Wir teilen hier eine Stellungnahme des Komitee gegen das Verbot von Palästina Solidarität Duisburg zum am 15. November gefällten Urteil des Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW in Münster:

Eilverfahren gegen PSDU-Verbot soll abgewürgt werden!

 

OVG NRW hilft beim Abbau von Grundrechten

Fünf Monate lang hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW in Münster das Eilverfahren gegen das Verbot von Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) in die Länge gezogen. Am 15. November, fast auf den Tag genau sechs Monate nachdem PSDU vom NRW Innenministerium verboten wurde, hat es dann endlich geurteilt. Die Entscheidung ist ein Skandal – und eine Kampfansage an die Grundrechte und die Gerechtigkeit in diesem Land!

Zur Erinnerung

Am 16. Mai 2024 wurden die Wohnungen von vier Duisburgerinnen und Duisburgern vom LKA, von der Duisburger Kriminalpolizei, vom Duisburger Staatsschutz und vom Verfassungsschutz NRW gestürmt. Es wurde Eigentum in Höhe von mehr als 25.000 Euro entwendet und den Betroffenen wurden Verbotsverfügungen gegen die Gruppe PSDU ausgehändigt. Bei all dem wurden die Grundrechte der Opfer dieser Repression mit Füßen getreten, sie wurden teilweise bedroht und belogen. Außerdem wurde das Ganze von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), gegen den erst tags zuvor Korruptionsvorwürfe laut wurden, groß in Szene gesetzt; Medien waren bei allen vier Razzien dabei.[1] Sie verbreiteten sofort die Erzählung von den „Hamas-Unterstützern“.[2]

Mit den Hausdurchsuchungen und dem Verbot von PSDU kam die Repression aber noch längst nicht an ihr Ende: Bei einem der Betroffenen – Ahmad – durchsuchten die Behörden auch den Arbeitsplatz. Er wurde bald darauf von Seiten seines Arbeitgebers suspendiert und mittlerweile wurde ihm sogar gekündigt.[3] Außerdem warf ihm die Polizei vor, Urkunden zu fälschen, weil sie mehrere Reisepässe von Verwandten bei ihm in der Wohnung fanden. Diese rassistische Anschuldigung musste sie allerdings mittlerweile zurücknehmen.[4] Einem weiteren der Betroffenen – Leon – wurde in den folgenden Tagen mehrfach die Teilnahme an Versammlungen bei Androhung schwerer Geldstrafen verboten.[5] Bei einer dritten Betroffenen wurde ihr Konto durchleuchtet. Dem vierten Betroffenen teilte das LKA nach rund einem Monat mit, dass die ihm und seiner Frau gehörenden Handys und Laptops, die von den Beamten mitgenommen wurden, ungerechtfertigterweise beschlagnahmt worden seien – trotzdem erhielten sie sie bis heute nicht zurück.

Darüber hinaus wurde eine NRW-weite Palästina-Demo in Duisburg verboten, weil die Anmelderin angeblich PSDU-nah sei.[6] Die Vorsitzende Richterin der 18. Kammer des Verwaltungsgerichts in Düsseldorf, die u. a. die auf Lügen basierenden Hausdurchsuchungsbefehle für den 16. Mai unterzeichnet hatte,[7] fällte zuletzt nicht nur Urteile, in denen das Verbot der Parole „From the River to the Sea Palestine will be free“ auf mehreren Demos in NRW bestätigt wurde.[8] Sie drohte zudem dem Komitee gegen das PSDU-Verbot und behauptete wahrheitswidrig, das Komitee verbreite ein verbotenes Symbol der Gruppe Samidoun.[9]

Diese Schikane blieb nicht ohne Gegenwehr: Alle Betroffenen reichten Klagen und Beschwerden gegen die Repression ein. Ahmad und Leon klagten zudem gegen das Verbot und sie stellten einen Antrag, um das Verbot bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung aufheben zu lassen.[10] Für diese Klage, den Eilantrag und die Begründung hatten sie einen Monat Zeit. Die Gegenseite – das NRW-Innenministerium – verschleppte das Verfahren aber von Anfang an. Für jede Antwort, jedes Statement, nahm es sich unverhältnismäßig viel Zeit und ließ wiederholt Fristen verstreichen – ohne Konsequenz: Das OVG ließ diese Verschleppung, trotz Kritik von Seiten der Kläger und ihrer Anwältin, einfach zu.[11]

Wie hat das Gericht geurteilt?

Nun endlich, sechs Monate nach dem Verbot von PSDU und fünf Monate nach Einreichung der Klage und Antrag auf ein Eilverfahren, hat der 5. Senat des OVG NRW ein „Eil“urteil gefällt. Ihr könnt es hier nachlesen.

Das Gericht hat den Antrag abgelehnt. Es begründet dies damit, dass PSDU angeblich die Hamas „unterstützt“ und „Gewalt in das Verhältnis von Israelis und Palästinensern hineingetragen“ habe. Damit hat das Gericht die wichtigsten Behauptungen des NRW-Innenministeriums eins zu eins übernommen – und teilweise sogar zugespitzt, denn das Ministerium hatte stets von einer dubiosen und juristisch nicht haltbaren „geistigen Unterstützung“ fabuliert. Diesen sinnlosen Begriff macht sich das OVG wohlweislich nicht zu eigen. Stattdessen spricht es schlicht und einfach von „Unterstützung“, und zwar, weil PSDU die Hamas „verharmlost und damit erkennbar inhaltlich unterstützt“ habe. Wie sah diese Verharmlosung aus? Indem PSDU Fakten aufgezählt hat: die Hamas ist die faktische Regierung im Gazastreifen, sie ist Teil des vom Völkerrecht gedeckten Widerstands der Palästinenser, sie ist nur in einer Handvoll Länder als „Terrororganisation“ eingestuft usw. Fakten sind aus Sicht des 5. Senats des OVG NRW also bereits „Verharmlosung“ und „Unterstützung“. Auf alle weiteren Punkte, die die Behörden PSDU vorgeworfen und die Ahmad, Leon und ihre Anwälte hinlänglich widerlegt haben, ging das Gericht gar nicht erst ein.

Darüber hinaus hat das OVG es abgelehnt, dass Ahmad und Leon als Einzelpersonen und Betroffene gegen das Verbot klagen. Die beiden hatten dies geltend gemacht, weil das PSDU-Verbot in ihre persönlichen Grundrechte – konkret: das Vereinigungsrecht und das Recht auf Meinungsfreiheit – eingreift. Das Gericht urteilte dagegen, dass nur der Verein selbst gegen sein Verbot klagen könne. In der Frage, ob Ahmad und Leon gemeinsam mit den anderen beiden Betroffenen gegen das Verbot klagen können, entschied das Gericht nicht. Es äußerte aber „erhebliche Zweifel“ daran, dass die vier klageberechtigt seien, und behält sich damit vor, im Fall von PSDU entgegen eigenen Urteilen in früheren Verfahren zu urteilen. Stattdessen verwies das OVG darauf, dass das Innenministerium von „ca. 15 Mitgliedern“ bei PSDU ausgehe. Allerdings hatte das Ministerium selbst erklärt, dass die vier klageberechtigt seien.

Was bedeutet all das?

Das Urteil ist das denkbar schlechteste, das man sich hätte ausmalen können. Wie schon das verschleppte Verfahren zeugt es von tiefster Befangenheit der drei Richterinnen und Richter.

Sie haben sich – selbst für ein im Eilprozess gültiges summarisches Verfahren – inhaltlich extrem oberflächlich mit dem gesamten Thema beschäftigt. Sie haben keines der vielen fundierten Argumente der Kläger berücksichtigt. Stattdessen haben sie sich vollständig der völlig oberflächlichen, einseitigen, vorurteilsbeladenen, sich ausschließlich auf Unterstellungen, aber nie auf juristische Tatbestände oder wissenschaftliche Fakten beruhenden Argumentation des NRW-Innenministeriums angeschlossen. Den Vorwurf der Klagenden, dass das Innenministerium keine Ahnung vom Thema habe und sie daher lediglich mit Lügen und Unterstellung attackiere, wiesen die Richterinnen und Richter zurück – nur um im nächsten Schritt selber zu beweisen, dass sie selbst nicht weniger vorurteilsbeladen und in der Sache unwissender sind als die Repressionsbehörden.

Die Tatsache, dass sie hier ein inhaltliches Urteil gefällt haben, das sofort über alle Medien unter denselben Propaganda-Schlagworten wie direkt nach dem PSDU-Verbot im Mai verbreitet wurde, während sie zugleich infrage stellen, dass die Klagenden überhaupt klageberechtigt sind, deutet auf folgendes Kalkül hin:
1. Das Gericht wollte eine inhaltlich begründete Entscheidung fällen, die dem NRW-Innenministerium den Rücken stärkt und weiterer Repression und weiteren Verboten gegen die Palästinasolidaritätsbewegung in ganz Deutschland Vorschub leistet. Mit anderen Worten: Es handelt sich um ein bewusst politisches Urteil.
2. Gleichzeitig behalten sich die Richter vor, das Hauptsacheverfahren an formalen Fragen scheitern zu lassen, indem sie später noch urteilen können, dass die Betroffenen nicht das Recht hätten, gegen das PSDU-Verbot zu klagen.
3. Indem sie die Frage nach der Klagebefugnis jetzt offenlassen, wollen sie gleichzeitig verhindern, dass die Klagenden Rechtsmittel einlegen können. Das wäre nämlich möglich, sobald das Gericht das Hauptsacheverfahren ablehnt. Indem sie diese Frage aber zum aktuellen Zeitpunkt bewusst unbeantwortet lassen, haben sie jetzt mit dem Eilverfahren Fakten geschaffen, die kaum angreifbar sind – weil das Urteil unanfechtbar ist –, während sie das Hauptsacheverfahren nun in aller Ruhe verschleppen können. Dass sie darin gut sind, hat das letzte halbe Jahr bewiesen.

Politisch bedeutet das Urteil:
1. PSDU bleibt vorerst verboten und die Palästinasolidarität, besonders in Duisburg, bleibt weiterhin massiv kriminalisiert.
2. Das PSDU-Verbot kann nun zum Vorbild für weitere Verbote genutzt werden, da sich die Repressionsbehörden in NRW, aber auch in anderen Bundesländern, sicher sein können, dass sie dabei Rückendeckung von Teilen der Judikative bekommen.
3. Der Vergleich zwischen PSDU und dem im Sommer kurzzeitig verbotenen und nach weniger als einem Monat im Eilverfahren wieder legalisierten rechtsradikalen Magazin Compact[12] beweist wieder einmal: Rassisten und Rechtsradikale haben in diesem Land freie Hand, während migrantische, antirassistische, internationalistische und antiimperialistische Kräfte mit aller Härte angegriffen und in ihren Grundrechten eingeschränkt werden. Gegen Migranten hetzen und auch antisemitische Verschwörungstheorien zu verbreiten ist in Deutschland in Ordnung. Gegen einen Völkermord – mit mittlerweile über 200.000 Ermordeten – zu protestieren und dabei auch die für ihre Beihilfe dabei vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagte Bundesrepublik zu kritisieren, ist dagegen unverzeihlich. Wer Letzteres tut, wird bestraft. Und zwar längst nicht mehr nur von Politikern, Medien, Polizisten, Geheimdienstlern und Staatsanwaltschaften, sondern auch von Richterinnen und Richtern, wie denen des 5. Senats des OVG NRW.

Der Kampf geht weiter!

Das Hauptsacheverfahren gegen das PSDU-Verbot ist noch nicht beendet. Die Betroffenen prüfen außerdem juristische Schritte gegen das skandalöse Eilurteil.

Sie sind außerdem weiterhin auf Spenden angewiesen, denn jede Niederlage und auch jede neue Klage verursacht neue Kosten.

Sie werden auch weiterhin aktiv und laut auf der Straße sein und auch durch das Land reisen, um ihre Erfahrungen mitzuteilen.

Und auch wir als Komitee bleiben weiterhin aktiv, um sie zu unterstützen und unser aller Grundrechte zu verteidigen!