Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson“, hörte man in der letzten Woche die bürgerlichen Politiker aus dem Parlament von links nach rechts wie am Fließband wiederholen bzw. für diese Worte applaudieren. Baerbock und Scholz haben bei ihren Besuchen in Israel klargemacht, dass sie die faschistische Notstandsregierung beim Völkermord an den Massen im Gazastreifen unterstützen wollen.

Doch auch innenpolitisch ist man in Deutschland seit dem 7. Oktober über seinen Schatten gesprungen. Die Untergrabung der demokratischen Rechte und des Grundgesetzes und der imperialistische Chauvinismus, sowie die offene Verbreitung von Lügen haben eine neue Qualität erreicht. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert, den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft an ein Bekenntnis zum Existenzrechts Israels zu knüpfen. Hürden für Ausweisungen sollen gesenkt werden und die Mindeststrafe für „Volksverhetzung“ von drei auf sechs Monate angehoben werden. Die bürgerlichen Parteien sind sich auch ziemlich einig, dass man, wo es möglich ist, „Hamas-Unterstützer“ abschieben will, zeitgleich zu den leichteren Ausweisungen soll die Einbürgerung erschwert werden. So sieht es auch die SPD mit Innenministerin Faeser und Parteichef Klingbeil, der sagt: Wenn jemand, der auf deutschen Straßen die Hamas feiert, nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hat, dann sollte er aus Deutschland ausgewiesen werden […] Die Einbürgerung ist das stärkste Bekenntnis zu unserem Land. Wer unsere Werte nicht teilt, wer Antisemitismus und Terror unterstützt, dem wird der deutsche Pass verwehrt. Das müssen alle wissen.“ Man werde konsequent vorgehen und natürlich „alle Möglichkeiten des Rechtsstaates ausschöpfen“. Das Recht auf Asyl wird von keiner bürgerlichen Partei überhaupt mehr verteidigt.

Die journalistische Hetze erfährt von keiner Seite des staatlichen Pressemonopols Kritik – ein Mensch wie der Welt-„Kolumnist“ Jan Fleischhauer kann in die chauvinistische Sendung gerufen werden und dann fordern, dass man eine angemeldete und friedliche Demo in Hamburg mit Wasserwerfern angreift, im Zweifel braucht es auch mal einen Schlagstock“. Die Bild-Zeitung bezeichnet die Teilnehmer an Demos in Solidarität mit Palästina in ihren berüchtigten Überschriften regelmäßig als „Juden-Hasser“; auch das Holocaust-Mahnmal wurde Teil einer Inszenierung bei Protesten am Brandenburger Tor in der Nacht auf Mittwoch, wo die Bullen sich offensichtlich davor positionierten, um einen Angriff der propalästinensischen Demonstranten hierauf zu suggerieren – auch das propagandisierte das Springer-Blatt; man hätte das Mahnmal vor einem „Mob“ schützen müssen. Es wird, ganz wie bei Goebbels, so viel gelogen, bis die Lüge wahr ist – insbesondere die Diffamierung des antiimperialistischen Widerstands des palästinensischen Volkes und dessen Unterstützung als „Antisemitismus“ steht mittlerweile eigentlich gar nicht mehr zur Debatte. Der Verfassungsschutz-Präsident von Thüringen setzt dem ganzen die Krone auf: „Manche Palästinenser fordern ganz offen und unverhohlen eine Art Reichspogromnacht 2.0“. Die Tagesschau titelt „Hamas ruft zu Gewalt auf“ – wenn man sich weiter in den Beitrag klickt, wird geschrieben, der Aufruf der Hamas „soll neben Solidarität zu Palästine auch einen Aufruf zu weiterer Gewalt und Konfrontation beinhalten“.

Promis wird bei einfacher Solidarität mit Palästina, ohne sich überhaupt auf irgendwelche Kampfhandlungen oder die Hamas zu beziehen, der Mund tot gemacht, wie bei Rapperin Nura oder dem jetzt suspendierten Mainz-05-Profi El Ghazi. Demokratischen Solidaritätsbekundungen und der Forderung nach Freiheit für Palästinajagt man hinterher, Brüche mit dem Völkerrecht sind unterstützenswert.

Während in Hamburg die Allgemeinverfügung zur Aushebelung des Versammlungsrechts in Bezug auf Palästina-Veranstaltungen verlängert wurde und die Polizei Teile der Stadt geradewegs militärisch besetzt hält – erst heute setzte die Polizei, wie Aktivisten des Roten Bundes berichteten, in Hamburg das Verbot bei einer geplanten Versammlung im arabisch geprägten Viertel St. Georg mit zahlreichen Kesseln, zwei Wasserwerfern und Hundertschaften in Prügelbereitschaft durch – gab es unter anderem auch in Schleswig-Holstein, Bremen, Frankfurt, Freiburg (vier Leute stellen sich mit einem Transparent „Palästina Solidarität ist kein Verbrechen“ an die Straße, die Reaktion waren Festnahmen, Platzverweise und Strafanzeigen) und Berlin schon letzte Woche gravierende Verbote von Veranstaltungen, dieses Wochenende sind im ganzen Land bereits Veranstaltungen aus diversesten an den Haaren herbeigezogenen Gründen verboten worden, während die Massen zeigen, dass sie um jeden Preis auf die Straße gehen wollen. Die Politik des Ausnahmezustands während „Corona“ lässt sich in den polizeistaatlichen Methoden wiedererkennen. In der Hauptstadt war der Kampf in der letzten Woche am heftigsten; hier ließ man sich am wenigsten unterkriegen. Die Polizei hatte die Lage im ebenfalls von arabischen Massen geprägten Neukölln auf dem Schirm. Nach unterschiedlichen Verboten kam es zu spontanen Versammlungen auf der und rund um die Sonnenallee – so reichte es, dass 150 Leute Anfang der Woche sich nicht die Freiheit nehmen lassen wollten, auf der Straße Fahnen zu schwenken, dass 24 Menschen in Gewahrsam genommen wurden. Es werden Kinder verhaftet. Die Neuköllner Gestapo startete ein Katz-und-Maus-Spiel mit „Gruppen von 10-25 Personen“, die sich in Neukölln immer wieder spontan zusammenfanden und ihre Meinung auf der Straße äußern wollten. Auch am Potsdamer Platz in der Innenstadt griff man Protestierende mit Pfefferspray an. Am Neuköllner Ernst-Abbe-Gymnasium brachte ein 14-jähriger Schüler eine Palästina-Fahne mit zur Schule. Sein rassistischer Lehrer wollte ihm das verbieten und gab, nach einem kurzen Streit mit einem Mitschüler diesem eine Ohrfeige (angeblich wegen einer vorangegangenen Kopfnuss, die nicht belegt ist). Daraufhin organisierte die Elternvertretung eine Kundgebung vor der Schule, die von der Polizei verboten wurde – Personalien wurden von allen aufgenommen. Es geht noch weiter an den Schulen. Die Kufiya kann als „israelfeindliches Symbol“ nun an Berliner Schulen verboten werden. Dazu wird an einigen Schulen mehr Polizei vorbeigeschickt, um die Aktivitäten arabischstämmiger Jugendlicher zu überwachen. Die freie Meinungsäußerung für die palästinensische Nation stellt in der Tat in diesen Tage eine Straftat dar, deren Beantwortung der Exekutive alleine obliegt. „Wehrhafte Demokratie“ und „alle Mittel des Rechtstaats“ sind weiterhin die Begrifflichkeiten, mit denen Demos verprügelt und Leute abgeschoben werden. In all der brutalen Repression gegen jeden, der für Palästina seine Faust erhebt oder auch nur den Mund aufmacht, zeigt sich insbesondere eins: Die fürchterliche Angst der deutschen Imperialisten vor der alles transformierenden Gewalt der Massen. Der Chauvinismus richtet sich gegen jene, die in diesem Land einen wichtigen Teil der tiefsten und breitesten Massen ausmachen.

Denn die Kämpfe können nicht totgemacht werden. Nach dem Angriff auf das Krankenhaus in Gaza kam es in Neukölln zwei Nächte lang zu heftigen Kämpfen gegen die Polizei. 65 verletzte Polizisten, Barrikaden, Brennende Autos, Transporter, Mülltonne und Reifen, Pyrotechnik, fliegende Flaschen, Steine und Brandsätze sprechen eine deutlich Sprache. Im Süden Neuköllns in der High-Deck-Siedlung, einem dicht besiedelten Plattenbauviertel, sollen Polizisten aus den Fenstern mit Gegenständen beworfen worden sein. Nicht so anders als dieser Tage vor 100 Jahren in Hamburg.

Das BKA wappnet sich für „eine verschärfte Sicherheitslage“. Das Betätigungsverbot von Samidoun als politisches Gefangenennetzwerk wird gefolgt von Ankündigungen von Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang, ab sofort schneller gegen palästinensische Gruppen oder Organisationen, dort wo sie auftreten bzw. auch neu aus dem Boden wachsen, vorzugehen. Mit allen Mitteln soll nun verhindert werden, dass in der BRD eine Massenbewegung entsteht, die dem Staat schwere Schläge versetzen kann. Wer glaubt, es würde in der Bundesrepublik keine revolutionäre Situation geben und man sei „einem rechten Putsch näher als einer revolutionären Bewegung“, der sollte sich in diesen Tagen einmal genauer auf der Straße umschauen.

 

Kämpfe in Berlin-Neukölln unter der Woche (Quelle: rbb / Bild.de)

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