Die Bourgeoisie in Deutschland (und auch in anderen Ländern) sieht in der Corona-Pandemie ein riesiges Geschenk. Alle möglichen Maßnahmen werden gerechtfertigt mit dem „Kampf gegen das Virus“. Auch wird behauptet die Wirtschaftskrise sei eine Auswirkung der Pandemie, Jobs würden dem Virus zum Opfer fallen, Kurzarbeit sei die Schuld von Corona usw. Die Bourgeoisie wäscht ihre Hände in Unschuld und schiebt alles auf die Pandemie. Doch ein Blick in die nicht all zu ferne Vergangenheit zeigt uns, dass selbst bürgerliche Ökonomen schon letztes Jahr – bevor Corona überhaupt nur erahnt wurde – mit der Wirtschaftskrise gerechnet haben.
Bereits am 5. Januar 2019 schrieb der „Guardian“ in dem Artikel „Pessimists are predicting a global crash in 2020. You can see why“:
„The International Monetary Fund leads a group of gloomy forecasters that worry about the stability of the global economy amid rising debt levels and slowing GDP growth. How long, they ask, can the expansion seen since the last crash go on before another recession hits?
And if a global recession is pushed further into the future by even larger dollops of borrowed money from the financial system, will the next recession quickly become a crash of similar or even larger proportions than the one seen in 2008?
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However, the three years from 2014 were characterised by falling oil and commodity prices, which moderated inflation. This gave the global economy a boost it desperately needed, albeit at the expense of oil- and commodity-exporting nations – and the environment. The boost faded in 2017 and left 2018 as a particularly unspectacular year – except in the US, where Donald Trump’s tax cuts more than made up for lacklustre global trade and fed a consumption boom.
As 2019 gets under way, things look very different. Consumer debt has risen back to pre-crisis levels in many countries. Corporate borrowing has soared and governments, while they have reduced annual deficits, continue to sit on mountains of debt that dwarf the borrowing seen before the crisis.
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That turns the spotlight onto the IMF, which is concerned that higher loan costs and lower levels of consumer spending will mean that more corporations go bust. Its remedy has been for governments to pass reforms that allow more jobs to be created. However, the growth of flexible working has singularly failed to increase wage rates.
London-based forecasters Fathom Consulting have pencilled in a global bust for 2020. Nouriel Roubini, who can claim to be one of the few economists to forecast the last crash, also nominates 2020. That’s not much time to prepare.“
Auch in den deutschen bürgerlichen Zeitungen wurde schon früh 2019 vor der sich anbahnenden Krise gewarnt. Im Februar sagte Holger Schmieding, seines Zeichens Chefökonom bei der Berenberg-Bank und mit langer Karriere bei einigen der größten Banken der USA, im Interview:
„Herr Schmieding, gerade erst vor gut zwei Wochen ist die Bundesregierung mit ihrer Wachstumsprognose für 2019 zurückgerudert und hat sie auf ein Prozent gesenkt. Gleichzeitig werde die Arbeitslosenquote aber weiter sinken. Wie sieht Ihre Prognose aus?
Holger Schmieding: Die Bundesregierung hat recht. Wir selbst hatten schon einige Zeit vorher die Prognose von einem Prozent herausgegeben. Durch die derzeitigen Risiken zeigt die Tendenz deutlich nach unten. Das Jahr 2019 wird also schwierig. Erst im Frühjahr oder Sommer können wir sehen, ob es denn auch wieder besser wird. Die Konjunktur kühlt sich derzeit erheblich ab.
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Für welches Jahr erwarten Sie denn dann das nächste Konjunkturtief nach dieser Zeit des Aufbruchs?
Wenn wir großes Pech haben, sind wir im Sommer 2019 drin. Das wäre der Fall, wenn Trumps Handelskrieg gegen Europa schärfer und schärfer wird. Wenn uns das erspart bleibt, dann wird es zunächst einen Wiederaufschwung geben. Dann haben wir vielleicht 2022 wieder den Zeitpunkt für eine ganz normale konjunkturelle Rezession, für eine Bereinigungskrise.“
Die deutschen Staatsmedien beobachteten die Entwicklung ebenfalls mit wachsender Besorgnis, vor allem die wachsende Immobilienblase weckten dabei Erinnerung an die Krise von 2008. Auf tagesschau.de wurde geschrieben:
„Gut zehn Jahre nach dem Platzen der US-Immobilienblase leben wir erneut in einer Welt der Niedrigzinsen. In den USA liegt der Leitzins aktuell bei 2,25 bis 2,5 Prozent, Tendenz wieder fallend. Im Euroraum hält die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins seit Jahren schon auf einem Rekordtief von null Prozent. Sichere Staatsanleihen wie etwa zehnjährige Bundesanleihen notieren im negativen Bereich.
Damit werden Anleger auf der Suche nach Rendite in riskante Anlagen wie Aktien und Immobilien getrieben. Wieder einmal. Die logische Folge: steigende Aktien- und Immobilienpreise. Wieder einmal.
So ziehen etwa im Euro-Raum die Immobilienpreise bereits seit 2014 kräftig an. Die Häuserpreise im Verhältnis zur Jahresmiete - ein wichtiges Erkennungsmerkmal für eine Immobilienblase – notieren schon fast wieder auf ihrem Niveau von 2008.
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Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer warnt in einer neuen Studie daher eindrücklich vor einer Immobilienblase in Europa:
Die extrem expansive Geldpolitik der EZB macht den Erwerb eines Eigenheims für viele erschwinglich und schiebt die Nachfrage an. Gleichzeitig drückt sie die Renditen anderer Geldanlagen und macht damit Immobilien für Investoren attraktiver.
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Noch extremer ist die Entwicklung in den USA: Zehn Jahre nach dem Platzen der US-Immobilienblase notieren die Immobilienpreise in den USA über ihrem damaligen Blasen-Hochpunkt, wie ein Blick auf den Case-Shiller-Hauspreisindex verrät.
Das ist ein beängstigendes Signal. Vor allem weil der Wind offenbar zu drehen beginnt. In den US-Großstädten, in denen die Häuserpreise zuletzt besonders stark gestiegen waren, zeichnet sich eine Trendwende ab.
Die Preise für Eigentumswohnungen in der San Francisco Bay Area etwa erreichten im April 2018 einen neuen Spitzenwert – 35 Prozent über ihrem Hoch vor dem Platzen der Immobilienblase 2008.
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Abschwünge auf dem weltweiten Immobilienmarkt hätten in den vergangenen 30 Jahren stets globale Rezessionen getriggert. Vor diesem Hintergrund sei die aktuelle Abwärtsbewegung Grund zur Sorge. Ein kombinierter Rückgang der Immobilienpreise und Immobilieninvestitionen in den großen Volkswirtschaften würde das globale Wirtschaftswachstum im Jahr 2020 auf ein Zehn-Jahres-Tief von 2,2 Prozent fallen lassen, so die Oxforder Experten.
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Das böse Erwachen kommt bestimmt. Aber es kommt womöglich später, als viele Crash-Propheten es derzeit für möglich halten.“
Die hier genannte Warnung der Commerzbank wurde am 31. Mai 2019 unter dem Titel „Top-Ökonom warnt vor Immobilienblase in Europa“ veröffentlicht.
In der Zeitung „Welt“ wurde einige Monate später die Situation unter dem Titel „Wir steuern mit Tempo auf eine Rezession zu“ folgendermaßen zusammengefasst:
„Deutschland ergeht es derzeit wie dem Frosch im Wasser, das langsam immer heißer wird: Die wirtschaftliche Lage ist schlecht und verschlechtert sich, aber nicht so schnell, dass ein großer Aufschrei und ein heftiges Aufbegehren stattfänden. Auch sieht die Politik offenbar keinen Anlass, aktiv zu werden und sich gegen die drohende Rezession zu stemmen. So droht dem Aufschwung ein ähnlich düsteres Ende wie dem Frosch, der, ohne es zu merken, gekocht wird.
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Der [Ifo-]Index profitiert lediglich von einer technischen Gegenbewegung. Der Einbruch der Erwartungen lässt hingegen darauf schließen, dass die Rezessionssorgen nur allzu real sind. Der Ausblick mache „fast jede Hoffnung auf eine Erholung im vierten Quartal und 2020 zunichte“, sagt Daniela Ordonez.
Erst zu Wochenbeginn hatte ein verheerender Einkaufsmanager-Index für Deutschland die Märkte verunsichert. Auch die Allianz spricht von einer erhöhten Rezessionsgefahr, und zwar nicht nur für 2019, sondern auch für 2020: „Die heutigen Daten untermauern unsere Prognose, dass die derzeitige konjunkturelle Schwächephase keine Einjahresfliege ist“, sagt Katharina Utermoehl, Ökonomin bei der Allianz.
Die größten Problemen verortet Utermoehl in der deutsches Industrie, wo sich das Geschäftsklima erneut verschlechterte: „Die zunehmende Eintrübung der Geschäftserwartungen deutet darauf hin, dass ohne eine baldige Trendwende die Rezessionsgefahr auch im Jahr 2020 akut bleiben wird.“
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Für 2019 und 2020 rechnet die Allianz nur noch mit einem Wachstum von 0,6 Prozent für Deutschland. Damit dürfte das Expansionstempo der deutschen Wirtschaft nur noch rund halb so hoch ausfallen wie für den Euro-Raum als Ganzes. Auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat seine Konjunkturprognose gerade zurückgeschraubt.
Die Historie lehrt, wie leicht die Prognostiker von der Realität überholt werden können. Der Ifo-Erwartungsindex hat in der Vergangenheit verlässlich wirtschaftliche Einbrüche vorausgesagt. Sollte die Prognosekraft auch dieses Mal wieder ziehen, könnte das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf Jahressicht um 1,2 Prozent schrumpfen.
„Hallo Berlin! Zeit zu handeln!“, ruft daher Stefan Große, Ökonom bei der NordLB. „Wir steuern mit Tempo auf eine Rezession zu. Zudem wird nun auch der Dienstleistungssektor in Mitleidenschaft gezogen, dies deuten zumindest die Einkaufsmanagerindizes an.“ Er bezweifelt, dass die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) reichen werden, um gegenzusteuern. Daher müsse die Regierung sich überlegen, wie reagiert werden kann. Doch noch verhält sich Berlin wie der Frosch im Warmwasser.“
Bereits im August kündigte Olaf Scholz ein 50 Milliarden Programm an, um die sich anbahnende Rezession abzufangen und der Krise Aufschub zu gewährleisten, wie der „Guardian“ berichtete:
„Angela Merkel’s finance minister, Olaf Scholz, has raised expectations of a €50bn (£45bn) boost to the German economy to head off an imminent recession. The economy contracted by a small margin in the second quarter – 0.1% – but is expect to suffer a second and larger drop in the third quarter.
Most analysts expect Scholz’s extra cash will be too little too late to prevent two consecutive quarters of negative growth, which is the technical definition of a recession.“
Die österreichische Zeitung „Der Standard“ bezog sich im August 2019 auf die Vorhersagen einiger bürgerlicher Ökonomen aus den USA:
„US-Ökonomen haben sich optimistischer zu einer drohenden Rezession in den Vereinigten Staaten geäußert. Eine Mehrheit von 226 befragten Ökonomen gab an, sie rechneten erst 2020 oder 2021 mit einem Wirtschaftsabschwung, wie der Nationale Verband für Betriebswirtschaft (Nabe) am Montag mitteilte.“
Auch die „Süddeutsche“ fasste die häufenden Warnungen vor der kommenden Krise noch im August zusammen:
„Als 2008 die größte Finanzkrise seit acht Jahrzehnten über die westliche Welt hereinbrach, wurden Politiker und Notenbanker von der Wucht der Turbulenzen völlig überrascht. Hektisch wurden Notfallpakete geschnürt, Firmen verstaatlicht, Banken zwangsfusioniert. Die Finanzminister der G-7-Staaten hingen in einer Art Dauertelefonschalte fest, Notenbanker auf allen Kontinenten senkten die Leitzinsen, die Regierungschefs der G 20 eilten zum Krisengipfel nach Washington. Obwohl es schließlich gelang, die einzelnen Konjunkturprogramme grob aufeinander abzustimmen und die Ausarbeitung neuer Bankenregeln in Auftrag zu geben, brach die Wirtschaft vor allem in den USA und in Deutschland dramatisch ein.
2020 könnte das Jahr der nächsten großen Wirtschaftskrise werden - und anders als vor elf Jahren wissen diesmal alle seit Monaten Bescheid. Sollte es tatsächlich zum Einbruch kommen, wäre es die Krise mit der wohl längsten Vorwarnzeit, die es je gab, eine Rezession mit Ansage gewissermaßen, ein langsamer, freiwilliger Abstieg in die Schlangengrube.“
Die Wirtschaftskrise, die sich jetzt entfaltet, ist also weder unerwartet, noch ist sie durch die Corona-Pandemie verursacht. Die Pandemie und die Ausnutzung dieser durch die reaktionären Regierungen auf der Welt, vor allem in den imperialistischen Ländern, hat sie allerdings vertieft. Die bürgerlichen Ökonomen haben die Krise schon lange erwartet, wie diese unvollständige Zusammenstellung zeigt. Krisen sind Teil dieses maroden ökonomischen Systems und es darf nicht erlaubt werden, dass die Bourgeoisie diese Tatsache verschleiert und die Pandemie als Sündenbock benutzt.