Der DGB Nord hat eine Broschüre herausgegeben, in deren Titel sie ihr Motto des diesjährigen ersten Mais „Solidarisch ist man nicht alleine!“ wiederholen, und diesen mit dem Untertitel „Corona-Pandemie: Erfolge und Perspektiven gewerkschaftlicher Aktivitäten“ versehen. Nach diesem gelungenen humoristischen Einstieg wird es nicht weniger komisch.
„Solidarisch ist man nicht alleine!“ war als Motto des ersten digitalen ersten Mais, also dem offenen Bruch der deutschen Gewerkschaften mit der Tradition des ersten Mais als Kampftag der Arbeiterklasse schon Realsatire. Aber nachdem man in der größten ökonomischen Krise des Imperialismus seit 1929 auf das gemeinsame Zusammenkommen auf der Straße, das kollektive Marschieren und Kämpfen verzichtet hat, und stattdessen die Gewerkschafter einzeln vor dem Computer herumgehangen haben, dieses Motto stolz zu wiederholen, setzt dem ganzen die Krone auf. Bei einem muss man ihnen Recht geben: Das Motto „könnte passender nicht sein.“
Mit dem Feind am selben Strang ziehen, und Widerstand abwürgen
Als ersten Erfolg, den sie verbuchen wollen, präsentieren sie ihr mit dem Staat gemeinsames Festhalten am Korporatismus.
„In Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein haben die Ministerpräsidentin bzw. der Ministerpräsident und die Arbeitgeber entsprechende Sozialpartnererklärungen mit dem DGB zum Schutz der Arbeitsplätze in der Krise unterzeichnet. In Hamburg wurde auf Druck der Gewerkschaften ein Bündnis für Gute Arbeit im Koalitionsvertrag vereinbart, mit dem auch auf die Folgen der Corona-Krise auf dem Arbeitsmarkt reagiert werden soll.“ DGB Nord, Corona Papier.
Hiermit geben sie zu Protokoll, dass sie dem Klassenkampf in dieser Krise von vornherein eine friedliche Form geben wollen. Indem sie sich ohne vorherige Kampfhandlungen mit dem Feind an den Verhandlungstisch setzen, geben sie alle Hebel ihm etwas abzupressen aus der Hand. So ist von vornherein festgelegt, dass das Interesse der Bourgeoisie sich durchsetzt.
Kurzarbeit: Wenn die Arbeiter den Lohn zahlen
Dazu passt dann auch, dass kein kritisches Wort zum Kurzarbeitergeld fällt. Zurzeit ist die Ökonomie so eingebrochen, dass sich viele Arbeitsplätze für die privaten Monopole nicht mehr lohnen. Darauf reagiert der Staat mit dem Kurzarbeitergeld, das im Grunde ein Arbeitslosengeld trotz Arbeitsvertrag ist. Das heißt, es wird aus der Sozialversicherung bezahlt, also von der Arbeiterklasse.
Der Vorteil für die Bourgeoisie ist, dass sie flexibel, so wie sie es braucht auf eingearbeitetes Personal zugreifen kann, und nicht erst wieder mühselig Bewerbungsgespräche und Einarbeitungen durchführen muss.
Und es ist auch absehbar wohin das führt. Die Mehrbelastung der Sozialversicherungskassen wird über kurz oder lang als rechtfertigendes Argument für weitere Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse herhalten. Erst lässt man uns die ihre Krise bezahlen, und dann wird man uns danach nochmal blechen lassen, um die Finanzierungslücken zu stopfen.
Arbeitsschutz abschaffen, aber bitte nicht dauerhaft
„Laut den Covid 19-Arbeitszeitverordnungen des Bundes und der Länder sind in der kritischen Infrastruktur u. a. Überschreitungen der Höchstarbeitszeit, Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen und von Mindestruhezeiten erlaubt. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass diese Regelungen Ausnahmen und zeitlich begrenzt bleiben. Eine flächendeckende Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes und der Ausweitung der Sonntagsöffnungszeiten lehnen wir entschieden ab.“ DGB Nord, Corona-Papier.
In vielen Branchen ist in der aktuellen Krise der Bedarf des Kapitals nach Arbeitskraft zum Ausbeuten eingebrochen. In anderen Branchen ist er gestiegen. Die Mehrarbeit im Gesundheitssektor liegt auf der Hand. Im Einzelhandel haben nicht nur panische Hamsterkäufe zu mehr Umsatz und somit mehr Arbeitsaufwand geführt, sondern auch der Umstand, dass viel mehr Menschen zu Hause sind, also nicht in Mensen und Kantinen essen, endlich die Zeit für notwendige Renovierungsarbeiten und andere auf die lange Bank geschobene Aktivitäten finden, und so weiter.
Das Kapital will aber Profit und nicht einfach nur, dass die Arbeit erledigt wird. Deshalb hat das Kapital kein großes Interesse an neu eingestellten Leuten, die eingearbeitet werden müssen, sondern beutet lieber die vorhandene Belegschaft mehr und intensiver aus. Bis sich zum Beispiel eine neu eingestellte Arbeiterin in einem Supermarkt gut auskennt, selbständig alle Waren verräumen kann, Fragen von Kunden adäquat beantworten, schnell und fehlerfrei kassieren, alle Geräte bedienen und reinigen, also alle Aufgaben selbständig erledigen kann, vergehen mindestens zwei, eher vier Wochen. Bis diese Zeit vergangen ist, schafft die einzuarbeitende Arbeiterin weniger Mehrwert als die die bereits eingearbeitet sind. Daher lieber die alten mehr arbeiten lassen, als neue einstellen.
Der DGB hat grundsätzlich Verständnis für dieses Interesse. Deshalb stellt er sich nicht dagegen, dass es sich durch eine zeitweise Abschaffung diverser Arbeitsschutzrechte frei austoben kann. Der DGB bittet aber darum, dass das wirklich zeitlich begrenzt sein solle.
Profite für Immobilienbonzen sichern
„Wer in der Zeit vom 1. April bis 30.Juni 2020 seine Mieter nicht zahlen kann, bleibt vor Kündigung geschützt, zumidnest solange die Meite bis spätestens Mitte 2021 nachgezahlt wird.“
Dem Volk brechen die Einnahmen weg, und viele können ihre Miete nicht zahlen. Die Bourgeoisie will Quarantäne, relativen sozialen Frieden und stabile Immobilienpreise kann also eine massenhafte Obdachlosigkeit nicht gebrauchen. Also verbucht der DGB den Erfolg, dass die massenhafte Obdachlosigkeit nicht eintritt, indem sich das Volk massenhaft verschuldet. Ja, vielen Dank. Wie wäre es mit einer Aussetzung der Miete statt ihrer Stundung? Soll doch die Bourgeoisie die Rechnung zahlen!
Auszubildende und Studenten
„Auf Vorschlag der Gewerkschaften werden in den Ländern Unternehmen, die ihre Azubis nicht in Kurzarbeit schicken, mit 80 Prozent der Ausbildungsvergütung gefördert.“
Das soll anscheinend zeigen, wie sehr sie sich für das Interesse der Auszubildenden etwas bei der Arbeit zu lernen kümmern. Es zeigt aber nur, wie sehr sie sich vor dem Interesse der Bourgeoisie Profit zu machen, bücken.
„Nicht nur für Auszubildende, auch für Studierende müssen weitergehende Lösungen gefunden werden. Die vorgesehenen Darlehensregelungen reichen hier bei weitem nicht aus. Unbürokratische Zuschüsse fordert u.a. die GEW Mecklenburg Vorpommern.“
Eine große Anzahl der Studenten sind auf Lohnarbeit angewiesen. Sie arbeiten in der Gastronomie, im Einzelhandel, für Lieferdienste, im Erziehungswesen. Es gibt überhaupt keinen vernünftigen Grund für diese etwas anderes zu fordern als eine ganz normale Arbeitslosenversicherung. Und es gibt überhaupt keinen Grund dafür die mangels Arbeitslosenversicherung erzwungene Verschuldung der Studenten als „unzureichende“ Hilfe anzuerkennen.
Zwang zum Home Office
Man muss den Abschnitt zum Home Office in seiner Gänze zitieren.
„Die Krise hat gezeigt, dass in vielen Unternehmen, die sich bislang gegen Heimarbeit gesperrt haben, die gewerkschaftliche Forderung nach flexiblerem Arbeiten im Home Office umsetzbar ist. SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil will im Herbst sogar einen Gesetzesentwurf zu einem „Recht auf Home Office“ vorlegen. Wir sehen das als einen wichtigen Schritt hin zu selbstbestimmterer Arbeit, fordern aber, dass das Arbeiten zuhause durch verbindliche Regelungen zum Schutz der Beschäftigten flankiert wird.“
Wer ernsthaft glaubt, „flexibleres Arbeiten“ im Kapitalismus sei ein „wichtiger Schritt hin zu selbstbestimmterer Arbeit“, der hat doch den Schuss nicht gehört. Das einzige was dadurch flexibler wird ist der Zugriff des Kapitals auf die Arbeitskraft, die es ausbeutet. Das geht einher mit Maßnahmen der digitalen Überwachung, um zu garantieren, dass nicht heimlich entspannt wird oder etwas anderes erledigt wird, während man für das Kapital arbeiten soll. Gleichzeitig wird die Organisierung und der inhaltliche Austausch zwischen den Kollegen erschwert und leichter kontrollierbar, weil man sich nicht mehr trifft, und die meisten Äußerungen im Chatprotokoll nachvollziehbar werden.
Darüber hinaus stellt Home Office eine Möglichkeit für die Bourgeoisie dar, Kosten für Miete, Strom, Wasser, und Ausrüstung zu sparen, und diese Kosten auf das Proletariat abzuwälzen. Das bedeutet auf der anderen Seite wiederum, dass bestimmte Berufe nur wahrgenommen werden können, wenn man in der Lage ist diese Kosten zu tragen. So war es bislang möglich, dass die Tochter einer alleinerziehenden Reinigungskraft eine Ausbildung zur Bürokauffrau macht. Ob das in Zukunft noch möglich sein wird, wird sich zeigen.
Es ist keine große Überraschung, aber vom DGB bekommen wir auch in der aktuellen Krise den gleichen Klassenverrat wie eh und je.