Im Folgenden dokumentieren wir einen Bericht über die Demonstration für Gerechtigkeit für Adel vergangenen Samstag in Essen, welcher in auf der Webseite des Infoladens Wuppertal hochgeladen wurde (English translation here):
#Essen: Ein Tag voller Trauer und Wut – Gerechtigkeit für #AdelB
Essen. 20. Juni. 2020. Die Demonstration gegen rassistische Polizeigewalt wurde heute in Essen verboten, nur eine Kundgebung war erlaubt. Doch trotz des Verbots liefen Menschen nach der stationären Versammlung durch die Stadt. Ein persönlichen Bericht aus Essen.
Normalerweise mag ich Kundgebungen nicht. Oft hört mensch die gleichen oder zumindest ähnliche Reden, und die Stimmung ist oft eher trübe. Kein Kampfgeist. Aber heute war es anders. Die Polizei verbot die Demonstration und besetzte den Essener Stadtteil Altendorf zwei Tage, bevor die heutige Kundgebung überhaupt begonnen hatte. Natürlich wurde das Demonstrationsverbot mal wieder mit COVID 19 motiviert. Wir dürfen in riesigen Einkaufszentren einkaufen gehen, in Fabriken arbeiten usw., aber eine Demonstration gegen rassistische Polizeigewalt ist natürlich zu gefährlich. Offenbar versucht der deutsche Staat uns für dumm zu verkaufen, und glauben zu lassen dass eine Ansteckung eher bei einer Demonstration unter freiem Himmel, als innerhalb von Gebäuden wie z.B. Einkaufszentren möglich ist. Der Versuch der Essener Polizei, Menschen zu täuschen und einzuschüchtern, ist heute gescheitert, die Menschen waren wütend. Viele Menschen trugen zwar Masken und kümmerten sich um einander, aber sie waren nicht bereit, das ziemlich absurde Verbot in Zeiten zu akzeptieren, in denen jeder zwar Konsumtempel betreten darf und zur Arbeit gehen muss, aber nicht auf die Straße gehen darf um zu demonstrieren.
Die Mutter von Adel B. sprach und beschrieb, wie ihr Sohn von Bullen ermordet wurde. Natürlich ungestraft. Am 18. Juni 2019 wurde Abel B. von Essener Bullen durch die geschlossene Tür seines Flurs erschossen. Zuvor hatte Adel die Rettungsdienste kontaktiert und gedroht, sich umzubringen, in der Hoffnung psychologische Hilfe zu erhalten. Adel hatte bereits in der Woche zuvor den Rettungsdienst angerufen, woraufhin ein Seelsorger*in geschickt wurde und Adel in psychiatrische Behandlung kam. Er wurde von einem Richter wieder aus dieser Behandlung entlassen. Am Tag seines Todes schickte die Notrufzentrale nicht erneut einen Seelsorger*in, sondern nur Bullen der Essener Polizei, die Adel mit einer gezogenen Waffe konfrontierten. Obwohl Adel mit ihnen diskutierte, das Messer zwischenzeitlich beiseite legte und sich schließlich auf den Heimweg machte, wurde er schließlich von den Bullen erschossen. Im Nachhinein wurde behauptet, Adel habe die Bullen mit einem Messer angegriffen. Videos, die über den Vorfall erschienen, widerlegten die Lügen der Polizei.
Jemand von der Adel-B.-Initiative schilderte, wie die Bullen Adel B. und seine Familie nach seinem Tod in den Medien kriminalisiert haben. Es gab bewegende und wütende Beiträge zu anderen Menschen, die von Bullen getötet wurden: Mikael Haile (ebenfalls in Essen) , Oury Jalloh, Tonou Mbobda und natürlich Amad A., der starb, nachdem er in seiner Gefängniszelle verbrannt war, obwohl die Bullen seit Monaten wussten, dass sie die falsche Person verhaftet hatten.
Viele Menschen sprachen über die täglichen rassistischen Racial profiling Operationen von den Bullen und dass sie Genug vom institutionellen Rassismus der Bullen, Staatsanwälte und Richter haben. Aber auch über die rassistische Politik der Ausländerbehörde und andere deutsche Behörden wurde gesprochen. Eine Kurdische Frau sagte, dass sie zuerst gezwungen war, ihr Zuhause zu verlassen, weil „sie uns dort töten“ (sie meinte die Unterstützung des deutschen Staates zur Bewaffnung, Finanzierung und Stabilisierung aufeinanderfolgender türkischer Regierungen über Jahrzehnte hinweg), „und jetzt töten sie uns hier“. Jemand anders sagte, es sei an der Zeit, die Statuen der Kolonialherren loszuwerden. Ein weitere Redner*in sagte: “ Den deutschen Menschen hier möchte ich sagen: „Wenn sie mit uns fertig sind, werden sie auch hinter euch her kommen“.
Immer wieder wurde den Bullen gesagt, sich aus der Kundgebung zu entfernen. Irgendwann gingen sie auch und standen nur noch am Rande der Kundgebung. Auch sie spürten die Wut. Nach vielen langen, aber bewegenden und inspirierenden Redebeiträge endete die Kundgebung. Die Redebeiträge auf dieser Kundgebung waren anders. Ich habe die üblichen, perfekt vorbereiteten Redebeiträge nicht gehört. Man konnte den Schmerz und die Wut in fast jedem Satz spüren. Was diese Menschen heute in Essen gesagt haben, war authentisch und real.
Nachdem die Kundgebung beendet wurde, schlug jemand vor, gemeinsam ab zu reisen, und das taten die Leute auch. Es bildete sich schnell eine Demo, und die Bullen wurden völlig überrascht. Mehrere hundert Menschen begannen zu laufen. Die Demonstration war sehr laut und kämpferisch. Viele Passant*innen applaudierten, andere erhoben die Faust, als die Demonstration vorbeizog. Nachdem die Demo etwa 10 Minuten lang durch Essen gelaufen war, griffen die Bullen an und stoppten die Demo. Es gab eine etwa 10-minütige Pattsituation, die endete, nachdem jemand eine Spontan-Demo gegen den Polizeimord an einem 54-jährigen Mann in Bremen angemeldet hatte.
Die heutige Kundgebung und Demo in Essen war einer der besten Protestaktionen, die ich seit langem in NRW erlebt habe. Nach dem rassistischen Anschlag in Hanau hat sich etwas geändert. Viele Migrant*innen haben genug von den rassistischen Übergriffen von Faschist*innen und rassistischen Bullen. Die Menschen haben genug von den Racial Profiling Aktionen der Bullen, und sie wissen, dass der institutionelle Rassismus in der deutschen Gesellschaft so tief sitzt, dass diese Institutionen ihnen nicht nur nicht helfen werden, sondern auch nicht reformiert werden können. Auch die oft ritualisierten Proteste der deutschen Linksliberalen werden nichts an die deutsche „Zustände“ ändern, und immer mehr Menschen scheinen sich dessen bewusst zu sein.
Es war ein starkes Zeichen, dass das Demonstrationsverbot durchbrochen wurde, und die kraftvolle Spontandemo, die darauf folgte, ist etwas, das in Nordrhein-Westfalen nach einer langen Zeit der Ohnmachtsdemonstrationen, die meist von deutschen Eventmanager*innen organisiert wurden, wirklich wichtig und notwendig war. Wir brauchen definitiv mehr von dieser Art kraftvoller Demonstrationen und anderer Aktionen, um rassistische Polizeigewalt und die rassistischen und kapitalistischen Verhältnisse, in denen wir alle leben, los zu werden.
Publiziert von Enough 14. Geschrieben von Riot Turtle.