In Beirut, der Hauptstadt des Libanon, kam es letzte Woche Dienstag zu einer Explosion im Hafen. Dabei sind anscheinend über 2000 Tonnen Sprengstoff, die dort lagerten, im Zuge eines Unfalls explodiert. Die Explosion tötete mindestens 158 Menschen, verletzte ca. 6000 Menschen und hatte so eine Zerstörungskraft, dass über 300.000 Menschen obdachlos geworden sind.

Diese Zerstörung von Menschenleben und Lebensgrundlagen trifft das libanesische Volk in einer Zeit der Krise. Die libanesischen Bourgeois haben gemeinsam mit der imperialistischen Bourgeoisie den Reichtum der Nation geplündert, der Staat ist nahezu bankrott, die Arbeitslosigkeit steigt, die Währung verfällt – und das in einem Land, das von Lebensmittelimporten abhängt. Genauso wie die meisten anderen unterdrückten Nationen ist der Libanon besonders stark von der Coronavirus-Pandemie betroffen.

Der Libanon: Ein weiteres Schlachtfeld zwischen dem US- und dem russischen Imperialismus

Der Libanon ist eine unterdrückte, halbfeudale und halbkoloniale Nation.  Der Teil der libanesischen Bourgeoisie, dessen Massenbasis schiitisch ist, und der dem iranischen Regime und dem russischen Imperialismus nahe steht, wird politisch von der Hizbullah repräsentiert. Diese ist auch Teil der Regierung. Das ist dem US-Imperialismus ein Dorn im Auge. Daher greift dieser die libanesische Wirtschaft und die Hizbullah mit politischen Maßnahmen an.

„And since Donald Trump became US president, tougher US sanctions against Lebanese banks suspected of links to Hizbullah, the Shia party at war with Israel, have weighed on the economy, in which banking is central. In August 2019 the US Treasury Department accused the Jammal Trust Bank (JTB) of supporting Hizbullah and Iran, froze its assets in the US and banned it from conducting dollar transactions; JTB went into liquidation in September.“ Le monde diplomatique

Die aktuelle Krise und die aktuellen Kämpfe will der US Imperialismus nutzen, um die Hizbullah und damit den russischen Einfluss zu schwächen.


Macron regiert rein

Macron, der französische Präsident, erhebt gleich den Anspruch zuständig zu sein. Denn Frankreich ist die imperialistische Macht, die am meisten Kapital in den Libanon exportiert.
Daher reiste Macron in diese Halbkolonie und las den dortigen formell Regierenden die Leviten. Auf einer Pressekonferenz beleidigte er die libanesische Führung in einer Tour und rüffelte sie wie dumme Schuljungen. Doch damit nicht genug. Nach seinem Besuch an der Stelle der Explosion besuchte er scheinbar spontan ein christliches Viertel und badete in den Massen, die den Sturz ihrer Regierung forderten und teilweise „Vive la France!“ riefen. Um das einzuordnen, muss man wissen, dass die christlichen Massen im Libanon auch die Massenbasis so sympathischer Organisationen wie der Phalange stellen, die vor allem bekannt für das Massaker von Shabra und Shatila sind, wo sie hunderte Palästinenser in einem von der IDF abgeriegelten Flüchtlingscamp abschlachteten.

Macron erhörte die Rufe des Volkes und antwortete.

„„Macron antwortete daraufhin mit lauter Stimme, um die Menge zu übertönen: ‚Ich verstehe eure Wut. Der Libanon hat ein souveränes Volk. Das (der Sturz des Regimes, d. Red.) steht mir nicht zu. Dafür seid ihr zuständig. Ich bin da, um euch als Volk zu helfen, damit ihr euch ernähren könnt und um wieder aufzubauen.‘“ Die Welt

In seiner Bescheidenheit verweigert er die Intervention zu Gunsten der christlichen Fraktion der libanesischen Bourgeoisie, aber ganz Mann des Volkes ermutigt er einen Umsturz. Doch damit nicht genug. Macron schritt so gleich zur Tat und organisierte eine Spendenkonferenz.

„The office of French President Emmanuel Macron, who led the conference, said the meeting raised pledges worth almost 253 million euros ($298m). In his opening remarks, Macron said the funds would primarily support healthcare, food security, education and housing.
"The Lebanese authorities must now implement political and economic reforms demanded by the Lebanese people and which alone will enable the international community to act effectively alongside Lebanon for reconstruction," Macron said.“ Al Jazeera Engl

„The sums will be routed through the UN, international organisations and NGOs, rather than the Lebanese government - in line with the demands of large swaths of the Lebanese public who fear the funds would be lost to corruption.“  Al Jazeera Engl

So setzt Macron die Regierung unter Druck. Formell ist sie an der Macht, aber wenn sie vor dem Volk nicht als der Grund da stehen will, dass das ausländische Geld nicht fließt, dann muss sie sich seinem Diktat beugen. Gleichzeitig baut er mit den NGOs einen Staat neben dem Staat auf, durch den er noch unabhängiger von der tatsächlichen Regierung in den Libanon rein regieren kann. Indem er nämlich durch sogenannte Nicht-Regierungsorganisationen eigentlich staatliche Aufgaben wie Teile des Bildungs- und Gesundheitssystems ausführen lässt, die finanziell vom Imperialismus abhängen, und in seinem Sinne Macht ausüben. Die müssen dann natürlich auch geschützt werden und bieten die Legitimation für einen „humanitären“ militärischen Einsatz.


Er will somit sicher stellen, dass die Kämpfe keine tatsächliche Revolution zur Folge haben, sondern eine Marionettenregierung durch eine andere ersetzt wird, und gleichzeitig die Kontrolle über den Libanon erweitern, indem er den russischen Einfluss zurück drängt. 
Wie absurd es ist, irgendwelche Hoffnungen auf den Imperialismus zu setzen, wenn es um die Freiheit und das Wohlergehen des Volkes geht, drückt sich darin aus, dass das Tränengas, dass auf die rebellierenden Massen geschossen wird, aus französischer Produktion stammt.


„With painful irony, the protesters, incensed by the fact that the French head of state had reached out to the people while their own leaders were nowhere to be found, were targeted by Lebanese security forces with mostly French-manufactured tear gas.“ Middle East Eye


Das Volk rebelliert


Weite Teile des Volkes betrachten ihre Regierung als Mörder, wegen der offenbar fahrlässigen Lagerung dieser gigantischen Menge Sprengstoff. Daher wurde die Explosion zum Anlass die brodelnden Widersprüche des Landes zur offenen Rebellion zu eskalieren. Dies ist nicht das erste Mal, wie wir bereits berichteten. Hier, und hier, und hier.

LibanonRiot1August2020

„As fury boils over, Lebanese have taken to sharing pictures of nooses, implying the execution of politicians, and on Saturday staged a mock execution of the country's political leaders at Martyrs' Square, in central Beirut.“ Al Jazeera Engl

„Vor der Ankündigung Diabs hatten wütende, von ehemaligen Militärs angeführte und über Twitter von der US-Botschaft angefeuerte Demonstranten das Außenministerium stundenlang besetzt und es zum »Hauptquartier der Revolution« ausgerufen. Auch das Energie- und das Wirtschaftsministerium waren von Protestierenden, die »Rache bis zum Sturz des Regimes« skandierten, gestürmt worden. Am Sitz des libanesischen Bankenverbandes legten sie Feuer.“ Junge Welt

Das Volk bereitet seinen Herren symbolisch die Hinrichtung auf öffentlichen Plätzen. Es besetzt Regierungsgebäude und steckt den Bankenverband in Brand. Das sind relativ deutliche Taten, die darauf hindeuten, dass man sich als Revolutionär durchaus positiv darauf beziehen kann. Auch die Äußerungen eines Aktivisten gegenüber Middle East Eye sind begrüßenswert:

„Ghassan Mougharbel, an activist with the grassroots Li Haqqi [Für mein Recht] movement, told MEE that there needed to be a total overhaul. "They say it's only about corruption, but it's about an entire political, social and economic system," he said. He said that he had been at his home in central Beirut during the blast and had to save his father as the glass was shattering around him. He noted that this was reversal of earlier years when his father had to protect him from the all too frequent violence in the country. "No change will come about unless it is brought down and we build something new," he said.“ The Middle East Eye

LibanonRiot3August2020
Insofern sind die Rebellionen Ausdruck davon, dass das Volk nicht mehr weiter machen kann wie bisher und das Vertrauen in die herrschende Klasse verloren hat. Schon seit längerem tobt der Klassenkampf im Libanon auf relativ hohem Niveau.


„The movement that began in October 2019 stems directly from the austerity policies and their impact on the public sector and the middle class, but also from the continual tax increases, which affect the working class in particular. The government dropped the WhatsApp tax after the protests, but the 2017 increase in value added tax from 10% to 11% and increases in tax on tobacco and alcohol are still in place. The movement is also the result of unanimous condemnation of corruption among the political elite and a lack of good-quality public services: 20% of the population has no access to safe drinking water, and power cuts can last up to three hours in Beirut and 12 hours in the rest of Lebanon.
The power of Lebanon’s banks is also criticised, and one of the movement’s slogans is ‘Fight the power of the banks’. From Beirut to Nabatieh in Lebanon’s south and Tripoli in the north, there have been repeated demonstrations outside the offices of the Bank of Lebanon and leading private financial institutions, which respectively hold 35.3% and 40.1% of Lebanon’s public debt. Since the civil war (1975-90), former prime minister Rafik Hariri (assassinated in 2005) and the political elite have sought to finance reconstruction through government borrowing from banks (some owned by politicians), which have profited from high interest rates.“ Le monde diplomatique


Die Rebellionen im Libanon sind Ausdruck des Widerspruchs zwischen der bürokratischen Bourgeoisie, dem Großgrundbesitz und dem Imperialismus auf der einen und dem libanesischen Volk auf der anderen Seite. Die Imperialisten und ihre libanesischen Lakaien plündern die Reichtümer der libanesischen Nation, knechten das libanesische Volk und beuten es aus. Dagegen hilft nur eine Revolution des Volkes, die mit dem Imperialismus und Halbfeudalismus bricht, und die bürokratische Bourgeoisie und Großgrundbesitz enteignet; eine neudemokratische Revolution unter Führung des Proletariats.


Eine andere Fraktion der bürokratischen Bourgeoisie steht bereit


Die Hoffnung der Imperialisten diese Rebellion nutzen zu können, um eine halbkolonial kontrollierte Regierung durch eine andere halbkolonial kontrollierte Regierung ersetzen zu können, ist nur leider nicht unrealistisch. Denn auch im Libanon mangelt es an einer kommunistischen Partei, die die Rebellion der Massen in Richtung einer neudemokratischen Revolution führen kann. Statt dessen steht eine andere Fraktion der bürokratischen Bourgeoisie bereits bereit, um die Macht zu übernehmen.


„They are supported by the most leftwing elements within the Hirak (movement): the Lebanese Communist Party; the Citizens Within a State movement, led by former labour minister Charbel Nahas, one of the few politicians not shunned by the people; the Youth for a Change movement; the People’s Movement, led by former Arab nationalist deputy Najah Wakim; and the Popular Nasserist Organisation, led by Oussama Saad, a deputy from Sidon.
These parties are also opposed to the government’s policy of privatisation, which aims to sell off Lebanon’s last state-owned enterprises cheaply. On 21 October 2019 Saad Hariri, then still prime minister, responded positively to the demonstrators’ complaints, promising an early general election, and announced that Lebanese banks would be helping to reduce the budget deficit. But he also talked of partial or complete privatisation of the national airline, telecommunications, Beirut’s port and the Casino du Liban, without any element of social redistribution.“ Le monde diplomatique

Hier zeigt sich die Notwendigkeit einer Kommunistischen Partei, um der Bourgeoisie die Führung der Massen zu entreißen, und die Rebellion zur neudemokratischen Revolution zu führen. Als proletarische Internationalisten haben wir die Pflicht, den Kampf des libanesischen Volkes moralisch, materiell und politisch zu unterstützen, was nicht zuletzt bedeutet den Zweilinienkampf zu entwickeln.