Die BRD steckt in einer Legitimationskrise. Zusehends mehr Menschen verweigern sich der Stimmenabgabe zu Bundes- und Landtags- und Europawahlen. Dabei sind hohe Wahlbeteiligungen für die bürgerliche Politik notwendig um sich selbst den Anschein einer vom Volk gewählten und folglich legitimierten Regierung zu geben und damit die (Rechts)grundlage für ihre bürgerliche, ergo massenfeindliche Politik zu erhalten. Daher ist es für die bürgerliche Politik von essentieller Bedeutung die Wahlbeteiligung hinsichtlich der sinkenden Tendenz erneut zu steigern. Und dafür ist der bürgerlichen Politik jeder Trick willkommen.

Der zuletzt angewandte Trick um den bürgerlichen Parlamentarismus künstlich neues Leben einzuhauchen und eine höhere Wahlbeteiligung zu erzielen, resultierte im Aufkommen der AfD. Diese selbst bezeichnete „anti-establishment“ Partei gibt sich bis heute den Schein eine bürgerliche Alternative zu sein, ohne eine Alternative zu bürgerlicher Politik zu bieten. Sie ist der Versuch gewesen, dem Schein nach alternativen innerhalb des bürgerlichen Parlamentarismus zu Entwickeln (Anti-Euro, völkischer Nationalismus, etc.) um diejenigen Wähler zu gewinnen, die den Betrug der alten bürgerlichen Parteien ‚durchschauten‘ und sich deshalb von der bürgerlichen Wahlfarce abwandten.

Die politische Handhabe der alten Parteien hinsichtlich der AfD war ein Erfolg. Einerseits, weil die Wahlbeteiligung durch Mobilisierung vorheriger Nichtwähler anstieg. Andererseits, indem sich Revisionisten und Opportunisten in Kampagnen von der offen national-chauvinistischen AfD abgrenzen konnten und mit dem alten, aber für bürgerliche Partien bewährtem Slogan „Nicht wählen hilft den Faschisten“ auf Wählerfang gehen konnten und folglich durch diesen Kunstgriff die Wahlbeteiligung zusätzlich künstlich steigerten. Denn ohne die Furcht vor dem vermeintlichen ‚Vierten Reich‘ wären Teile der Massen aller Wahrscheinlichkeit nach erneut der Wahlurne fern geblieben.

Die Massen nahmen also verstärkt an der bürgerlichen Wahlfarce teil. Nicht weil sie sich tatsächlich erhofften mit ihrer Stimme eine ernsthafte Verbesserung ihrer materiellen Lebensrealität zu erzielen, sondern weil ihnen gesagt wurde, dass durch ihre Nichtwahl alles weitaus schlimmer kommen würde und sie moralisch als Helfershelfer der „Faschisten“ gebrandmarkt wären.

Doch dieser AfD-Effekt lässt nach und der prozentuale Anteil an Stimmen für die AfD sinkt deutlich. Der scheinbare Alternativ-Effekt dieser neuen Partei hat sich abgenutzt und die Massenbleiben dem bürgerlichen Zirkus wiederumweg. Die ‚Alternative‘ hat offensichtlich nie eine ernsthafte Alternative geboten.

Was ist nun also der einzige mögliche Weg für die Bourgeoisie um durch die kommenden Wahlen ihre Legitimation wieder steigern zu lassen? Richtig, eine neue Partei, eine neue „Alternative“ muss her um dem Parlamentarismus erneut den Anschein einer Alternative innerhalb des bürgerlichen Systems zu geben; den sterbenden Parlamentarismus in Zeiten von ‚Corona‘ nochmals künstlich zu beatmen. Dabei wird es jedes mal schwieriger den Sterbenden wieder zu den Lebenden zurück zu holen. Sterben ist ein Prozess, doch Punkt rückt näher unaufhaltsam näher, an dem die Schwelle zum unumkehrbaren Tod überschritten ist. Für die Bourgeoise ist die Reanimation jedoch alternativlos, eine alternative fernab des bürgerlichen Wahlapparates für sie nicht tragbar.

 

So ist es auch verständlich, weshalb die SPRINGER-Pressen Journalistin Susanne Gaschke in einer Kolumne auf ‚welt.de‘ eine neue ‚Alternativ-Partei‘ fordert. Ihr ist um dem Legitimationsverlust des bürgerlichen Parlamentarismus wohl bewusst, und mit der Wahl Armin Laschets zum neuen CDU-Chef und Nachfolger von Angela Merkel ihre Sorge besonders groß. Ein weiter-so der merkelschen Politik würde ihrer bescheidenen Meinung nach den letzten Rest an ‚Vertrauen‘ bei den Massen verspielen. Es bedarf einer gekünstelten Alternative um die Massen an den Wahlapparat zu binden.

 

„Das Merkel-Lager und die Zögerlichen haben alle Kräfte mobilisiert und dafür gesorgt, dass bei den Christdemokraten mit knapper Mehrheit alles so weitergeht wie bisher. Vor allem dafür, dass niemand Angela Merkel in ihrem Schalten und Walten stört. (…) „Ich glaube, dies vor allem war die Hoffnung seiner Anhänger. Und genau dies wäre auch so bitter nötig wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Denn wir leben in einem Land, das faktisch ohne Opposition ist und an der „Alternativlosigkeit“ der Verhältnisse kaputt zu gehen beginnt.“1

 

Doch was uns die Bourgeoisie einzureden versucht spiegelt nicht die Lebensrealität der Massen. Denn diese verweigern ihre Stimmenabgabe zu den Wahlen nicht, weil es keine neue bürgerliche „Alternative“ gibt, sondern weil keine der auf den Wahlzetteln angebotenen Alternativen und Etablierten die materiellen Lebensbedingungen der Massen zum Besseren wendet! Egal welche bürgerliche Partei an der Macht ist, es regiert stets die Bourgeoisie. Und gleich welcher Wirtschaftskrise man sich befindet (1929, 2008, 2021): hofiert, abgesichert und beschenkt werden einzig die Monopole des deutschen Finanzkapitals– das Volk darf schauen, wo es bleibt, aber ja nicht auf die Hilfe der bürgerlichen Politik hoffen. Deshalb nutzt sich die Beatmung des Parlamentarismus ab: die Krankheit ist zu weit vorangeschritten, eine Heilung nicht mehr möglich. Einzig noch der palliative Begleitprozess in den Tod bleibt übrig.

Die Genossen der Redaktion Klassenstandpunkt haben bereits vor über einem Jahr eine richtige Analyse des Wahlboykotts vorgelegt und verständlich erläutert, weshalb die Krise des Parlamentarismus nicht mehr abzuwenden ist, sowie die wahren Gründe für den Wahlboykott der Massen angeführt. Anhand von empirischen Daten der OECD schrieben die Genossen:

 

„Diese Entwicklung einer Situation, in der 1) der bisherige Gesellschaftsvertrag in Auflösung begriffen ist, 2) die Reihen des Proletariats wachsen und 3) große Teile des Proletariats und Kleinbürgertums die akute Angst haben abzurutschen, äußert sich sowohl in der BRD aber auch in anderen imperialistischen Ländern mit einer Krise des parlamentarischen Systems. Der alte Deal „Versprechen auf möglichen Wohlstand gegen Versprechen auf sozialen Frieden" geht für einen größer werdenden Teil nicht mehr auf und unter anderem deswegen kriselt die Legitimation der Regierung, wie von der OECD angemerkt.“2

 

Die Wirtschaftskrise ist bereits da. Sie rollt Tag für Tag schneller und wird uns vermutlich noch dieses Jahr mit voller Wucht treffen. Die Insolvenzantragspflicht für insolvente Unternehmen wird besonders von der SPD immer weiter nach hinten verschoben um nicht vor der Wahl Millionenentlassungen und steigende Arbeitslosigkeit erklären zu müssen und vor den Massen ihre blanke Unfähigkeit eine Lösung zu präsentieren demonstrieren zu müssen. Deshalb wird unter Rücksicht aller künstlichen Tricks versucht sowohl die materielle Verelendung zu beschönigen, als auch den bürgerlichen Parlamentarismus als Alternativlos zu präsentieren. Dabei ruht die einzig echte Alternativlosigkeit darin, die bürgerliche Politik und ihr kapitalistisches System zu überwinden und anstelle der Bourgeoisie die Arbeiterklasse als herrschende Klasse zu setzen. Ihre Maßnahmen, die Wahlbeteiligung künstlich zu heben, wird scheitern. Die Wirtschaftskrise wird die Massen weiter verelenden, und kein Kunsttrick wird die Massen dann noch an die Wahlurne führen.

 

1https://www.welt.de/debatte/kommentare/article224514148/CDU-nach-der-Laschet-Wahl-Es-ist-Zeit-fuer-eine-neue-Partei.html

2Klassenstandpunkt #17