Seit langem versucht der türkische Staat, die Hauptphase der gegenwärtigen Überproduktionskrise weiter hinauszuzögern. Wie in Deutschland z.B. die Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, wurde in der Türkei über längere Zeit der Leitzins auf sehr niedrigem Niveau gehalten, um Anleihen für Investitionen attraktiver zu machen.
Diese künstliche Beatmung zeigte kürzlich mit dem Rekord-Wirtschaftswachstum, das den Einbruch vom letzten Jahr vorübergehend wieder wett gemacht werden konnte, Erfolg. Zugleich muss das Volk allerdings die Auswirkungen der riesigen Inflation (aktuell knapp 20 Prozent) tragen, die die Senkung des Leitzinses verursacht hat.
Laut türkischen Medien sind die Lebensmittelpreise für Grundnahrungsmittel innerhalb des vergangenen Jahres um 30 Prozent gestiegen, die Mietpreise in Istanbul haben sich fast verdoppelt. Erdgas und Strom ca. 120 (!) Prozent, und als am meisten betroffene Lebensmittelarten sind Gurken (über 56 Prozent), Zucchini (knapp 44 Prozent) und Zitronen (über 36 Prozent). Für viele Menschen in den Städten reicht es daher nicht mehr für mehr als die allerdürftigsten Nahrungsmittel. Die tagesschau berichtet von einem Ladenbetreiber und einem Handwerker aus einem Istanbuler Arbeiterviertel:
„Ich kriege einen Anschiss, weil die Preise ständig steigen. Und dafür geben sie mir die Schuld. Dabei sollten sich die Vorwürfe an die Politiker richten. Was soll ich machen? Wenn ich selber teurer einkaufe, muss ich selber auch teurer verkaufen.“
„Das darf doch nicht wahr sein - Alk und Zigaretten sind so teuer geworden. Das macht uns echt fertig. Ich gehe ein Bier trinken, und die verlangen 20 Lira. Was verdient ein Tagelöhner? 80 oder 100 Lira am Tag. Wenn der drei Bier trinkt und eine Packung Zigaretten kauft, ist das ganze Geld weg. Dafür arbeitet der einen ganzen Tag lang. Soll der sich am Abend zur Entspannung denn nicht mal mehr ein Bierchen leisten dürfen?“
Dass der Leitzins im März bereits wieder deutlich erhöht wurde und seitdem fast konstant ist, konnte die Entwertung der Lira bis jetzt nicht aufhalten. Und sollte das hauptsächliche Ausmaß der Inflation gebändigt sein, steht schon eine Riesenmasse an überfälligen Unternehmungen in der Tür, deren Ende eine große Arbeitslosenwelle verursachen wird.