Am 8. Dezember 2020 trat in Bremen ein neues Polizeigesetz in Kraft, welches unter anderem einen Angriff auf die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Postgeheimnis sowie auch weitreichende neue Befugnisse in Fragen der digitalen Überwachung bedeutet.

Das Gesetz beinhaltet selber in seinem Paragrapgh 150 die Verpflichtung des Senats, bis zum 31. August 2023 eine Evaluation des Gesetzes zu veranlassen, die die Rechtmäßigkeit der „Überwachungs-Paragraphen“ im Gesetz analysiert. Wie üblich in Bremen wurde diese Sache unter den Tisch gekehrt. Erst jetzt, kurz vor Auslauf der Gültigkeit der Paragraphen mit dem 30. Juni, liegt ein erst im Februar und März 2024 von Innensenator Mäurer bei den Gutachtern – „Herrn Prof. Matthias Stauch als unabhängigen polizeiwissenschaftlichen Sachverständigen und Herrn Prof. Dr. Arthur Hartmann als unabhängigen polizei- sowie sozialwissenschaftlichen Sachverständigen mit der Erstattung von Gutachten“– beauftragter Bericht vor, auf dessen Grundlage der Senat am 10. Juni eine Änderung beschlossen und am Folgetag der Bürgerschaft vorgelegt hat, die quasi gar keine ist: Die Evaluationsfrist zu verlängern. Das ist doch sehr symbolisch dafür, wie es im kleinsten Bundesland zugeht. Der Senat schreibt:

Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, dass insbesondere § 43 Abs. 3 BremPolG sich bewährt hat, dass aber der Datensatz angesichts der geringen Zahl an in der Vergangenheit vollständig abgeschlossenen und damit „evaluationsreifen“ Verfahren zu klein ist, um die Wirksamkeit der Maßnahmen valide beurteilen zu können. Sie empfehlen daher, dass die Laufzeit der zu evaluierenden Vorschriften verlängert und eine erneute Evaluationspflicht gesetzlich geregelt wird, um die Wirksamkeit der Normen weiter zu beobachten und sie künftig mit umfangreicheren Daten erneut begutachten zu können.

Unter anderem zum Zwecke der Evaluation, aber auch aufgrund erkannter Rechtslücken und Unstimmigkeiten im aktuellen Gesetz schlagen die Gutachter folgende Änderungen des Bremischen Polizeigesetzes vor:

Die Löschvorschriften der §§ 35, 38 und 43 Abs. 3 BremPolG entweder zu harmonisieren oder normenklar abzugrenzen. Sofern der Empfehlung der Gutachter gefolgt wird und eine weitere Evaluation des Gesetzes durchgeführt werden soll, wäre es sinnvoll, Regelungen über das Zurückstellen von Löschungen zum Zweck der Evaluation in das Gesetz aufzunehmen.“

Allerdings zeigt sich hier auch die Nadelstich-Politik, die der Bremer Innensenator mit seinen „unabhängigen polizeiwissenschaftlichen Sachverständigen“ (die eine Laufbahn mit Positionen wie Staatsrat, Verwaltungsrichter oder im Auftrag der bayrischen Staatsministerien, vorzuweisen haben) fährt: Überwachung langsam normalisieren, Diskussionen um die Rechtmäßigkeit nach hinten aufschieben, bis es die meisten vergessen haben. Und das ganze dann Schritt für Schritt bei unterschiedlichen Maßnahmen. Dass der Datensatz nach über drei Jahren alleine bis zum Beginn der Evaluation zu klein ist, ist eine schöne Umschreibung dafür, dass der Senat möglicherweise nicht genug Rechtfertigung für seine Überwachungspraktiken finden konnte. Was aber stattdessen mit dem neuen Polizeigesetz gemacht wird, das wird in dem Gutachten nebenbei auch genannt: Die Standortermittlung per Handydaten nutzte die Polizei demnach zwischen 2021 und 2023 75 mal; der Verpflichtung, die betroffene Person ordnungsgemäß über die Ortung zu informieren und über ihre Rechte belehren, sei sie lediglich einmal nachgekommen, und 74 Fälle seien nicht ordnungsgemäß dokumentiert. Angeblich geh es laut buten un binnen bei den meisten Fällen um Suiziddrohungen, überprüfen lässt sich das nicht: „Die Anlagen (Fallbeispiele) des Gutachtens von Prof. Stauch wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen in Absprache mit Prof. Stauch nicht angefügt.“, so der Bericht des Senats. Dass die Bourgeoisie ihre eigenen Gesetze bricht, ist nichts neues. Allerdings ist die zu überschreitende Grenze auch umso höher, je reaktionärer das Gesetz ist.

Demo gegen das neue Polizeigesetz Bremen 2

Demo gegen das Polizeigesetz im September 2020

 

Titelbild: Innensenator Ulrich Mäurer steigt in ein Polizeifahrzeug ein (Quelle: inneres.bremen.de)