Wir veröffentlichen einen Artikel, der in der Ausgabe der Roten Post Nr. 56 erscheinen wird und uns freundlicherweise von der Redaktion vorab zur Veröffentlichung bereit gestellt wurde. Zusätzlich veröffentlichen wir diesen Artikel in spanischer und englischer Übersetzung. Im Rahmen dieses Artikels möchten wir nochmals auf den Aufruf der Genossen von „Strömung des Volkes – Rote Sonne“ und der Familie von Dr. Ernesto Sernas García zum internationalen Tag der Inhaftierten-Verschwundengelassenen am 30. August hinweisen.
Der Begriff „Pflegenotstand“ ist spätestens seit der Corona-Pandemie in aller Munde. Aber auch schon vor Frühling 2020 hatte jeder einen Eindruck davon, was dieser Begriff beschreibt, der einmal mehrere Stunden in der Notaufnahme wegen einer kleinen Verletzung verbringen musste, bei einem Krankenhausaufenthalt vergeblich eine der überarbeiteten und unterbesetzten Krankenpflegerinnen auf Station gesucht hat oder Angehörige in einem Altersheim unterbringen musste. „Pflegenotstand“ ist nichts anderes als ein kaputt gespartes Gesundheitssystem, in dem nicht mehr der Patient im Mittelpunkt steht, sondern entweder der Profit (für private Krankenhäuser) oder, alles so billig wie möglich zu halten, um die Staatskassen möglichst wenig zu belasten (für öffentliche Krankenhäuser). Beides wird vor allem erreicht durch ein maximales Auspressen der Beschäftigten im Gesundheitswesen durch niedrige Löhne, ständig erhöhte Mehrarbeit und darauf zielende Neustrukturierungen. Die Formel ist einfach: Möglichst wenig Personal muss möglichst viel Arbeit machen. Das hat dazu geführt, dass immer weniger Menschen in Deutschland diesen Beruf auf lange Zeit machen möchten, das führt dazu, dass es immer weniger Pflegekräfte gibt.
In Bremen wird zur Lösung des Problems inzwischen auf den „Import“ von Pflegekräften aus den unterdrückten Ländern gesetzt, zur Zeit vor allem aus Mexiko. Wie bekannt geworden ist, sind dafür bereits Ende 2020 leitende Angestellte der städtischen Krankenhausgesellschaft „Gesundheit Nord“ (GeNo) nach Mexiko geflogen, um dort Bewerbungsgespräche zu führen, also auszuwählen, wer das „Glück“ haben soll, künftig in Deutschland ausgebeutet zu werden. 2021 kamen die ersten mexikanischen Pflegekräfte in Bremen an und nahmen ihre Tätigkeit am Krankenhaus Bremen-Mitte auf. Auch in den anderen drei Standorten der GeNo, den Krankenhäusern Bremen-Nord, Bremen-Ost und Links der Weser wird mit dem Einsatz ausländischer Pflegekräfte geplant.
Um nach Deutschland einreisen zu dürfen, müssen die mexikanischen Krankenpflegerinnen noch in Mexiko, neben ihrem Beruf, einen Deutschkurs machen und mindestens eine Prüfung für das das Sprachniveau B1 bestehen. Angekommen in Deutschland müssen sie allerdings noch eine B2-Prüfung ablegen, bevor ihr Berufsabschluss vollständig anerkannt wird, das heißt bevor sie als sogenannte Pflegefachkraft anerkannt werden. Allerdings dürfen bzw. müssen sie sofort anfangen, zu arbeiten. Für die Deutschprüfung lernen dürfen sie neben der Arbeit. Bis zur bestandenen Prüfung werden sie als ungelernte Pflegehelferinnen beschäftigt. Also werden sie bis zu ihrer bestandenen Sprachprüfung (die keinerlei Auswirkungen auf ihre medizinischen Kenntnisse hat) mit einem geringerem Lohn beschäftigt, als ihnen eigentlich ihrer Ausbildung entsprechend zusteht. Dazu muss angemerkt werden, dass in Mexiko – ähnlich wie in vielen anderen Ländern der Welt – die Ausbildung zur Pflegekraft in einem vierjährigen Studium mit einem anschließenden Praxisjahr gemacht wird. Die Qualifikation der Pflegekräfte ist folglich sehr hoch. Doch in Deutschland ist das anscheinend erst etwas wert, wenn auf einem Papier steht, dass man Deutsch spricht.
Im Juni sind inzwischen auch neun Pflegekräfte aus den Philippinen in Bremen angekommen und arbeiten an unterschiedlichen Krankenhäusern der GeNo. Noch in diesem Jahr sollen weitere aus dem Iran, Tunesien und Bosnien dazu kommen. Wie die GeNo selber angibt, plant sie damit, in den kommenden drei Jahren bis zu 150 Krankenpfleger aus dem Ausland zu holen. Ein großer Teil davon soll aus Mexiko kommen, aktuell sind es um die 15 Mexikanerinnen, die in den Krankenhäusern der GeNo tätig sind. Auch Pflegeschüler aus Indien sollen zukünftig nach Deutschland geholt werden.
Um an die mexikanischen Krankenpflegerinnen zu kommen, hatte sich die GeNo bei der „Agentur für Arbeit“ beworben, die für den deutschen Imperialismus den „Import“ der ausländischen Arbeitskräfte organisiert. Erst im Januar diesen Jahres veröffentlichte die „Agentur für Arbeit“ eine Broschüre mit dem Titel „Pflegekräfte für Deutschland“, in der sie ihre Dienste anpreist. Vor allem gibt es ein laufendes Programm, um Pflegekräfte aus Mexiko und Brasilien nach Deutschland zu holen. Die Agentur schreibt: „Bisher haben wir 1.300 Pflegekräfte aus Mexiko und Brasilien auf ihrem Weg nach Deutschland begleitet.“ Der mexikanische Staat spielt bei diesem Ausverkauf der Krankenpflegerinnen mit, wie es die Bundesagentur schildert: „Im Dezember 2021 konnte die Bundesagentur für Arbeit mit der mexikanischen Arbeitsverwaltung eine Vermittlungsabsprache abschließen, sodass unsere Bewerber*innen seither (und somit auch Arbeitgeber*innen) von einem vereinfachten Einreiseprozess nach Deutschland profitieren können.“Ihre Dienste bietet die Arbeitsagentur nach dem Motto „im Dutzend billiger“ an und schreibt: „Sie haben Interesse, mindestens 15 Pflegekräfte einzustellen […]. Suchen Sie weniger Personal, ist dies auch möglich, wenn sich in Ihrer Region weitere Arbeitgeber*innen für die Projektteilnahme interessieren. Wir beraten Sie dazu gerne!“Laut eigenen Angaben werden Anwerbungen (oder „Rekrutierungen“, wie es die Arbeitsagentur schreibt) in Mexiko zur Zeit inMexiko-Stadt, Monterrey (im Bundesstaat Nuevo León), Puebla (im gleichnamigen Bundesstaat), Guadalajara (im Bundesstaat Jalisco), Tuxtla Gutiérrez (im Bundesstaat Chiapas) und Chihuahua (im gleichnamigen Bundesstaat) durchgeführt.
Braucht Mexiko die Pflegekräfte nicht? Diese Frage könnte man sich stellen, denn einerseits lässt Mexiko es zu, dass Länder wie Deutschland Pflegekräfte aus Mexiko weggeholt und zum anderen gibt sich Deutschland immer wieder als ein Land, das für die Menschenrechte einsteht und angeblich nur das Beste für die gesamte Weltbevölkerung will. Mexiko hat zwar eines der besseren Gesundheitssysteme der lateinamerikanischen Länder, was auch daran liegt, dass es sich für viele US-Bürger lohnt, sich in Mexiko behandeln zu lassen, weil die Kosten für viele Behandlungen dort nur einen Bruchteil der Kosten in den USA betragen. Doch obwohl die Gesundheitsversorgung in dem Land mit 129 Millionen Einwohnern laut Artikel 4 der Verfassung jedem mexikanischen Bürger zusteht, gibt es große Versorgungslücken. Vor allem in Gebieten, in denen indigene Völkerleben, wie z.B. in den Bundesstaaten Oaxaca und Chiapas, ist die Gesundheitsversorgung für das Volk sehr schlecht. In der weltweiten Statistik hält Mexiko mit 153 pro 100.000 Einwohnern den traurigen Rekord für Tode durch behandelbare Ursachen, also Tode durch Krankheiten und Verletzungen, die durch rechtzeitige und effektive Gesundheitsversorgung verhindert werden könnten. Auch ist der Tod von Frauen nach der Geburt – mehr als 34 Tote pro 100.000 Geburten – noch immer ein großes Problem für das mexikanische Volk. Zum Vergleich liegt der Wert in Deutschland bei 3,4 pro 100.000 Geburten, also gerade mal ein Zehntel.DieseZahlen sind in allen Fällen von 2019 (Quelle: statista.com), also noch vor der Corona-Pandemie, die natürlich dazu beigetragen hat, dass eigentlich mehr Pflegepersonal statt weniger gebraucht wird. Die Krankenpflegerinnen könnten also sehr wohl gut in Mexiko gebraucht werden, doch stattdessen verkauft sie der alte mexikanische Staat lieber nach Deutschland.
Da das Gesundheitssystem in Deutschland grundsätzlich vom Staat finanziert und organisiert ist, sucht dieser ständig nach Möglichkeiten, die Ausbeutung der Arbeitskraft der Pflegekräfte zu erhöhen, ohne mehr Kosten zu verursachen und gleichzeitig ausreichend Pflegepersonal zu haben. Weniges gut ausgebildetes Personal ist heiß umkämpft unter denjenigen, die es beschäftigen wollen und müssen. Denn wie alles in diesem System eine Ware ist, ist es auch die Arbeitskraft der Arbeiter. Da Deutschland ein imperialistisches Land ist, sucht es nicht nur im eigenen Land nach billiger Arbeitskraft, sondern auf der ganzen Welt. Denn die handvoll imperialistischer Länder auf der Welt leben als Parasiten auf dem Rücken der großen Menge an unterdrückten Ländern. Die unterdrückten Länder werden durch die Imperialisten ausgebeutetund unterdrückt. Nicht nur Rohstoffe werden für den Reichtum und Wohlstand der imperialistischen Länder geraubt, sondern auch Arbeitskraft „exportiert“.So kommt es dazu, dass, während in Mexiko Teile des Volkes an behandelbaren Krankheiten sterben, weil sie keinen Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung haben oder Frauen nach der Geburt sterben müssen, gleichzeitig mexikanische Krankenschwestern in deutschen Krankenhäusern arbeiten. Einer von vielen Gründen, warum dieses parasitäre System nicht mit dem Leben der überwiegenden Mehrheit der Menschheit vereinbar ist.