Am Dienstag, den 16. Juni erließ der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) für die Bereiche Steintor-/Ostertorviertel, Schlachte und die Disco-Meile eine Sperrstunde und ein Alkoholverkaufs- und Ausschankverbot für Kioske und Supermärkte an Wochenenden. Gerechtfertigt wurde alles mit dem Infektionsschutz und der Durchsetzung der Abstandsregelungen. Vor allem an der Sielwallkreuzung im Steintorviertel kam es an den letzten vier Wochenenden jedes Mal zu großen Ansammlungen von teils über 500 Menschen, die feierten, wie es bei gutem Wetter üblich ist.
Die Bullen besetzten daraufhin Woche für Woche die Sielwallkreuzung. Sie provozierten die Menschen vor Ort, indem sie über Stunden hinweg im Fünfminutentakt ihre Runden über die Kreuzung drehten und die Leute auseinanderdrängten. Immer wieder riefen die Massen „Ganz Bremen hasst die Polizei“. Am Freitag, den 12. Juni kündigte Innensenator Mäurer dann an, dass er sich das kommende Wochenende noch anschauen wolle; sollte es wieder zu solchen Ansammlungen kommen ziehe er in Betracht, eine Sperrstunde zu erlassen. Am Abend des Freitags gab es dann die bisher größte Ansammlung der letzten Wochen. Auf der Sielwallkreuzung wurde wie immer im Sommer üblich Fußball gespielt, ein paar Böller wurden geworfen und einige Mülleimer angezündet, bis die Bullen in den Morgenstunden behelmt und in voller Montur mit einem Mob von 30 - 40 Mann (übrigens ohne Abstand) auf die Kreuzung stürmten. Daraufhin kam es zu kleineren Auseinandersetzungen, mehrere Menschen wurden festgenommen und die Kreuzung wurde von der Polizei besetzt.
Vier Tage später beschloss der Senat dann wiegesagt die Sperrstunde. Zudem wolle man die Polizeipräsenz im Viertel erhöhen, was man auch jetzt schon zu spüren bekommt. Beinahe im Minutentakt fahren Mannschaftswagen an der Sielwallkreuzung entlang. Die Bullen zeigen Stärke und Präsenz, schüchtern ein und schikanieren. Am ersten Freitag, an dem die Sperrstunde galt, waren die Bullen mit zahlreichen Mannschaftswagen, einem Lautsprecherwagen und einem Kamerawagen unterwegs. Zudem liefen mehrere Bullentrupps durch die Gegend und sogenannte Kommunikationsteams der Polizei sollten das Bild des „Freund und Helfer“ aufrechterhalten. Im Großen und Ganzen war es eine völlige Besetzung des gesamten Bremer Viertels, sodass viele der Leute, die zum Feiern gekommen waren, schon früh wieder gingen.
Vor allem die Sperrstunde macht Einigen im Viertel zu schaffen. Vor allem die Kioskbesitzer geraten nun in ökonomische Miseren. Ein Kioskbetreiber aus dem Viertel sagte uns in einem kurzen Interview: „Tagsüber sind die Kühlschränke voll. Ab 23 Uhr geht das Geschäft erst los, wenn es dunkel wird und die Leute vom Osterdeich kommen. Die wollen doch, dass wir Pleite gehen, die wollen die kleinen Läden weghaben.“ Die Zerstörung der Produktivkräfte während der derzeitigen Überproduktionskrise wirkt sich stark auf kleine Läden wie Kioske aus. Die Kleinen werden fallen gelassen, die Großen gestärkt. So ist das in diesem System und diesem Zweck dient unter anderem auch die Sperrstunde. Gleichzeitig werden nun Massen gegen Massen gestellt. Diesen Part übernimmt neben Ulrich Mäurer höchstpersönlich, vor allem die bürgerliche Lokalpresse. Die Feiernden, die Ungehorsamen, diejenigen, die diesen Ausnahmezustand nicht weiter akzeptieren wollen, werden nun als Idioten dargestellt. Ihnen wird die Schuld dafür in die Schuhe geschoben, dass die Kioske und andere kleine Läden nun in ökonomische Schwierigkeiten geraten.
Man muss natürlich auch sagen, dass immer noch die Möglichkeit besteht, sich an den Orten wie an der Sielwallkreuzung zu treffen und Alkohol zu trinken. Denn in anderen Teilen der Stadt kann man weiterhin alles kaufen. Die Massen haben keinen Bock mehr auf den Ausnahmezustand der Herrschenden, wie sich unter anderem an den Orten zeigte, wo jetzt Sperrstunde herrscht. Dementsprechend ist auch nicht davon auszugehen, dass es die nächsten Wochenenden viel ruhiger wird. Doch erstens wird die Polizei voraussichtlich noch härter auftreten als bisher schon, und zweitens, weiß man bisher auch nicht, was Innensenator Mäurer und der Rest der rot-rot-grünen Bremer Regierung noch so in petto haben. Wenn die Sperrstunde also nicht greifen sollte – und dass sie das langfristig tut, ist unwahrscheinlich – dann kommen noch verschärftere Maßnahmen auf die Tagesordnung. So macht die Sperrstunde in ihrer Inkonsequenz eher den Eindruck, man wolle lediglich ein Exempel statuieren, um dann, wenn klar ist, dass es nicht geklappt hat, einen Vorwand zu haben, erst richtig loszulegen.
Nun nutzen die Bullen die Gelegenheit aber erstmal, um die Militarisierung der Gesellschaft – in diesem Konkreten Fall des Steintorviertels – weiter voranzutreiben, und schicken wiegesagt einen Haufen Bullen in den Stadtteil, der in einer langen Tradition steht - der seit Jahrzehnten immer wieder von mal kleineren, mal etwas größeren Kämpfen mit den Bullen geprägt ist. Gleichzeitig sind seit einiger Zeit die Fahrkartenkontrolleure wieder in Bus und Bahn unterwegs. Aber nicht allein. Verstärkt werden sie durchs Ordnungsamt und Polizei, die angeblich dazu da sind, dafür zu sorgen, dass die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr eingehalten wird. Was das ganze letzten Endes ist, ist die Militarisierung und Überwachung des Nahverkehrs durch bewaffnete und uniformierte Kräfte des Staates.
Der Kurs, den sie nun einschlagen, ist eine Politik der Nadelstiche. Auf der einen Seite macht man Lockerungen, die einen Eindruck von Normalität schaffen sollen. Auf der anderen Seite werden hingegen immer wieder kleine Nadelstiche gesetzt, die den Ausnahmezustand weiter normalisieren. Was sie noch alles auspacken werden, bleibt abzuwarten. Ein entscheidender Unterschied ist allerdings, dass die Menschen immer mehr gegen die Maßnahmen rebellieren, wie sich zuletzt in Stuttgart oder Göttingen zeigte. So werden sich die Menschen in Bremen die Sticheleien des Staates mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht ewig gefallen lassen.