Seit inzwischen sieben Monaten befinden sich die Beschäftigten des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen in einer Tarifauseinandersetzung mit den Bossen des sogenanntes Handelsverbandes Deutschland. Während der Handelsverband die Streikenden, welche durch Ver.di vertreten werden, an den Verhandlungstisch zwingen will, spricht die Gewerkschaft von einem „Tarifdiktat“ und „Erpressung“. Grund dafür ist, dass die Arbeitskäufer die Beschäftigten dazu bringen wollen am 28. Dezember auf Bundesebene in einem Pilotabschluss in Hamburg einem Tarifangebot zuzustimmen. Zuvor verweigerte der Handelsverband aber über Monate regionale Tarifrunden.

Die Gewerkschaft fordert einen höheren Stundenlohn um mindestens 2,50 Euro mit einer Laufzeit von einem Jahr. Der vom Handelsverband vorgesehene Abschluss bietet nicht einmal die Hälfte davon. Gerade einmal 1,04 Euro mehr soll es laut ihnen geben und das über ganze zwei Jahre. Wie bei anderen Verhandlungsrunden anderer Branchen wird dazu noch eine „Inflationsausgleichprämie“ in Höhe von 750 Euro angeboten. Was viel klingt ist auch hier eine Blendgranate der Arbeitskäufer, weil es sich nicht um eine Reallohnerhöhung handelt, sondern um einen Reallohnverlust, denn selbst die Forderungen von Verdi werden von der Inflation gefressen. Und so befinden sich die Beschäftigten wieder einmal in einer Situation wo die sozialdemokratischen Spitzen der gelben Gewerkschaften nicht einmal das Minimum fordern, um die Verarmung der Beschäftigten aufzuhalten und gleichzeitig nicht in der Lage sind, selbst diese mageren Forderungen gegenüber den Arbeitskäufern durchzusetzen.

Zwar kündigt die Gewerkschaft jetzt auch Streiks im Weihnachtsgeschäft an um den Druck auf den Handelsverband zu erhöhen. Und laut bürgerlichen Medienberichten sind auch insgesamt über 600.000 potenziell Streikende aus Einzel-, Groß- und Außenhandel alleine aus NRW bereit für diese Forderungen ihre Arbeit niederzulegen. Wie erfolgsversprechend diese geballte Macht, aber in den Händen der Gewerkschaftsbürokraten ist, die jeden Streik im laufenden Jahr auf die ein oder andere Art verraten haben, ist nüchtern zu betrachten.

Zu größeren Streikversammlung wird es vor allem im Raum Dortmund kommen. Dort sollen am Freitag die Beschäftigten bei der schwedischen Bekleidungskette H&M zusammen mit Arbeitern von Amazon in den Standorten Dortmund und Werne streiken. Ebenfalls von den Streiks betroffen sind Filialen von Kaufland und weitere Einzelhandelsgeschäfte in Bochum und Recklinghausen. Aber auch hier wird deutlich, dass nicht das gesamte Potential der Arbeiterschaft genutzt wird. Statt den Druck in der Weihnachtszeit wirklich effektiv zu nutzen, um im bevölkerungsreichsten Bundesland die Innenstädte in der Weihnachtszeit flächendeckend zu bestreiken und so auch vollumfänglich Druck auf den Handelsverband aufzubauen, werden nur punktuell Standorte bestreikt, die den Arbeitskäufern ermöglichen die verlorengegangen Profite zu kompensieren, indem die Kunden einfach in die nächstgelegene Stadt fahren und dort einkaufen.  Derweil drohen die Arbeitskäufer offen damit ihr schlechtes Angebot zurückzuziehen, sollte sich Ver.di am 28. Dezember in Hamburg nicht an den Verhandlungstisch setzen und dieses annehmen. Wie so häufig bleibt zu konstatieren, dass die Kampfbereitschaft bei den Kollegen das ganze Jahr lang hoch war und weiterhin ist.


Titelbild: https://www.waz.de/wirtschaft/kein-weihnachtsfrieden-verdi-streikt-im-handel-bis-samstag-id240862612.html