mit der ökonomischen Situation.”16
„Gesellschaften mit einer starken Mittelschicht haben niedrige Verbrechensraten, es gibt mehr Vertrauen und Zufriedenheit und eine bessere politische Stabilität und gutes Regieren.“17
Populismus als Rettung?
Die „Mittelschicht“ beginnt also, zu rebellieren. Die Bourgeoisie versucht das in den Griff zu bekommen und zu lenken durch die sogenannte populistische Bewegung. Von Syriza bis Podemos als Vertreter derer, die sich links nennen, bis zu Vox, AfD und alledem, was mehr oder weniger offen Rechts ist – und die ganze Bandbreite dazwischen. All diese haben bisher eine Sache sehr deutlich gezeigt: sobald sie ins Parlament kommen, agieren sie genau wie alle anderen bürgerlichen Parteien innerhalb dieses Parlaments. Wenn sie an die „Macht“ kommen, das heißt ein paar Stimmen in der Wahl erheischen, ändern sich ein paar kleinere Sachen, aber es findet keine Transformation der Regierungsform von der parlamentarischen Demokratie zum offenen Faschismus statt – auch wenn dies das Schreckensbild ist, das immer von all den Steigbügelhaltern der bürgerlichen Wahlfarce aus den Reihen der sogenannten Linken in der BRD gezeichnet wird.
In Norwegen sitzen diese Kräfte jetzt mit der „Fortschrittspartei“ in der Regierung. In Dänemark war die „Dänische Volkspartei“ Voraussetzung dafür, dass der „Blaue Block“, der Konservativen die Regierung bilden konnten, auch wenn sie jetzt nicht Teil der Regierung sind. Die Beispiele machen den Punkt klar: Diese Kräfte, genau wie alle anderen am Wahlzirkus teilnehmenden Parteien und Organisationen, integrieren sich letztendlich in das bürgerliche Parlament. Sie können versuchen, eine faschistische Massenbewegung hinter sich aufzubauen, aber sobald sie es ins Parlament schaffen, agieren sie wie alle anderen parlamentarischen Kretins auch.
Dennoch fällt ihnen eine besondere Rolle zu: Dies sind die Parteien, die all jene in das System inkorporieren sollen, deren größte Sorge das Abrutschen in die Reihen der unteren Schichten des Proletariats ist. All jener verängstigten Kleinbürger und Arteiteraristokraten, die ihre Felle davon schwimmen sehen und lieber eine gespaltene und noch tiefer ausgebeutete Arbeiterklasse, noch mehr Krieg und Unterdrückung hinnehmen, als dass sie ihre Privilegien, ihre Bestechung verlieren. Sie sind, neben den Lumpen, die maßgeblich mobilisierte Zielgruppe von Parteien wie der AfD, die diese Kräfte in die Parlamente kanalisiert, auch um die Neuauflage eines Gesellschaftsvertrags voran zu treiben, der Bestechung und Privilegien für eine noch kleinere Clique, dafür aber noch stärkere Reaktionarisierunng und Korporativisierung für den Rest vorsieht, verbunden mit den üblichen Angriffe auf die Einheit unserer Klasse, mit der Spaltung in Proleten nach Hautfarbe und Herkunft, Beschneidung der Rechte, Abladen der Krisenlasten auf die Schultern des Volkes, usw. Die genannten Gründe zeigen, weshalb man diese Bewegung nicht mit einer faschistischen Bewegung wie die in den 20er Jahren in Italien vergleichen kann. Die AfD ist keine NSDAP und wenn die AfD in die Regierung kommen würde, dann machen sie das wie die FPÖ in Österreich: Dort hat der Ehemalige Vizekanzler Reinhold Mitterlehner erklärt, die Regierung des Kanzler Kurz sei auf dem Weg „von einer liberalen Demokratie, die wir einmal hatten, zu einer autoritären Demokratie, die wir derzeit sind oder sein werden“18. Doch an der Regierungsform ändert sich nichts, es bleibt eine „Demokratie“; und das ist der Kern der Sache. Es bleibt eine parlamentarische Demokratie, mit der die Diktatur der Bourgeoisie verwaltet wird und wird nicht per Stimmzettel faschistisch. Für die Bourgeoisie ist Faschismus in der jetzigen Situation von zu wenig Vorteil. Für sie ist es besser, so lange wie möglich und notwendig die parlamentarische Demokratie aufrecht zu erhalten, denn diese garantiert im Moment noch sozialen Frieden, während ein Übergehen zum Faschismus die Widersprüche und den Klassenkampf um Meilen nach Vorn katapultieren würde.
Die parlamentarische Demokratie, der Überbau und das politische System allgemein bekommen immer deutlichere Probleme, je mehr sich die kommende ökonomische Krise und damit der sterbende Kapitalismus äußern. Politisch kommt das vor Allem in der Ablehnung der Wahlen zum Ausdruck, in ihrem Boykott und in dem verlorenen Vertrauen in die Parteien, die ihre Versprechen nicht erfüllen. In Österreich wird die eine politische Krise von Schwarz- Blau nur von der nächsten überschattet, (erneute!) Neuwahlen stehen an. In Frankreich, wo Macron mit der Bewegung „en marché“ (sogar wortwörtlich eine „Bewegung“) an die Spitze des zweitwichtigsten Staates innerhalb der EU katapultiert wurde, fordert das Volk seit nunmehr mehreren Monaten wöchentlich die Repressionsorgane des Staats heraus. In der BRD steuern wir einer Situation entgegen, in der die Ära der Stabilität Angela Merkels zu Ende geht. Wie schon bei den vorherigen Wahlen wird die Bourgeoisie daher auch hier wieder mit allen Mitteln versuchen, einer sinkenden Wahlbeteiligung entgegenzuwirken. Was die Mittel anbelangt dies zu gewährleisten, wird in der BRD diskutiert und untersucht. Doch wie die Wissenschaftler selbst einräumen müssen:
„Schnell wurde klar, dass es sich dabei um ein tiefer liegendes, strukturelles Problem handelt. Eines, dass mit einfachen Instrumenten kaum zu lösen ist. Absenkung des Wahlalters? Wählen im Supermarkt? Politikwissenschaftler Thorsten Faas sieht darin kaum Abhilfe. „Nicht jede Steigerung der politischen Beteiligung sorgt für ein Schließen der sozialen Schere“, sagte der Wahlforscher von der FU Berlin. Von derlei Maßnahmen profitierten vor allem diejenigen, die ohnehin politisch interessiert sind.“19
Dies alles macht einmal mehr die strategische Notwendigkeit des Wahlboykotts klar. Die Massen müssen in dieser Frage von Anfang an geschult werden. Der Wahlboykott, die strategische Ablehnung der parlamentarischen Demokratie ist die Voraussetzung für die proletarische Revolution in diesem Land.
Ökonomische Krise
Die nächste weltweite Krise wird kommen und ihre Auswirkungen auch in der BRD kraftvoll entfalten, darin sind sich alle bürgerlichen Wirtschaftsmagazine einig. Einzig der Zeitpunkt ist eine Frage der Diskussion, was diverse Fachabteilungen aber nicht davon abhält, bereits Ideen und Richtlinien für den Kapitalerhalt zu erarbeiten. So heißt es beispielsweise:
“Dieses Jahr braut sich ein weiterer unangenehmer Meilenstein zusammen: Der Moment, in dem Europas größte Wirtschaft dazu gezwungen ist, sich mit ihren Unzulänglichkeiten auseinanderzusetzen. Deutschland fühlt sich heute an, als würde es die letzten Tage einer Ära durchleben; bevorstehender Wandels liegt in der Luft, auf die niemand vorbereitet zu sein scheint. Das Land bleibt wohlhabend und politisch stabil, aber es ist schwer das Gefühl abzuschütteln, dass die Deutschen den Gefahren für die Grundlagen ihres Wohlstands selbstgefällig gegenüberstehen.
Die Dämmerung der langen Kanzlerschaft Angela Merkels steht im Zentrum dieser Atmosphäre. Sie hat das Land durch die globalen Krisen geführt: Den Kollaps von 2008, den Zusammenbruch von Griechenland, den Zustrom von Flüchtlingen, und unterschiedliche Bedrohungen für den Euro. Merkel war Verfechterin von Sparmaßnahmen, und dennoch hielt ihre Verwaltung des deutschen Wirtschaftsmotors den Kontinent stabil. Ihre handverlesene Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer ist weitgehend unbekannt. Ihre bisher größte Errungenschaft ist die Abwehr eines Anti-Merkel-Kandidaten als Parteichef der Christdemokratischen Union.
[…]
Nichts davon lässt Gutes für die Auswärts gerichtete Wirtschaft des Landes erahnen. Deutschland, der drittgrößte Exporteur der Welt, ist dem Gegenwind eines globalen Handelskrieges stärker ausgesetzt als seine Konkurrenten. Die Wachstumsaussichten für dieses Jahr wurden angesichts eines alarmierenden Rückgangs, der ganz Europa in Mitleidenschaft zieht, heruntergesetzt. Währenddessen folgen andere G20 Nationen von Brasilien bis Italien Donald Trump darin, sich nach Innen zu wenden und nationalistische Programme anzunehmen. Deutschland ist isoliert und sieht sich Agenden von Übersee ausgesetzt, die - schwach, aber beunruhigend - in seinem eigenen Populismus widerhallen.“20
Angesichts dieser Situation veröffentlichte der Wirtschaftsminister der BRD, nach langem Drängen der Wirtschaft über Interviews, Auftritte und Manifeste in der Presse, im Februar die sogenannte „Nationale Industriestrategie 2030 – Strategische Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik“, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ausgearbeitet wurde.
Bevor auf den Inhalt des Dokuments eingegangen wird, muss bereits der von Chauvinismus triefende Untertitel des Dokuments hervorgehoben werden: Getreu den im „Das Streben des deutschen Imperialismus, sich zu einer Supermacht zu entwickeln“ betonten Aspirationen des deutschen Imperialismus, sich als Hegemon in der Europäischen Union zu entfalten, erarbeitet ein Bundesministerium natürlich strategische Leitlinien für die europäische Industriepolitik.
Zunächst einmal heißt es im Dokument selbst:
„Würden technologische Schlüsselkompetenzen verloren gehen und infolgedessen unsere Stellung in der Weltwirtschaft substanziell beschädigt, hätte das dramatische Folgen für unsere Art zu leben, für die Handlungsfähigkeit des Staates und für seine Fähigkeit zur Gestaltung in fast allen Bereichen der Politik. Und irgendwann auch für die demokratische Legitimität seiner Institutionen.“21
Wirtschaftliche Gefährdung mit „dramatischen Folgen für unsere Art zu leben, für die Handlungsfähigkeit des Staates“ und „auch für die demokratische Legitimität seiner Institutionen“ ist, was bereits in den vorherigen Kapiteln ausgeführt wurde, aber auch in diesem Dokument an prominenter Stelle als zu vermeidende Gefahr dargestellt wird. Die Krise des Finanzkapitals ist die Krise des imperialistischen Staates. Der imperialistische Staat kann die Bestechung eines Teils der Bevölkerung und einen bestimmten minimalen Lebensstandard nicht länger erhalten. Entsprechend kommt die Legitimität der demokratischen Institutionen in Gefahr, droht die politische Instabilität, die soziale Spaltung wird zu groß.
a) Monopolisierung
Als ein Hauptproblem im Strategiepapier wird der „Mangel an richtigen Monopolen“ hervorgehoben, die in der Lage sind, nicht nur in der BRD, sondern in Europa, oder noch besser weltweit, eine bedeutende Rolle zu spielen. Hierfür wird der Slogan „Nationale und europäische Champions: Größe zählt – Size matters!“ ausgegeben.
In der Wortwahl der Bourgeoisie markiert dies einen Paradigmenwechsel, wurde doch in der Vergangenheit immer behauptet es gehe um die Konkurrenz. „Konkurrenz, Mittelstand und Innovation“ - das seien die Mittel für nachhaltigen Erfolg, so war die Propaganda. Jetzt jedoch: Je größer und je globaler, desto besser. Wie ist dies zu erreichen?
„Wenn es in einem Land an Unternehmen fehlt, die die notwendige kritische Größe erreichen, um bedeutende Projekte zu realisieren und sich im internationalen Wettbewerb gegen große Konkurrenten zu behaupten, führt dies faktisch zum Ausschluss von einem bedeutenden und wachsenden Teil des Weltmarktes.“22
Das heißt die BRD braucht deutsche Monopole, die groß genug sind mit den anderen imperialistischen Monopolen zu kämpfen. Es muss an dieser Stelle auch erinnert werden, dass es nicht nur um das Industriekapital geht – auch wenn die Diskussion vordergründig über die Industrie geht –, sondern Industriekapital nur eine Seite des Finanzkapitals ausmacht, die mit der anderen, dem Bankkapital, verschmolzen ist. Es ist daher kein Zufall, dass in der Diskussion, wie sich der deutsche Imperialismus auf die Krise vorbereitet, neben der Frage der großen Industriemonopole gleichzeitig erste Verhandlungsrunden über eine Zusammenlegung der Deutschen Bank und der Commerzbank diskutiert wird. Auch wenn diese erst mal gescheitert scheinen, waren sie ein erstes Ausloten der Möglichkeiten, die beiden größten deutschen Banken zusammenzulegen, was von Seiten des Finanzministeriums ausdrücklich forciert wurde.
„Die Zukunft der Deutschen Bank ist eine Frage von nationaler Bedeutung. Wie in kaum einem anderen großen Land hängt das Wirtschaftswachstum Deutschlands von der Exportindustrie ab - die in hohem Maße davon abhängt, dass die Deutschen Bank und die Commerzbank Handelsfinanzierungen und andere wichtige Bankdienstleistungen wie Zahlungsverkehrs und Risikomanagementprodukte bereitstellen. Genau wie in Europa die Bedenken über die nächste Rezession anfangen zu brodeln, so nehmen auch die Sorgen zu, dass Deutschland nicht mehr viel einheimische Finanzindustrie haben wird, sollte sie zuschlagen.“23
Ein Problem, das der deutsche Imperialismus hier hat, sind die Gesetze, die geschaffen wurden, um genau diese Monopole nicht zuzulassen. Der deutsche Imperialismus hat seine Erfahrungen gemacht mit IG Farben und Co. Aber das Problem lässt sich lösen:
„Das europäische und deutsche Wettbewerbsrecht müssen überprüft und gegebenenfalls geändert werden, internationaler Wettbewerb „auf Augenhöhe“ möglich bleibt.“24
Es wird eine ganz simple Folge aufgestellt: Deutschland kann durch die Behinderung der Gesetze nicht mehr konkurrieren. Dadurch wird unsere Art und Weise zu leben gefährdet. Das führt dazu, dass kein Vertrauen mehr in die demokratischen Institutionen gelegt wird. Ergo müssen, um das Vertrauen in die demokratischen Institutionen zu festigen, die Gesetze über Bord geworfen werden.
b) Staatsmonopolistischer Kapitalismus
Das erwähnte Zusammenlegen von der Deutschen Bank mit der Commerzbank, um eine „Superbank“ zu erschaffen, um alle anderen Monopole zu stärken, hätte aus Sicht der deutschen Regierung auch den Vorteil, dass sie direkte Anteile an dieser Superbank halten würde. Aktuell ist sie im Besitz von 15% der Aktien der Commerzbank, was nach einer Zusammenlegung der Banken in einen immer noch beachtlichen Anteil von 5% enden würde.
„Die Strapazen der Deutschen Bank sind das Letzte, was Deutschland braucht, um mit einer sich abschwächenden Wirtschaft und einem Anstieg des politischen Populismus fertig zu werden. Ein Jahrzehnt nach der globalen Finanzkrise und lange nach dem sich die meisten der Gegenstücke der Deutschen Bank in den USA und in Europa erholt haben, hat eine Nation, die Kreditkarten- und Budgetdefizite meidet, irgendwie ein Bankproblem in den Händen. Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel von den Verhandlungen distanziert hat, ist die Deutsche Bank aufgrund ihrer Unfähigkeit, sich aus eigener Kraft zu erholen, in einer schwierigen Lage. Deutschland fordert seit Jahren, dass die Länder der Eurozone ihren Bankensektor aufräumen und sicherstellen, dass sie keine vom Steuerzahler finanzierten Rettungspakete benötigen. Aber jetzt, wenn es eine Kombination gibt, könnte es sein, dass Berlin ungefähr 5 Prozent der größten Bank des Landes besitzt, was hauptsächlich auf die strategischen Fehltritte der Deutschen Bank zurückzuführen ist.”25
c) Mittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen
In der Frage der Maßnahmen, die zu treffen sind, um die Interessen des Kapitals durchzusetzen, wird zunächst einmal dafür argumentiert, dass dies eine Notwendigkeit ist, da die imperialistische Konkurrenz dies auch mache und anders kein Erfolg erzielt werden könne. Gleichzeitig werden klare Worte für den Kampf mit den anderen imperialistischen Mächten ausgegeben und wie der deutsche Imperialismus darin zu agieren hat:
„Industriepolitische Strategien erleben in vielen Teilen der Welt eine Renaissance, es gibt kaum ein erfolgreiches Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich und ausnahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt.
Es gibt ganz offenbar Strategien rascher Expansion mit der klaren Zielrichtung, neue Märkte für die eigene Volkswirtschaft zu erobern und – wo immer möglich – zu monopolisieren.“26
„Eine deutsche und europäische Politik, die grundlegende wirtschaftspolitische Herausforderungen verdrängt und unbeantwortet lässt, würde die eigenen Unternehmen in einer schwierigen Phase alleine lassen und schwächen.“27
Wie geht man aber vor gegen die „Strategien rascher Expansion mit der klaren Zielrichtung, neue Märkte für die eigene Volkswirtschaft zu erobern und – wo immer möglich – zu monopolisieren.“? Verbietet man das dann anderen imperialistischen Ländern einfach? Dazu ist die BRD nicht in der Lage. Also muss sie diese selbst anwenden. Das ist der Kern dieses Strategiepapiers. Vor allem muss das Ganze schnell gemacht werden, damit die BRD nicht „vom „rule-maker“ zum „ruletaker“, zur verlängerten Werkbank derjenigen Länder, die rechtzeitig gehandelt haben“28 wird. Das bedeutet auch, dass die BRD heute „rule-maker“ ist. Was aber mit dieser Aussage sehr klar gemacht wird ist: die BRD will eine Supermacht werden. Inhaltlich deckt sich das auch mit der entsprechenden Analyse des Weißbuchs der Bundeswehr:
„Die Frage des „Lead-Nation-Ansatzes“ („Führungsnationansatz“) und der „Rahmennation“ müssen auch im Lichte der Zentralisierung der EU-Kriegspolitik und der Durchsetzung der militärischen Führung betrachtet werden. Die Definition der Lead- Nation lautet:
„Eine Lead-Nation ist eine Nation mit dem Willen und der Fähigkeit, Kompetenz und dem Einfluss, um die essenziellen Elemente politischer Konsultation und militärischer Führung zur Koordination der Planung, Ausstattung und Durchführung einer militärischen Koalitionsoperation zur Verfügung zu stellen. Innerhalb des überspannenden organisatorischen Rahmens, von der Lead-Nation zur Verfügung gestellt, können andere Nationen, die an der Koalition teilnehmen als Functional- Lead-Agent(s) bestimmt werden, um bestimmte spezifische kritische Unterfunktionen der Operation zur Verfügung zu stellen und/oder sie zu koordinieren und sie auszuführen, basierend auf nationaler Fähigkeit. Diese Konstruktionen können auf strategischer, operationaler und/ oder taktischer Ebene gelten.“29
Der Lead-Nation-Ansatz ist also die Durchsetzung der Führung eines imperialistischen Staates in einer imperialistischen Aggression und die Unterordnung militärischer Kapazitäten anderer Länder, um die Truppenstärke zu erhöhen und gewisse Aufgaben auf andere Bündnispartner zu verteilen. Die Kapazitäten dafür möchte die BRD für sich schaffen und ebenso bei seinen Bündnispartnern die Möglichkeit schaffen unterschiedliche Aufgaben auf sie abwälzen zu können. Dieses Konzept gilt allerdings in der Hauptsache für einzelne militärische Einsätze bzw. Koalitionen. Das Konzept der „Rahmennation“ hingegen ist ein viel tiefgreifenderer und langfristiger angelegter Prozess, der deutlich macht, dass der deutsche Imperialismus sich die EU und die einzelnen Mitgliedsländer auch militärisch unterordnen will.“30
Welche Ziele werden festgelegt im Strategiepapier? In der BRD 25% Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung, in der EU 20%. Aber welche Länder der EU sind damit gemeint? Geht es der BRD darum, dass in Frankreich oder Belgien eine schnellere Industrialisierung vorangetrieben wird? Bei den imperialistischen Mächten in der EU kann die BRD nicht so viel ausrichten. Wie sieht es im Verhältnis dazu mit den Halbkolonien der Imperialisten in der EU aus, mit Ländern wie Polen, Tschechien, Ungarn, Lettland, Estland und Litauen, mit Bulgarien und Rumänien? Was folgt aus der Industrialisierung dieser Länder, und wer führt sie durch? Die Industrialisierung dieser Länder sorgt für die stärkere Konzentration im Kerngebiet, und zu einer Unterstützung der deutschen Konzerne, die schon in den Startlöchern stehen, diese Industrialisierung durchzuführen. Das hieße dem bürokratischen Kapitalismus des deutschen Imperialismus in diesen Ländern mehrere Impulse zu geben. Dem folgt dann eine direkte Kontrolle des deutschen Imperialismus über die Industrie und die Wertschöpfungsketten in diesen Ländern.
d) Wertschöpfungsketten
„Der Erhalt geschlossener Wertschöpfungsketten ist von hoher Bedeutung: Wenn von der Grundstoffproduktion über die Veredelung und Verarbeitung bis hin zu Vertrieb, Dienstleistungen, Forschung und Entwicklung alle Teile einer Wertschöpfungskette in einem Wirtschaftsraum vorhanden sind“31
Dazu kommt dann auch die Erklärung des Wirtschaftsministers, dass die BRD bereits „Wertschöpfungsketten“ verloren hat:
„wo bisherige Wertschöpfungsketten bereits unterbrochen oder gefährdet sind, sowie die Verständigung auf geeignete Maßnahmen, um eine weitere Erosion zu verhindern oder umzukehren.“32
Das bedeutet, dem deutschen Imperialismus wurde etwas weggenommen. Er wurde weggedrückt vom Markt von anderen imperialistischen Mächten. Das muss verhindert werden mit einer nationalen Industriepolitik. Das ist in diesem Sinn die ökonomisch-politische Ergänzung zum Weißbuch der Bundeswehr.
e) Die Industriestrategie
Im Papier wird dann der konkrete Plan ausgeführt.
„Ob und inwieweit der Staat von grundsätzlich gegebenen Handlungsmöglichkeiten Gebrauch macht, muss nach einem neuen Volkswirtschaftlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip beurteilt und entschieden werden:
1. Je geringer die Volkswirtschaftliche Bedeutung eines Vorgangs, desto weniger darf der Staat in den Wirtschaftsprozess eingreifen.“33
Das bedeutet eine kleine Firma, die ökonomische Probleme hat kann keine finanzielle Hilfe vom Staat bekommen, weil sie klein ist. Ein großes Unternehmen sollte Hilfe bekommen, weil es groß ist.
„2. Je größer die Volkswirtschaftliche Bedeutung eines Vorgangs, desto größer muss der Spielraum des Staates für aktive und aktivierende Gestaltung sein. Dies kann bei Herausforderungen, die für eine Volkswirtschaft existenziell sind, bis zur Zeitlich befristeten Übernahme von Anteilen oder Gewährung von Beihilfen gehen.“34
Das ist reiner Staatskapitalismus, die Übernahme von Anteilen und Gewährung von Beihilfe. Es werden direkt Anteile gekauft von Firmen, um sie zu kapitalisieren, das heißt dem Finanzkapital Geld aus der Staatskasse gegeben – Gewährung bedeutet dann Geld schenken. Den Monopolen wird also vom Staat Geld gegeben, damit sie so groß wie möglich werden, um noch weiter zu wachsen. Die kleinen Unternehmen gehen dabei drauf, das interessiert nicht. Der Profit wird nur über ein Monopol auf dem Weltmarkt gesichert, über die Kontrolle über Rohstoffe und die gesamte Wertschöpfungskette.
„3. Grundsätzlich ist jeder Eingriff auf dasjenige Maß zu beschränken, das zur Erreichung des Volkswirtschaftlichen Ziels notwendig und geeignet erscheint.“35
Das heißt der Staat greift ein, damit ein Unternehmen Gewinn macht und wächst, aber nicht, um Arbeitsrechte oder andere Dinge, die dieses Ziel behindern könnten, durchzusetzen.
„Der Staat darf zu keinem Zeitpunkt in betriebswirtschaftliche Entscheidungen einzelner Unternehmen eingreifen. Jedes Unternehmen muss selbst entscheiden können, welche Strategie es verfolgt, welche Investitionen es tätigt.“36
Das bedeutet, mit Staatskapital werden Unternehmen finanziert, aber was damit passiert darf nicht festgelegt werden.
Eine Ausrichtung der Wirtschaft auf die Monopole bringt natürlich einen Widerspruch mit sich, der auch sehr deutlich benannt wird: „Je geringer die Volkswirtschaftliche Bedeutung eines Vorgangs, desto weniger darf der Staat in den Wirtschaftsprozess eingreifen.“ Das betrifft natürlich große Teile der „Mittelschicht“. Genau die Schicht, die sich durch das Nichterfüllen des Gesellschaftsvertrags sowieso schon in einer verschärften Lage befindet. Das heißt, der untere Teil der „Mittelschicht“ stürzt entweder ab ins Proletariat oder erhält nicht mehr die Gegenleistung des Gesellschaftsvertrags, der obere Teil wird in der Industriestrategie der BRD fallen gelassen. Der Wirtschaftsminister hat in dieser Frage aber die Schärfe des Widerspruchs unterschätzt.
„Peter Altmaier muss noch einmal ran und seine „Nationale Industriestrategie 2030“ überarbeiten. Nachdem Vertreter der Industrie ihm wegen seines Strategiepapiers seit Monaten die Leviten gelesen haben, wird der Bundeswirtschaftsminister nun in einem „strukturierten Dialog“ mit Vertretern der Wirtschaftsverbände über eine überarbeitete Fassung reden.
[…]
Wenn etwas im nationalen Interesse ist, muss es natürlich besonders unterstützt werden. „Größe zählt – Size matters“, schrieb er auch noch. Alles für die Großen, nichts für die Kleinen, so wurde das außerhalb des Ministeriums interpretiert. Die Strategie wurde damit schnell zur Kampfansage an den wirtschaftlich so starken deutschen Mittelstand. Dieser reagierte entsprechend.
[…]
Ich bin einen Schritt auf meine Kritiker zugegangen“, gibt Altmaier einen Tag danach in einem Gespräch mit Journalisten auch zu. Und er verspricht: „Die Interessen des Mittelstands werden wir in der konsolidierten Fassung (der Nationalen Industriestrategie) stärker berücksichtigen.“37
Die Kritik am Strategiepapier ist aber nicht, dass Monopole geschaffen werden oder Gesetze gestrichen, das Problem ist Klassenkampf. Kurz vor der Europawahl hat das auch die SPD begriffen und versucht mit Verbalradikalimus zu punkten, sie schrecken nicht einmal zurück, Marxismus zu erwähnen:
„„Es gibt Leute, die Kapital besitzen, und Leute, die dieses Kapital erarbeiten“, wiederholt Kühnert im „Zeit“-Interview den Ausgangspunkt der marxistischen Lehre. Wer Kapital besitze, könne es für sich arbeiten lassen und müsse es nicht selbst tun. „Über diese Freiheit verfügt in unserer Gesellschaft nur ein sehr kleiner Teil, der Zugang zu Vermögen ist für die meisten nicht gegeben““38
Arbeiter bei Daimler oder BMW, die sogar noch Aktien der Konzerne kaufen sollen, sind nicht die tiefsten und breitesten Massen. Es sind die oberen Schichten des Proletariats und die Arbeitsaristokratie. Die „Mittelschicht“. Mit seinen Äußerungen schafft es Kühnert aber sogar, dass der Sprecher der deutschen Wirtschaft erklärt:
„DIW-Chef Marcel Fratzscher sieht den Wohnungsmarkt als Beleg für „Exzesse“ in der Sozialen Marktwirtschaft und hat die Politik zu umfassenden Reformen aufgefordert. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) nach den umstrittenen Aussagen von Juso-Chef Kevin Kühnert: „Die Soziale Marktwirtschaft funktioniert nicht so, wie sie funktionieren sollte. Ich teile nicht die Kritik Kühnerts zu sagen, wir brauchen eine sozialistische Marktwirtschaft. Aber es gibt viel Missbrauch in der Sozialen Marktwirtschaft, wenn man sich die Diskussionen um Mietpreise und Wohnungsmarkt anschaut.“
Ein Sprecher der Industrie, das heißt dem Finanzkapital selbst räumt ein, dass die Soziale Marktwirtschaft, der Gesellschaftsvertrag nicht das erfüllt, was versprochen wurde. Mit dem Wissen, dass das den Klassenkampf befeuert. Wie bekommt der Staat den Klassenkampf in den Griff? Mit Korporativismus. Dazu hat er zum Einen wie schon erwähnt die faschistischen Massenbewegungen zur Hand, zum Anderen arbeitet er aber auch sehr konkret damit: um die Überarbeitung der Industriestrategie zu diskutieren, trifft sich jetzt der Staat mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften. Genau diese Einheit ist Korporativismus.
Fazit
Wir halten fest: die sogenannte „Mittelschicht“ ist von unten im Auflösen begriffen, große Teile rutschen ab in die Reihen des Proletariats. Der obere Teil der Mittelschicht, der sich laut OECD eigentlich stabilisiert, wird durch den vorgestellten Industrieplan zugunsten der Monopole angegriffen. Der Gesellschaftsvertrag wird nicht mehr erfüllt und diejenigen, die ihm bisher vertraut haben, fangen an zu rebellieren. Die parlamentarische Demokratie ist in der Krise und auch der Populismus ist nichts Anderes als eine kurzfristige Lösung. Nicht nur militärisch sondern auch ökonomisch-politisch setzt der deutsche Imperialismus alles ein, um eine Supermacht zu werden. Die Widersprüche spitzen sich sowohl innerhalb der BRD als auch auf Weltebene zu. Was wir betrachten ist eine revolutionäre Situation in ungleicher Entwicklung, in der der Imperialismus immer verzweifelter versucht, sich selbst vorm Untergang zu bewahren, was auch durch den Kampf der Völker der Welt und vor Allem dem internationalen Proletariat ein zweckloser Todeskampf eines tödlich verletzten Raubtieres ist.
1RP-Online: Vorschlag von AKK : Merkel begrüßt europäischen Flugzeugträger mit Frankreich, 19.03.2019
2Das Streben des deutschen Imperialismus sich zu einer Supermacht zu entwickeln – Einige Kommentare zum „Weißbuch 2016 – Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“, Dezember 2016
3These über die internationale Lage und die Aufgaben in der Internationalen Kommunistischen Bewegung, Mai 2016
4Einheitsbasis der Kommunistischen Partei Perus, S. 21, 1988, unsere Hervorhebungen
5Lenin, Gesammelte Werke Band 26: Die große Initiative
6OECD (2019), Under Pressure: The Squeezed Middle Class, OECD Publishing, Paris. S. 19. Alle Übersetzungen und Hervorhebungen von uns.
7Der Medianwert ist nicht der Durchschnitt, sondern der mittlere Wert. Verfügen beispielsweise fünf Haushalte jeweils über ein Einkommen von 700 Euro, 1.300 Euro, 1.900 Euro, 6.500 Euro und 9.000 Euro, so haben sie im Durchschnitt 3.880 Euro. Der mittlere Wert (Median) wäre jedoch 1.900 Euro.
8Stern - Armut trotz Job - 21.4.2019
9„Mittleres Einkommen“ ist definiert als die mit einem Einkommen zwischen 75% und 200% des nationalen Medianeinkommens, „Oberes Einkommen“ als diejenigen mit mehr als dem doppelten des nationalen Median.
10Stern - Armut trotz Job - 21.4.2019
11OECD (2019), Under Pressure: The Squeezed Middle Class, OECD Publishing, Paris, S. 16
12Wir lehnen den Begriff bürgerliche Demokratie ab. Im Allgemeinen unterscheiden wir zwischen Herrschaftsform (d.h. bürgerliche Diktatur oder proletarische Diktatur) und Regierungssystem (d.h. in der bürgerlichen Diktatur die parlamentarische Demokratie oder Faschismus). Es muss klar sein, dass das bürgerliche Parlament die Demokratie für die Bürger ist, und es kein proletarisches Parlament gibt.
13TAZ: Abgehängt auch im Wahllokal, 11. 4. 2019
14TAZ: „Durchweg politisch interessiert“, 04.04.2019
15OECD (2019), Under Pressure: The Squeezed Middle Class, OECD Publishing, Paris, S. 27
16OECD (2019), Under Pressure: The Squeezed Middle Class, OECD Publishing, Paris, S. 27
17OECD (2019), Under Pressure: The Squeezed Middle Class, OECD Publishing, Paris, S. 3
18Göttinger Tageblatt: Ex-Vizekanzler: Österreich auf dem Weg in „autoritäre Demokratie“
19TAZ: Abgehängt auch im Wahllokal, 11. 4. 2019
20Bloomberg Businessweek 15.04.19: Germany’s Postwar Prosperity Is on the Verge of Reversal, unsere Übersetzung; wir beziehen uns hier auf eine ausländische Quelle, um die Sicht anderer Imperialisten auf die BRD in Betracht zu ziehen.
21Nationale Industriestrategie 2030, S. 2., unsere Hervorhebung
22Nationale Industriestrategie 2030, S. 12.
23Bloomberg Businessweek 15.04.19: What a Deutsche Bank Merger Could Mean for Germany
24Nationale Industriestrategie 2030, S. 12
25Bloomberg Businessweek 15.04.19: What a Deutsche Bank Merger Could Mean for Germany
26Nationale Industriestrategie 2030, S. 8
27Nationale Industriestrategie 2030, S. 9
28Nationale Industriestrategie 2030, S. 10
29Multinational Interoperability Working Group (MIWG), „The Lead Nation Concept in Coalition Operations“, 20.12.2000, unsere Übersetzung
30Das Streben des deutschen Imperialismus sich zu einer Supermacht zu entwickeln – Einige Kommentare zum „Weißbuch 2016 – Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“, Dezember 2016
31Nationale Industriestrategie 2030, S. 11
32Nationale Industriestrategie 2030, S. 11
33Nationale Industriestrategie 2030, S. 13
34Nationale Industriestrategie 2030, S. 13
35Nationale Industriestrategie 2030, S. 14
36Nationale Industriestrategie 2030, S. 14
37Welt: Die taktische Fehlleistung des Peter Altmaier, 08.05.2019
38Spiegel: Kühnerts Kapitalismuskritik Wem Deutschland gehört (und wem nicht), 03.05.2019