Die Polizei nimmt einen Klimaaktivisten kurz vor Start des Marathons (im Hintergrund) fest. [alle Bildquellen: tagesspiegel.de]
Um die 60.000 Menschen aus mehr als 150 Ländern gingen am vergangenen Sonntag bei spätsommerlichem Wetter in der Hauptstadt an den Start, um unter den Bannern des Automonopolisten BMW in die Fußstapfen der griechischen Sagenhelden zu treten und nach über 42 gerannten Kilometern den Zieleinlauf durchs Wahrzeichen des deutschen Imperialismus zu vollbringen.
Auch dieses Jahr wurde beim schnellsten Marathon der Welt wieder ein neuer Weltrekord aufgestellt – die Äthiopierin Tigist Assefa lief die Strecke in 2:11:53 Stunden; bei den Männern verfehlte der kenianische Vorjahressieger Eliud Kipchoge seinen dort aufgestellten Weltrekord von 2:01:09 Stunden um 93 Sekunden. Der größte Sieger stand aber bereits im Vorhinein fest: Die repressive Apparat des Bundeslandes Berlin, der sich eine weitere Vorlage für Versammlungsverbote in der Zukunft schaffen konnte. Die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“, die das Brandenburger Tor erst eine Woche zuvor mit orangener Farbe besprüht hatten, hatten im Vorhinein bereits angekündigt, den Marathon zu blockieren. Daraufhin erließ die Polizei Berlin am 22. September eine Allgemeinverfügung, die nicht angemeldete Aktionen und Demos „von der Gruppierung ‚Letzte Generation‘“ rund um den Marathon und auf der Stadtautobahn untersagte. Für Verstöße wurden Zwangsgelder in der Höhe von 2.000 Euro angekündigt. Die Rechtfertigung für das alles findet sich weiter unten im Text:
„Versammlungen im Sinne des Artikel 8 des Grundgesetzes (GG) sind örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterungen oder Kundgebungen (BverfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 -, juris Rn. 41). Dies ist bei Blockadeaktionen dann der Fall, wenn diese mit dem Ziel der Einwirkung auf die öffentliche Meinungsbildung erfolgen und beabsichtigte Störungen als ein dem Kommunikationsanliegen untergeordnetes Mittel zur symbolischen Unterstützung ihres Protests und damit zur Verstärkung der kommunikativen Wirkung in der Öffentlichkeit dienen (vergleiche BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 -, juris Rn. 42).
Dagegen fallen Blockaden dann nicht in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit, wenn die Blockade nicht in erster Linie der Kundgebung einer Meinung oder der Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen, sondern der zwangsweisen oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen dient (vergleiche BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 -, juris Rn. 43f.).
Letzteres könnte bei den Aktionen der „Letzten Generation“ durchaus angenommen werden. Die Blockaden dienen nicht vordergründig der symbolischen Unterstützung des politischen Anliegens Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Mit den Blockadeaktionen werden vielmehr konkrete Forderungen (Einführung eines „9-Euro-Tickets“ und eines Tempolimits von 100 km/h) verbunden. Das Ende der langfristig angelegten Aktionswellen soll gerade davon abhängig gemacht werden, dass diese konkreten politischen Forderungen erfüllt werden. Insofern dienen die Blockaden jedenfalls auch zur selbsthilfeähnlichen Durchsetzung der Forderungen. Die Blockadeaktionen zielen nicht darauf ab, dass breite Teile der Gesellschaft von den Forderungen überzeugt und die Forderungen im Rahmen eines demokratischen Prozesses verwirklicht werden. Es geht der „Letzten Generation“ letztlich vielmehr darum, mit den Blockaden die Stadtgesellschaft in „Geiselhaft“ zu nehmen […]“ (Hervorhebungen von uns)
Mit solchen an den Haaren herbeigezogenen Begründungen wird durch die Exekutive ein ungehinderter Angriff auf das Recht auf Versammlungsfreiheit ausgeführt. Der Alleingang der Polizei dient als Vorlage für spätere Versammlungsverbote, und wäre jetzt nicht möglich gewesen ohne die beharrliche reaktionäre Propaganda und Meinungsmache großer Teile der bürgerlichen Presse gegen die „Klima-Kleber“.
Diese standen am Sonntag nun auch pünktlich zum Start an der Straße des 17. Juni bereit, um den Marathon lahmzulegen. Ein bisschen orangene Farbe musste der westliche Teil des preußischen Prachtboulevards schlucken, die versuchten Blockaden im Schatten der Siegessäule konnten aber umgehend durch die Polizei verhindert werden. Es gab 31 Festnahmen, und doch konnte die Polizei das Event als PR-Veranstaltung ausnutzen. Denn für das Wegräumen von Klimaaktivisten gibt es von vielen Seiten Beifall. Die pazifistischen Aktionen sind unter der Mehrheit der Massen unbeliebt, da anders als beispielsweise bei einem Generalstreik, dabei keine Verbesserung für irgendwen erwirkt werden, weil nicht gekämpft, sondern „ziviler Ungehorsam“ betrieben wird. Die unzähligen jungen Leute, deren Mut und Kampfwille, deren Opferbereitschaft, für die gerechtfertige Sache auch in den Knast zu gehen etc., durch die Köpfe der Bewegung, die Vertrauen in die bürgerliche Demokratie und zaghafte Forderungen an die Regierung im Kampf gegen die „Klimakrise“ predigen, verraten wird, waren an diesem Sonntag der Zweck, um den Fortschritt in der Reaktionarisierung des Staates zu heiligen.
Dass eine wachsende Lücke zwischen der von den Grünen geführten Massenbewegung in der Basis und der Parteiführung gibt, zeigten die Aussagen der Fraktionsvorsitzenden der Partei im Berliner Abgeordnetenhaus, Bettina Jarasch und Werner Graf: „Wir glauben nicht, dass irgendjemand von mehr Klimaschutz überzeugt wird, wenn Menschen, die sich per Fuß durch die Stadt bewegen, behindert werden“. Auch wenn man selten so gewandte Formulierungen von Grünen-Vorsitzenden hört, zeigt sich doch, wie große Probleme sie haben, ihr Anhängerschaft zu halten. So kann der Staat durch restriktive Allgemeinverfügungen die Ketten etwas enger ziehen, gleichzeitig vertieft sich allerdings auch die politische Krise des deutschen Imperialismus.
Der Marathon zieht über die Reste der Farbattacke hinweg |
Die Sieger: Tigist Assefa und Eliud Kipchoge
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