Wir publizieren an dieser Stelle ein Interview mit einem Kollegen, der in einem Callcenter für ein Kreditinstitut arbeitet und über die jetzige Lage in seinem Betrieb berichtet.

Wie zeigt sich die Wirtschaftskrise zurzeit bei dir auf der Arbeit?

Das ganze zeigt sich sehr extrem. Als das ganze Spektakel rund um Corona in den Medien anfing haben viele die ganze Sache noch gar nicht ernst genommen. Viele machten immer wieder Witze darüber. Das war aber vorbei als sich zeigte was wirklich kommt. Als die Schul- und Kindergartenschließungen bekannt wurden, begannen vor allem die Mütter mit kleinen Kindern zu verzweifeln. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Die Zahl von Anrufen bei uns stieg total an. Ich arbeite ja für ein Kreditinstitut und meine ganze Tätigkeit besteht eigentlich darin, Kunden zu beraten und ihnen die verschiedenen Produkte zu erklären. Die Kunden sind in der Regel Besitzer kleiner Läden und Unternehmen wie z.B. Restaurants, Kiosks, Handwerksunternehmen etc. oder eben gut bezahlte Facharbeiter. All diese Leute haben Kredite für ihre Autos, Häuser oder für irgendwelche anderen Sachen. Viele von ihnen Zahlen jeden Monat hohe Raten für diese Kredite. Mit den Schließungen all dieser kleinen Läden und Unternehmen und dem Eintritt von Kurzarbeit und Kündigungen wurde das anders. Die Leute riefen nur noch an um ihre Kosten irgendwie zurückzuschrauben und wollten ihre Raten aussetzen. Man merkte eine große Unsicherheit und Verzweiflung bei all diesen Leuten. Sie hatten große Angst davor, dass sie in den völligen Ruin gehen. Viele haben noch am Telefon angefangen zu weinen, andere wurden beleidigend und bedrohten mich und meine Kollegen durch den Hörer sogar. An einem Tag sagte eine Kollegin nach Feierabend zu mir, dass sie heute so häufig beleidigt worden sei wie in all den Jahren in denen sie hier arbeite zusammen noch nicht. Jeden Tag seit jetzt mehreren Wochen schon haben wir Tag für Tag nur solche Anrufe. Man sieht tatsächlich wie all diese Leute, die immer ganz gut weg gekommen sind, plötzlich den Bach runter gehen.


Du hattest ja schon kurz von Kurzarbeit und Kündigungen gesprochen. Wie ist es denn bei dir im Betrieb was diese Dinge angeht?

Kurzarbeit und Kündigungen gibt es bisher noch nicht. Bei den vielen Leiharbeitern ist die Lage aber sehr unklar. Und all den Müttern die jetzt zuhause bleiben um auf ihre Kinder aufzupassen, werden dafür die Urlaubstage abgezogen, bis hin zum unbezahlten Urlaub. Sie sind diejenigen die ganz klar am meisten von uns darunter leiden, ausgerechnet die, die auch noch ihre Kinder satt kriegen müssen. Im Grunde wurde uns auch hoch und heilig versprochen, dass es so bleiben wird und sie keine Kurzarbeit anmelden werden. Doch dazu wurde auch ganz klar gesagt, dass weiter gearbeitet wird bis der letzte hier mit einer Corona-Infektion raus geht. Angeblich in unserem Interesse, weil man dann seinen Lohn noch kriegen würde und nicht weil sich die Chefs weiter eine goldene Nase verdienen. So wurde uns das verkauft.

Die Gesundheit scheint egal zu sein. Überall werden zwar Schilder mit irgendwelchen Hygienetipps aufgehängt und es soll theoretisch nur jeder zweite Platz besetzt werden, aber das funktioniert schon logistisch überhaupt nicht, weil wir dafür viel zu viele sind. Wenn man arbeitet ist es okay wenn man dicht an dicht sitzt, wenn aber Pause ist rennen die Vorarbeiter durch die Gegend und fordern alle auf den Abstand einzuhalten. In die Raucherecke vor dem Gebäude kamen sogar letztens die Bullen und kontrollierten, ob bei den Rauchern auch der Abstand eingehalten wird.


Wie reagieren deine Kollegen darauf?

Es ist total Lächerlich, wie die meisten Kollegen sagen. Wir sind in einem Großraumbüro auf engem Raum mit 50 Leuten oder so. Wenn da einer das Virus kriegt dann stecken sich gleich alle an.  1,50 m Abstand und Hygienetipps hin oder her. Viele fragen sich eh warum sie dieses Risiko für Mindestlohn noch eingehen sollen. Aber du kannst ja nicht einfach zuhause bleiben und auf das Geld scheißen, das du brauchst um über die Runden zu kommen. Die Arbeit ist nerviger, die blödsinnigen Maßnahmen nerven, die Vorarbeiter nerven, die Bullen erst recht und die Gefahr, dass man sich im Zweifel sehr schnell infizieren kann, macht auch großen Unmut. Also auch wenn wir nicht in Kurzarbeit sind oder einer nach dem anderen arbeitslos wird, sieht man glaub ich auch bei uns ganz gut, dass die Last einer Krise wieder mal auf die Schultern von denen abgeladen wird, die eh schon scheiße dran sind. Dabei können wir doch wirklich am wenigsten dafür.