Ein Genosse mit juristischen Kenntnissen hat uns einen Kommentar über die juristischen Aspekte der Corona-Maßnahmen in der BRD zukommen lassen, den wir an dieser Stelle veröffentlichen. Wir wollen auch nochmal auf den Artikel verweisen, der bereits vor einigen Wochen auf dieser Seite veröffentlicht wurde.

Mit dem Verweis auf Landesverordnungen zur Eindämmung der Corona Pandemie werden in den vergangenen Monaten bundesweit mehrere Demonstrationen verboten oder eben auch von der Polizei zerschlagen. Zu beobachten ist hierbei, dass weitreichende Beschränkungen der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) erlassen werden.

Nach der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung der Literatur schützt Artikel 8 Absatz 1 des GG die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Dabei kann dieses Recht aber für Versammlungen unter freien Himmel laut Artikel 8 Absatz 2 GG durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Artikel 8 Absatz 1 GG. auszulegen. Daher sind Eingriffe in die Versammlungsfreiheit nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig. Den Menschen wird insofern zugetraut, dass sie verantwortungsvoll Demonstrationen organisieren und an ihnen teilnehmen. Der hohe Stellenwert der Versammlungsfreiheit und die Eigenverantwortung der Beteiligten sind beim Erlass grundrechtsbeschränkender Gesetze und Verordnungen sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten. Diese Grundsätze wurden nun unter der Prämisse, dass jede Form von Versammlung zu hohen Gesundheitsrisiken führe, in fast allen Bundesländern außer Kraft gesetzt.

Die aufgrund von § 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG) erlassenen Verordnungen der Landesregierungen beschränken die Versammlungsfreiheit unterschiedlich intensiv. Mit Stand 14. April 2020 verbieten drei Bundesländer Versammlungen explizit (Thüringen, Brandenburg und das Saarland), in weiteren Bundesländern ist ein solches Verbot implizit den Verordnungsregelungen zum (un)zulässigen Aufenthalt im Freien zu entnehmen. In rund der Hälfte der Bundesländer wird die in Art. 8 GG garantierte Erlaubnisfreiheit von Versammlungen in ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt umgekehrt, so etwa in Bayern (§ 1 Abs. 1 Satz 3), Berlin (§ 1 Abs. 7 bis zu 20 Personen) oder Sachsen-Anhalt (§ 1 Abs. 5; Zulassung im Ermessen der Versammlungsbehörde unter Beteiligung des zuständigen Gesundheitsamtes).

§ 32 IfSG verweist hinsichtlich der Verordnungsermächtigung auf § 28 IfSG. Nach § 28 Abs. 1 S. 2 kann die zuständige Behörde „Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten“. Versammlungen werden hingegen nicht genannt. Im Versammlungs- und Polizeirecht wird indes seit Jahrzehnten klar zwischen Ansammlungen und Veranstaltungen einerseits (geschützt von Art. 2 Abs.1 GG) und Versammlungen andererseits (geschützt von Art. 8 GG) unterschieden. Einschränkungen der Versammlungsfreiheit nach § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG sind jedoch nur für „Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider“ zulässig, weitergehende Versammlungsverbote sind daher wohl nicht von §§ 32 i.V.m 28 IfSG gedeckt.

Ungeachtet der Frage, ob § 28 Abs. 1 S. 1-2 IfSG überhaupt eine taugliche Rechtsgrundlage für ein ausnahmsloses Verbot sämtlicher Versammlungen darstellt, ist ein abstraktes Versammlungsverbot grundsätzlich nicht mit Art. 8 GG vereinbar. Werden Versammlungen generell verboten, die Versammlungsfreiheit also gänzlich aufgehoben, verletzt dies wohl den Wesensgehalt. Eine Versammlung darf – darüber bestand bislang Konsens – nur aufgrund einer unmittelbaren Gefahr verboten werden, die von ihr ausgeht. Zwar dürfte in diesen Tagen von den meisten Versammlungen eine konkrete Infektionsgefahr ausgehen, es mag jedoch Versammlungsformen geben, die dieses Risiko derart minimieren, dass ein Verbot unverhältnismäßig wäre.

Eine Reduzierung der Ansteckungsgefahr auf null ist schlicht unmöglich. Dass sich der Zweck der Verhinderung der weiteren Ausbreitung einer Virus-Erkrankung durch Nichtzulassung der Versammlung erreichen lässt, ließe sich letztlich gegen jede Versammlung unabhängig von der Teilnehmerzahl anführen. Dies erkannte selbst das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 17.04.2020 und führte an, dass ein gänzliches Versammlungsverbot (wie es in der Praxis von den Behörden angewendet wird) nicht verhältnismäßig ist. Dies stellt jedoch nur eine der wenigen begrüßungswürdigen Beschlüsse da und die Realität widerspricht der Auffassung einiger Rechtswissenschaftler, dass die Verwaltungsgerichte gebührenden Schutz gewähren werden. Bestes Beispiel hierfür, ist das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße: So hielt das Verwaltungsgericht das Verbot einer angekündigten Versammlung von zwei Personen für rechtmäßig.

Es wird deutlich, dass der Rechtsstaat in der Krise steckt, so kommt der Republikanische Anwaltverein (RAV) vor diesem Hintergrund zu dem Schluss: Das Versammlungsrecht ist derzeit völlig aufgehoben. Wie es weitergeht ist nicht abzuschätzen. Eine Verlängerung dieser Maßnahmen über das geplante Datum hinaus ist mehr als realistisch und was nach Corona von den Maßnahmen übrigbleiben wird, gibt genügend Gründe zur Besorgnis. Jedoch wird über die Zeit „nach Corona“ nicht irgendwann später, sondern jetzt entschieden. Diese Angriffe der Klassenjustiz richten sich nämlich gegen die unterdrückte Klasse. Dies wird unter anderem dadurch deutlich, dass die Abwägung zwischen grundrechtlicher Schutzpflicht für Leib und Leben und dem Abwehrgrundrecht der Berufsfreiheit stark zugunsten des letzteren ausgeht, während dies für das Abwehrgrundrecht der Versammlungsfreiheit nicht gelte. Unter dem Blickwinkel des Infektionsrisikos handelt es sich um vergleichbare Sachverhalte, die gleichbehandelt werden müssen. Dem Virus ist es schließlich egal, ob Menschen aus beruflichen oder politischen Gründen zusammenkommen. Vermutlich dürfte die Ansteckungsgefahr in einem Großbetrieb sogar deutlich größer sein, als bei den angezeigten kleinen Versammlungen unter freiem Himmel. Die Entscheidungen könnten daher auch vor dem Hintergrund des Gleichheitsgebots des Art. 3 Abs. 1 GG problematisch sein.

Dass Kritik innerhalb des politischen Prozesses einer sogenannten bürgerlichen Demokratie schwer möglich ist, zeigt sich daran, dass die umstrittene Novellierung des Infektionsschutzgesetzes auch mit den Stimmen der Opposition durch den Bundestag gegangen ist. Dass dies ohne massive verfassungsrechtliche Zweifel geschehen ist, wird man nicht glauben können. Um dies kurz anzureißen: Mithilfe der im Infektionsschutzgesetz vorgesehen Rechtsverordnungen haben die Regierungen die Möglichkeit ohne jegliche parlamentarische Kontrolle das Alltagsgeschäft zu verrichten. Auch unabhängig davon verschwimmt gerade jeglicher politische Diskurs der Parteien hinter eine Politik des Burgfriedens. Nicht, dass diese Tatsache groß verwundern würde, jedoch zeigt sich deutlich, dass in Krisenzeiten die, so hoch gelobte, bürgerliche Demokratie schnell auch unbedeutender für die Herrschenden ist.