In der deutschen Bourgeoisie hat der Streit um die Zentralisierung der Staatsgewalt und die Krise des Parlamentarismus neuen Schwung bekommen. Bei dieser Gelegenheit soll auch auf die vergangenen Analysen der Debatte um die Zentralisierung der Staatsgewalt im Zuge der Corona-Pandemie hingewiesen werden. So wiesen Porsche und Piech auf die Notwendigkeit einer zentralisierten Staatsgewalt für das Weltmachtsreben der deutschen Bourgeoisie hin, was hier analysiert wurde. Auch der VW-Bonze Müller sehnt sich nach einem starken deutschen Staat, denn die nächste Krise kommt bestimmt. Und auch der ach soliberale Lindner ist für die zentralisierte, ungehemmte Staatsgewalt - unter Vorbehalt.

 

Söder gegen den Föderalismus

Erneut wird die Corona-Pandemie genutzt, um den Föderalismus zu kritisieren, und dient als Legitimation einer weiteren Zentralisierung der Staatsgewalt. Dies mal hat Markus Söder die Debatte angestoßen. So ist auf der Website der Tagesschau zu lesen:

„Der Föderalismus als Hindernis: Weil es dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht schnell und effektiv genug geht, fordert er nun mehr einheitliche Regelungen und mehr Rechte für den Bund. "Ich bin ein überzeugter Föderalist, aber ich glaube, dass der Föderalismus zunehmend an seine Grenze stößt", sagte er vor einer Schaltkonferenz des CSU-Vorstands. Der Bund müsse, bevor es vielleicht ein neues Infektionsschutzgesetz gebe, die Möglichkeit haben, mit "Bundesverordnungen" zu agieren.“

Die föderale Ordnung der BRD ist ein Ergebnis des zweiten Weltkrieges. Der deutsche Imperialismus hatte zwei Mal vergeblich versucht die Weltordnung mit militärischer Gewalt zu seinen Gunsten zu verändern. Aus beiden Weltkriegen ging vor allem der US-Imperialismus als Sieger hervor.  Durch die militärische Unterordnung der deutschen Bourgeoisie konnte deren Rolle in der Welt gemäß den Interessen vor allem der USA, aber auch Frankreichs und Großbritanniens definiert werden. So wurde die BRD zum antikommunistischen Bollwerk im Widerspruch zwischen Kapitalismus und Sozialismus.
Dies brachte den Widerspruch mit sich, dass der Staat der deutschen Bourgeoisie einerseits stark genug sein musste, um ihre Herrschaft über das Proletariat zu garantieren, und sie zu ihrer Rolle im Kampf gegen den Sozialismus zu befähigen, andererseits sollte der deutsche Staat nicht stark genug sein, um die deutsche Bourgeoisie zu einem Kampf gegen die imperialistische Supermacht USA und die ihr untergeordneten Mächte Frankreich und Britannien zu befähigen.

Teil der Handhabung dieses Widerspruchs ist der Föderalismus. Die Aufteilung der legislativen und exekutiven Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern, erschwert die Durchsetzung einer Fraktion der Bourgeoisie gegen die anderen.
Der Nutzen der demokratisch-liberalen Regierungsform der Diktatur der Bourgeoisie besteht darin, dass die Unzufriedenheit mit der alten Regierung durch Wahlen und Wahlkampf in eine Hoffnung auf die neue Regierung verwandelt wird. So bleibt die Zustimmung zur Diktatur der Bourgeoisie erhalten. Doch dieses einander Ablösen von Parteien an der Macht, die jeweils eine bestimmte Fraktion der Bourgeoisie vertreten, führt im föderalen Deutschland auch zu einer ständigen Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der Bourgeoisie. So können die Fraktionen sich fortlaufend gegenseitig behindern, und müssen deshalb aufeinander Rücksicht nehmen. So konnte man in den deutschen Medien um die Jahreswende verfolgen, dass die Bundesregierung beim Klimapaket Zugeständnisse an die Grünen gemacht hat – wegen deren Macht im Bundesrat.

Deshalb können die Mittel der deutschen Nation nicht zentralisiert unter einer Führung auf einen Zweck hin ausgerichtet werden. Doch das ist notwendig für die Interessen der deutschen Bourgeoisie. Wenn die deutsche Bourgeoisie sich aus ihrer Abhängigkeit vom US-Imperialismus lösen will, und ihre Interessen unabhängig von ihm, also auch gegen ihn verfolgen will, dann braucht sie einen zentralisierten Staat.

Unter dem Stichwort Föderalismusreform wurde immer wieder eine Debatte um dieses Problem geführt. Doch in ihrer inneren Zerrissenheit konnte sich die deutsche Bourgeoisie nie zu deren Umsetzung durchringen. Zu Beginn des Jahres wurde allerdings ein erheblicher Schritt in Richtung Zentralisierung der Staatsgewalt getan. Der Länderfinanzausgleich wurde abgeschafft. Statt dass die finanzstarken Bundesländer die Haushalte der finanzschwachen Bundesländer ausgleichen, wird der Bund Geld an die Länder verteilen. Dies bringt die Länder in eine ökonomische Abhängigkeit vom Bund, und ordnet sie so unter. Landesregierungen stehen vor der Wahl, ob sie den Weisungen der Bundesregierung folgen, oder auf Finanzmittel verzichten. So hat der deutsche Imperialismus einen bedeutenden Schritt getan, um seine internen Widersprüche so zu organisieren, dass er die äußeren Widersprüche seinen Interessen gemäß gestalten kann.
Die Corona-Pandemie wird nun genutzt, um weitere Schritte in Richtung der Zentralisierung der Staatsgewalt zu tun, die die deutsche Bourgeoisie nach Innen so zu organisieren, dass sich nach Außen gemäß ihren Ansprüchen agieren kann.

Spahn gegen das Parlament

Bundesgesundheitsminister Spahn möchte sich seine aktuellen, aber befristeten Sonderrechte am Parlament vorbei Politik zu machen gerne verstetigen lassen wie bei der Tagesschau zu lesen ist:

„In einem Gesetzentwurf heißt es nun, die bisherigen Regelungen sollten - "unter der Voraussetzung, dass dies zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten erforderlich ist" - "verstetigt" werden.“


Doch andere Vertreter der Bourgeoisie wollen das Parlament als Ort der Versöhnung der Bourgeoisie erhalten. Dort werden die gegensätzlichen Interessen vorgetragen, diskutiert und aneinander relativiert. Es werden sogenannte Kompromisse gefunden, in denen sich die stärkste Fraktion der Bourgeoisie unter Berücksichtigung der Interessen der anderen Fraktionen durchsetzt. Als solchen Ort wollen weite Teile der Bourgeoisie das Parlament erhalten.

„‘In einer Zeit, wo es darum geht, diese schwierige Abwägung immer wieder zu treffen, Schutz der Gesundheit, aber auch Schutz von Freiheit und Bürgerrechten, da muss es ein Ringen geben um Lösungen, Debatten, Reden, Gegenreden, Alternative, Abwägungen, Entscheidungen und Kontrollen‘, zeigte sich Roth überzeugt.
Unmut gibt es aber nicht nur bei der Opposition, sondern auch in den Koalitionsfraktionen. "Das Parlament muss der Ort sein, an dem die zentralen Entscheidungen getroffen werden", sagte beispielsweise CDU-Fraktionsvize Thorsten Frei der "Stuttgarter Zeitung".“
Tagesschau


Auch Wolfgang Schäuble ist als Mitglied der regierenden CDU dieser Meinung:


„Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble hat sich am Montag, 19. Oktober 2020, an die Fraktionen gewandt und angesichts der aktuellen öffentlichen Debatte angemahnt, „dass der Bundestag seine Rolle als Gesetzgeber und öffentliches Forum deutlich machen muss, um den Eindruck zu vermeiden, Pandemiebekämpfung sei ausschließlich Sache von Exekutive und Judikative“. Darüber hinaus hat er eine Expertise erarbeiten lassen, ‚wie durch den Bundestag Bundeseinheitlichkeit und Rechtssicherheit aller Maßnahmen verbessert werden können‘.“
Bundestag.de


Spahn hingegen will mit der faschistischen Kritik am Parlament, dass diese lediglich eine Schwatzbude sei, ernst machen:


„Spahn hatte in der Debatte stets betont, dass es ihm nicht um Verhinderung von Parlamentsdebatten gehe. Diese seien wichtig, da es bei den Maßnahmen zur Eindämmung der aktuellen Corona-Pandemie um die "größten Freiheitseinschränkungen" in der Geschichte der Bundesrepublik sowie große "Zumutungen für den Einzelnen" gehe. Seiner Auffassung nach könne der Bundestag "noch öfter" über den Kampf gegen das Virus beraten, ergänzte Spahn.“ Tagesschau

Beraten sollen sie dürfen, aber er will entscheiden. Die zunehmende Zentralisierung der Staatsgewalt, die durch diese Machtverlagerung vom Parlament zur Exekutive herbei geführt wird, ist dem Weltmachtstreben der BRD und der Zuspitzung der Widersprüche zwischen monopolistischer und nicht monopolistischer Bourgeoisie wie sie sich in der Industriestrategie Altmaiers und der politischen Handhabung der Corona-Pandemie gezeigt haben angemessen.