Hengameh Yaghoobifarah hat eine Kolumne bei der taz. In der Ausgabe vom 15.Juni schrieb sie über die Polizei. Anlässlich der Blacklivesmatter-Proteste erörtert sie ein fiktives Problem, nämlich den Fall, dass der polizeiliche Teil des Staats, der eben ein organisierter Gewaltapparat mit bürokratischem Anhang ist, abgeschafft würde, ohne dass der Kapitalismus abgeschafft würde.
„Ich hingegen frage mich: Wenn die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus jedoch nicht, in welche Branchen kann man Ex-Cops dann überhaupt noch reinlassen? Schließlich ist der Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset in dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich hoch. Oder haben Sie schon mal von einem Terrornetzwerk in der Backshop-Community gehört? Ich nämlich auch nicht.“
Dann exerziert sie allerhand Berufsgruppen durch und erörtert, warum die faschistischen Ex-Bullen dafür nicht geeignet sind. Es ist das satirische Erschrecken davor, was denn tatsächlich die Folgen der alten Parole „Nur für Arbeit gibt es Lohn. Bullen in die Produktion“ bedeuten würde.
Letztendlich kommt sie zu folgendem Schluss:
„Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“
In dieser satirischen Kolumne findet also tatsächlich die Gleichsetzung von Polizisten mit Abfall statt. Ansonsten könnten höchstens die Stadtreinigungsarbeiter gemeint sein, und denen würde Frau Yaghoobifarah sicherlich kein solches Unrecht tun, sie mit Bullen gleichzusetzen.
So weit so langweilig. Woher kommt die Aufregung? Denn es gab tatsächlich empörte Repliken in der taz dazu. Irgendwelche Bullen haben Anzeige erstattet. Wegen Volksverhetzung. Volksverhetzung! Volksverhetzung wäre zum Beispiel, wenn man versucht ein Pogrom anzuzetteln, indem man behauptet, Muslime wären alle Vergewaltiger, oder die Juden steckten hinter der Corona-Pandemie. Das wäre Volksverhetzung; die muss nämlich geeignet sein den öffentlichen Frieden zu stören. Die Polizei ist kein Teil der Bevölkerung im Sinne des § 130 I StGB und eine satirische taz-Kolumne ist auch kein Aufruf zum Pogrom.
Jetzt will sogar der Bundesinnenminister Horst Seehofer Anzeige erstatten. Das wirkt alles völlig absurd, wenn man den Text, um den es geht, tatsächlich gelesen hat. Warum die Aufregung?
„Bundesinnenminister Horst Seehofer will wegen einer umstrittenen Kolumne über die Polizei in der "taz" Strafanzeige stellen. ‚Ich werde morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels in der "taz" über die Polizei stellen‘, sagte der CSU-Politiker der "Bild"-Zeitung. ‚Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben. Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen.‘“ Quelle: Tagesschau
Seehofer spielt auf die Ausschreitungen des letzten Wochenendes in Stuttgart an. Diese sind Ausdruck der sich zuspitzenden Widersprüche in Deutschland und der Welt. Und dieser Angriff auf die Pressefreiheit, der Einschüchterungsversuch gegen eine Journalistin, ist eine Mahnung an die gesamte Presse, dass sie gefälligst Gewehr bei Fuß stehen sollen, und grundsätzlich vom Standpunkt der Bourgeoisie zu schreiben haben. Denn der Bourgeoisie geht gerade der Arsch auf Grundeis.