Unter dem vielversprechenden Titel „Linke an die Waffe“1 schreibt Gernot Knödler für die Tageszeitung (TAZ) eine Kolumne, die der Form provokativ, dem Inhalt aber handzahm daherkommt. Denn dem Titel nach findet die TAZ zurück zu ihren alten, (vermeintlich) radikalen Wurzeln, außerhalb des parlamentarischen Debattierclubs linksradikale Interessen zu verwirklichen. Ganz im Sinne der ‚Außerparlamentarischen Opposition‘ (APO) der späten 60iger, deren Bewegung die TAZ entstammt2, und als klare Abgrenzung zu den sogenannten „K-Gruppen“ publiziert wurde.3

Der provokante Titel löst jedoch nicht ein was er ganz direkt verspricht. Während der Titel ein zu-den-Waffen greifen suggeriert um gegen die herrschende kapitalistische Ausbeutung den revolutionären Sturz des Proletariats zu setzen, meint der Autor vielmehr, sich dem bürgerlichen Apparat anzubiedern, Marx Lehre aus der Pariser Kommune, den alten Staat zu zerschlagen, zu zerbrechen, über den Haufen zu werfen, und letztlich willfähriger Handlanger der Bourgeoisie zu werden. Knödlers Idee dabei ist, sich selbst und seinen Idealen in diesem „Marsch durch die Institutionen“ treu zu bleiben, und dann, irgendwann endlich an ‚der Macht‘, all seine linksradikale Politik ‚von oben‘ in die Tat umzusetzen. Das ist lupenreiner Revisionismus. Schauen wir uns seine ‚Argumente‘ einmal genauer an.

Vom Bordstein zur Skyline – vom Steinewerfer zum Außenminister

 

„Die 68er haben der Linken ein paradoxes Erbe hinterlassen: zum einen eine misstrauische bis feindselige Einstellung zur Polizei und zum Militär, zum anderen die Aufforderung zum Marsch durch die Institutionen. Letzterer hat im Großen und Ganzen funktioniert: Der ehemalige „konsequente Marxist“ Gerhard Schröder aus Bad Salzuflen marschierte durch bis ins Kanzleramt, flankiert vom ehemaligen Bremer Maoisten Jürgen Trittin als Umweltminister und dem ehemaligen Straßenkämpfer Joschka Fischer als Außenminister.“4

 

Bereits im ersten Abschnitt bringt Knödler eigens vor, was man ihm irgendwann ohnehin vorgehalten hätte: der von den 68igern um Rudi Duttschke angedachte ‚Marsch durch die Institutionen‘ ist gescheitertund prominente Beispiele beweisen das Scheitern zur Genüge (gleichwohl Knödler den Marsch als Erfolg („funktioniert“, sprich: Ziel erreicht) umdichtet!). Die ehemaligen Koryphäen der außerparlamentarischen (radikalen) Bewegungen haben sich verkauft, gebeugt und das Spiel zugunsten um im Interesse der Bourgeoisie umgesetzt. Mehr noch: kaum einer erinnert sich heute noch daran, dass der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder einst selbst-bezeichneter Marxist gewesen ist. Wie auch, wenn Schröder billiger Anhängsel von Gazpromkonzern, dem staatseigenen Energiekonzern des imperialistischen Russlands, wurde und horrende Honorare für seine PR-Arbeit ausstellt bekommt. Schröders ‚Marxismus‘ war von beginn an lediglich Verbalradikalismus auf dem Marsch durch die Institutionen zur bürgerlichen Macht. Sich anschließend einer anderen imperialistischen Macht zu unterwerfen und ihre Interessen zu vertreten ist das Gegenteil von Marxismus.

Der Marsch durch die Institutionen funktioniert also durch sein Scheitern.Das heißt, mankann den Marsch an die nur Spitze erklimmen, indem man sein Ziel negiert, sich also komplett der Bourgeoisie ausverkauft und den Zweck, linksradikale Politik an der Spitze der Macht, aufgibt.

Ein ähnlicher ‚Marsch‘ habe laut Knödler bei Polizei und Militär nicht stattgefunden. Unmittelbar stellt sich einem die Frage ein: warum sollte überhaupt ein ‚Marsch‘ durch die Polizei- oder Militärbehörde stattfinden? Aus welchem Grund sollten sich Revolutionäre einer imperialistischen Armee anschließen, deren Ziel es ist, Extraprofite für die heimische Bourgeoisie in fremden Ländern einzuheimsen, oder sich der Polizei anzuschließen, deren Ziel es ist, das Privateigentum (an Produktionsmitteln) in der eigenen Nation zu schützen, mithin also die dafür zu sorgen, dass die Eigentumslosen weiterhin eigentumslos bleiben. Warum also sollte man sich dem Klassenfeind heimlich anbiedern in der Hoffnung ‚irgendwann‘ stark genug zu sein, von innen-heraus das System zu revolutionieren? Auf solch verrücktenIdee kann man nur kommen, wenn man sich einerseits der Praxis gegenüber blind stellt, und andererseits jegliche historischen Erfahrungen der Internationalen Kommunistischen Bewegung (namentlich der Pariser Kommune, die dieses Jahr ihren 150. Jahrestag feiert) ablehntoder schlicht nicht kennt. Mehr noch: sich der Reaktion anzuschließen und dann zu meinen, man könne die Massen dazu bewegen Revolution zu machen, während man zugleich damit beschäftigt ist ihre Heimat mit deutschen Tornados dem Erdboden gleich zu bomben, ist – freundlich gesagt – absurd. Das Vertrauen der Massen gewinnt man so sicherlich nicht. Deshalb sprach Lenin in Staat und Revolution 1917, Marx paraphrasierend, über die völlig richtige Aufgabe im Umgang mit dem Ausbeuterstaat:

 

In Wirklichkeit ist es gerade umgekehrt. Der Marxsche Gedanke besteht gerade darin, daß die Arbeiterklasse „die fertige Staatsmaschine“ zerschlagen, zerbrechen muß und sich nicht einfach auf ihre Besitzergreifung beschränken darf."5

 

Etwas ausführlicher fassten die Lehren der Pariser Kommune chinesische Kommunisten 1966 in dem Artikel „Die großen Lehren der Pariser Kommune“ (erschienen in Honqi) zusammen, die da sagten:

 

Das grundlegende Prinzip der Pariser Kommune ist die Anwendung der revolutionären Gewalt zur Ergreifung der Macht, die Zerschmetterung der Staatsmaschine der Bourgeoisie und die Ausübung der Diktatur des Proletariats. Die grundsätzliche Differenz der Marxisten einerseits und der Opportunisten und Revisionisten andererseits besteht immer darin, daß die ersteren das Prinzip der Pariser Kommune beharrlich verfolgen, die letzteren es verraten.“6

 

Infolge dieses Unverständnisse der Aufgaben von Militär und Polizei vulgarisiert Knödler dann auch die revolutionäre Abscheu gegen die Reaktion und meint, dass sich Linksradikale lediglich an Polizei und Militär abarbeiteten und profilierten.

„Linksradikale tun sich schwer mit den Sicherheitskräften, weil sie in ihnen die Verteidiger einer als unbefriedigend bis skandalös empfundenen herrschenden Ordnung sehen. Die Polizei – wegen der quasi alltäglichen Konfrontation noch viel mehr als die Bundeswehr – fungiert als Feindbild für die linksradikale Szene. Sie ist das Symbol der Staatsmacht, gegen das man mobilisieren, an dem man sich abarbeiten und profilieren kann.“

Denn theoretisch mag es eine (wenngleich verrückte) Idee sein, durch den Weg der Militärbehörden an Kenntnisse und politische Macht zu gelangen; frei nach dem vomVorsitzendem Mao zusammengefassten Prinzip, dass „die politische Macht aus den Gewehrläufen“ kommt. Praktisch jedoch ist das ein zum Scheitern verurteilter Prozess. Denn der bürgerliche Staat wird nicht tatenlos mitansehen, wie seine Armee und Sicherheitsbehörden von revolutionären unterwandert wird. Dazu hat er schließlich seine Geheimdienste. Erfahrungsgemäß scheut der bürgerliche Staat deshalb auch nicht davor zurück Berufsverbote zu erteilen. Selbst der vergleichsweise banale Versuch, die Revolutionäre an den Hochschulen durchzuschleusen, und somit eine akademische-revolutionäre Gegenmacht aufzubauen (so unproletarisch der Versuch auch war), wurde bereits im Keim erstickt, als die Bourgeoisie danach trachtete die ‚Marxistische Gruppe‘ Anfang der 90er zu verbieten.7 Kurzum: Die Vorstellung eines einfach Durchmarsches blamiert sich an der Realität und den Schutzmechanismen des bürgerlichen Staats. Will man also prinzipienfest bleiben, d.h. Marxist sein, gibt es keinen Weg durch die Institution, um Revolution zu machen.

Darüber hinaus bleibt ohnehin fraglich, wie sich der Autor vorstellt, dass Revolution gemacht wird. Wir sind der Auffassung, dass die Massen die Geschichte machen, so, wie es der Vorsitzende Mao lehrt. Knödler hingegen meint, dass gut geschulte Kader (radikale Linke) innerhalb des bürgerlichen Staatsapparates reichen, um Revolution von oben zu machen. Dabei beweist diese kleinbürgerliche Vorstellung heldenhafter Subjekte, wie weit der Autor vom Marxismus entfernt ist. Denn Revolution macht man nicht über den Massen, sondern mit den Massen; man muss wie ein Fisch im Meer unter den Massen schwimmen können, ein Teil von Ihnen werden und mit ihnen leben, arbeiten und kämpfen. So taten es bislang alle großen Revolutionäre und Kommunisten und es ist der einzige Weg, wie die Vorhut des Proletariats die Massen zur Revolution lenkt. Nicht jedoch indem man durch die bürgerlichen Institutionen marschiert und anschließend meint, die Massen dirigieren zu können.

Knödler hat also letztlich kein Interesse an einer proletarischen Revolution. Er ist ein kleinbürgerlicher Sozialdemokrat, der sich (wie er in der Kolumne zugibt) vor zunehmender Faschisierung fürchtet und einen links-liberalen Staat gegen Nazis und seine Handlanger möchte. Dabei begreift Knödler jedoch nicht, dass der bürgerliche Staat die Grundlage für den Faschismus bildet, denn der Faschismus ist lediglich eine andere Regierungsform (wie wird regiert) der Staatsform (welche Klasseregiert). Anders gesagt: solange die Bourgeoisie an der Macht ist, solange wir in einem bürgerlichen Staat leben, besteht die Gefahr des Faschismus als Regierungsform stets weiter. Knödlers ideologischer Fehler besteht kurzum darum, nur auf die Form, nicht aber auf den Inhalt zu schauen.Ihm ist es unwichtig, in wessen Hand die Staatsmaschinerie liegt, solange man daran mit rumwerkeln kann. Deshalb glaubt Knödler auch, es wäre sinnvoll „Linke“ an die Schaltzentrale zu setzen, um den Nazis auf die Finger zu schauen.

„Eine Präsenz von Linken in den Sicherheitskräften hätte eine Reihe von augenfälligen Vorteilen: Wer dort mitmischt, erfährt, wie so ein Machtapparat funktioniert und wie seine Instrumente gehandhabt werden. Er kann selbst Macht ausüben, das Klima verändern, auf Missstände hinweisen, den Preppern ein bisschen auf die Finger schauen und für die eigene Wehrhaftigkeit sorgen – wer weiß, ob die nicht doch mal gefragt ist. Auch Subversion ist denkbar.“

 

Fazit

 

Knödler versucht die Revolutionäre zu korrumpieren, sie auf Abwege zu führen und prinzipienlos zu machen. Er versucht, den gerechtfertigten Kampf der Massen und Revolutionäre in geordnete Bahn zu lenken und sie der bürgerlichen Staatsmacht zu überstellen, sie vom revolutionären Kampf für die Befreiung der Arbeiterklasse in Konsequenz dem Kampf zu Sicherung und Stabilisierung des Ausbeuterstaats zu übergeben. Anstatt den bürgerlichen Staat abzuschaffen, sollen sie (gute, weil ‚linke‘)Staatsdiener werden. Historisch hat sich diese Theorie und Praxis bereits mehrfach blamiert und ist gescheitert. Mehr noch: sie verkam zur Kaderschmiede für Verräter und Opportunisten der Arbeiterklasse. Schröder, Fischer und Co. sind hier nur die prominentesten Beispiele, die der Autor unverständlicherweise als Erfolg anführt.

Man möchte Knödler Tucholsky vorhalten, der in seinem schönen Gedicht „der schlimmste Feind“ vor falschen Freunden, wie Knödler einer ist, eindringlich warnte:

 

Der schlimmste Feind


Der schlimmste Feind, den der Arbeiter hat,
das sind nicht die Soldaten;
es ist auch nicht der Rat der Stadt,
nicht Bergherrn, nicht Prälaten.

Sein schlimmster Feind steht schlau und klein
in seinen eignen Reihn.

Wer etwas diskutieren kann,
wer einmal Marx gelesen,
der hält sich schon für einen Mann
und für ein höheres Wesen.

Der ragt um einen Daumen klein
aus seinen eignen Reihn.

Der weiß nichts mehr von Klassenkampf
und nichts von Revolutionen;
der hat vor Streiken allen Dampf

und Furcht vor blauen Bohnen.
Der will nur in den Reichstag hinein
aus seinen eignen Reihn.

Klopft dem noch ein Regierungsrat
auf die Schulter: „Na, mein Lieber …“,

dann vergißt er das ganze Proletariat –
das ist das schlimmste Kaliber.
Kein Gutsbesitzer ist so gemein
wie der aus den eignen Reihn.

Paßt Obacht!

Da steht euer Feind,
der euch hundertmal verraten!

Den Bonzen loben gern vereint
Nationale und Demokraten.

Freiheit? Erlösung? Gute Nacht.

Ihr seid um die Frucht eures Leidens gebracht.
Das macht: Ihr konntet euch nicht befrein
von dem Feind aus den eignen Reihn.

1https://taz.de/Genug-gefremdelt-mit-Polizei-und-Militaer/!5741414/

2https://de.wikipedia.org/wiki/Treffen_in_Tunix

3Vgl. ebd. S.1

4https://taz.de/Genug-gefremdelt-mit-Polizei-und-Militaer/!5741414/

5Lenin, Werke, Bd. 25, Staat und Revolution

6https://demvolkedienen.org/index.php/de/t-theorie/mao/3744-die-grossen-lehren-der-pariser-kommune

7https://de.wikipedia.org/wiki/Marxistische_Gruppe