Anfang August titelten die Springer-Presse und unterschiedliche AfD-nahe Blogs etc. wieder einmal große chauvinistische Überschriften von einem „kriminellen Migranten“, der vom deutschen Staat in Schutz genommen wird. Es ging dabei tatsächlich um ein Verbrechen gegen das Volk – ein 2015 nach Deutschland gekommener 23-jähriger Afghane aus Regensburg hatte zwischen 2019 und 2022 mehrere junge Frauen und Mädchen (die jüngste war 16) sexuell belästigt und vergewaltigt.
Das Gericht hat ihn nun absurderweise ohne Strafe gehen lassen, lediglich die kommenden 22 Monate ist er auf Bewährung frei mit den Auflagen, nicht über 0,5 Promille intus zu haben, 2500 Euro an das Opfer der Vergewaltigung zahlen und ein Anti-Aggressionstraining absolvieren zu müssen. Die Frau soll die Zahlung sowie seine „Entschuldigung“ zurückgewiesen haben.
Da Mohammad M. bei der ersten Tat 19 Jahre alt war und obgleich weitere Taten wesentlich später folgten, wurde der Fall vor dem Jugendgericht behandelt, wo „der Gesetzgeber den Erziehungsgedanken über die Strafe stellt“. Entsprechend pädagogisch ist die Begründung des Urteils: Der Richter sei durch die sechs Monate Untersuchungshaft, die M. infolge der Festnahme nach seiner Rückkehr aus einem Urlaub bei seiner Familie hatte absitzen müssen, und seines „umfassenden Geständnisses“ „gnädig gestimmt“. So konnte es am Ende auch ein wichtiges pädagogisches Argument werden, dass der Mann „ein gelungenes Beispiel für Integration“ (1,0-Hauptschulabschluss, Anlagenmechaniker), ein „Musterbeispiel dafür, wie man in Deutschland gut ankommen kann“ sei. Das heißt wohl, wer sich besser assimiliert, der darf sich hier auch mehr daneben benehmen. Zumindest, dass ein Vergewaltiger zu sein für den Staat bedeutet, gut integriert, ein guter Deutscher zu sein, kann man sich gut vorstellen. Ein weiterer Grund für das Urteil ist, dass wohl gar nicht nur der Vergewaltiger, sondern auch der Alkohol Schuld sei – denn unter Alkohol sei M. ein anderer Mensch. Davon, dass unter Alkohol „die Maske fällt“, hat der Richter wohl noch nichts gehört. Insofern die 0,5-Promille-Auflage; der Mann soll nicht zeigen, was für ein Mensch er wirklich ist. Ob es so pädagogisch ist, das Problem möglichst weit weg von der Wurzel zu packen, bleibt fraglich.
Im Kontext der politischen Situation hat das Gerichtsverfahren einen Teil dazu beigetragen, die Reaktionarisierung des deutschen Staates weiter voranzubringen. Die Bedingung für die chauvinistische Hetzkampagne gegen Migranten in den Medien wird durch den deutschen Staat, respektive ein Jugendgericht, selber angestoßen. Neben kaputten Flugzeugen, offensichtlicher Meinungsmache im öffentlichen Rundfunk, Identitätspolitik und Sprachakrobatik an jeder Ecke, Peinlich-Auftritten von Baerbock, Lang und Habeck hat sich mit dem skandalösen Urteil wieder ein Beispiel gefunden, für das man einen stärkeren Staat, der härter durchgreift und die „traditionellen Werte“ (d.h. mehr Reaktion) mehr vertritt, fordern kann. Diese Propaganda der bürgerlichen Presse findet Zustimmung unter vielen verärgerten Menschen.
Es ist offensichtlich, dass patriarchale Gewalt unter Migranten vergleichsweise häufig vorkommt, was auf deren Situation als Geflüchtete in einem imperialistischen Land mit allen Folgen davon und den starken Einfluss des Patriarchats in ihren halbfeudalen „Herkunftsländern“ zurückzuführen ist und nicht, wie es die Reaktionäre behaupten, eine Frage von „Kulturkampf“ ist (siehe Klassenstandpunkt 13 – „Flüchtlinge und das Patriarchat – Was tun?“). Und das ist ein Grund mehr, gegen das Patriarchat zu kämpfen, und ein Grund mehr, gegen den Imperialismus zu kämpfen. Doch für die bürgerliche Hetzpresse ist es nicht so wichtig, dass der Staat Vergewaltiger schützt, es ist viel interessanter, dass der Staat „kriminelle Ausländer“ beschützt. So kommt es, dass Reaktionäre wie Julian Reichelt („Achtung, Reichelt!“), auf dem selbst Vorwürfe zu sexueller Nötigung und Erpressung lasten, patriarchale Gewalt für ihre chauvinistische Hetze ausschlachten. Polizeigewalt gegen migrantische Jugendliche, Vorschläge zu „Punkte-Systemen“, eine offene Zerstückelung des Rechts auf Asyl – all das kann die BRD nur voranbringen, wenn nicht unwesentliche Teile des Volkes diese Maßnahmen legitimieren.