Wir publizieren an dieser Stelle ein Interview mit einer Studentin aus Freiburg die in der Pflege arbeitet zu den Auswirkungen der so genannten "Corona-Krise".
Hallo Sofia, du bist Studentin und arbeitest parallel zu deinem Studium. Was studierst du und was ist deine Tätigkeit außerhalb davon?
Ich studiere Heilpädagogik. Parallel arbeite ich in der Behindertenhilfe, genauer gesagt Individuelle Schwerbehindertenassistenz. Das heißt, ich arbeite mit Leuten, die nicht im Wohnheim leben wollen sondern eigenständig. Der Träger ist die AWO.
Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf deine Arbeit aus?
Wir müssen aktuell alle im Vollkittel arbeiten. Das heißt, Mundschutz, Handschuhe und für jeden Klienten Klamotten wechseln. Mit Privatklamotten kann man sowieso nicht zur Arbeit. Einige meiner Klienten bei denen ich Alltagsbetreuung mache, die im Heim wohnen dürfen nicht mehr raus. Die darf ich auch nicht mehr besuchen. Vor allem haben wir weniger Kräfte zur Verfügung. Viele meiner Kollegen sind Studenten und sind jetzt aus den Semesterferien nicht zurückgekommen. Andere sind aus Frankreich und dürfen die Grenze einfach nicht mehr überqueren. Es kann außerdem zu Urlaubssperren kommen und dazu, dass wir ausgeliehen werden an andere Dienste, die Not am Mann haben. Ich habe jetzt auch verstärkt Bereitschaftsdienst.
Wie ist die aktuelle Situation deiner Klienten?
All meine Klienten sind Hochrisikogruppe. Für die ändert sich eigentlich alles. Aufgrund ihrer Behinderungen haben viele ohnehin schon Atemprobleme. Vor allem für diejenigen in den Wohneinrichtungen und Leute mit mehreren Behinderungen ist die Situation besonders schlecht. Die sind ausschließlich in Werkstätten für Menschen mit Behinderung eingestellt, welche jetzt alle geschlossen haben. Das heißt von denen geht gerade niemand mehr zur Arbeit. Auch die Wohnheime haben gerade sehr strenge Besucherregelungen. Die Leute da dürfen jetzt noch nicht mal mehr spazieren gehen. Die Leute die alleine wohnen, müssen einfach besonders auf sich aufpassen. Viele lassen sich durch Behindertenfahrdienste fahren. Von denen will niemand Bahn fahren wegen der hohen Ansteckunsgefahr. Das führt jetzt aber dazu, dass die Auftragslage für die Fahrdienste krass erhöht wurde. Das heißt dann, dass es eigentlich fast unmöglich ist, kurzfristig irgendwo hinzufahren, weil die Fahrdienste mehrere Tage im Voraus ausgebucht sind.
Psychisch ist die Situation für die Menschen sehr belastend. Auf der einen Seite sind sie natürlich sehr gefährdet. Aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit haben sie aber keine Wahl, sich sozial zu distanzieren. Sie sind ja darauf angewiesen, dass wir da sind. Die wenigen sozialen Kontakte, die sie haben brechen jetzt auch noch weg. Gleichzeitig besteht auch noch das Risiko, dass sich von uns Pflegern jemand ansteckt, was heißen würde, dass wir alle in Quarantäne müssten. Das Ergebnis wäre, dass meine Klienten jeglichen Kontakt nach außen verlieren.
Die Regierung hat den 8-Stunden-Tag und die Ruhezeiten zwischen den Arbeitseinsätzen in der Pflege aufgeweicht. 12-Stunden Tag/60 Stunden Woche Was sagst du dazu?
Ich dachte eh immer, wir hätten nur Anspruch auf 10 Stunden Ruhezeit und das wurde auch nicht immer eingehalten. Auch das mit den 8-Stunden-Tagen war bei uns nie die Regel. Bei uns ist eigentlich normal, dass man 10-Stunden-Schichten schiebt. Es kam auch in der Vergangenheit schon oft genug vor, dass ich eine Schicht bis nachts um 24 Uhr hatte und am nächsten Tag um 9 wieder da sein sollte. Wenn man das nicht reklamiert, hält sich da niemand dran. Solange man selbst damit einverstanden ist, sind die Chefs fein raus. Das gleiche gilt auch für die Pausenregelung. Wenn man 8 Stunden arbeitet, muss man ja eigentlich eine halbe Stunde Pause machen. Die Pause soll man sich auch aufschreiben nur tatsächlich machen kann man sie eigentlich nie. Die behaupten dann auch immer, man soll einfach auf der Pause bestehen, aber mach das mal, wenn du einfach keine Zeit dafür hast.
Viel bedeutender ist aber die Aufweichung des Pflegeschlüssels. Es wurde jetzt erlassen, dass die Mindestanzahl von Betreuern auf Betreuten ausgesetzt wurde. Dabei war das in den letzten Jahren eine der wichtigsten Forderungen in der Pflege. Dafür sind die Leute auf die Straße gegangen. Wenn das nicht gewährleistet ist, kann man seinen Job gar nicht richtig machen. Für mich hat das bisher nicht so große Auswirkungen, da ich in der individuelle Pflege tätig bin. Zum Beispiel im Altenheim müssen die jetzt aber Leute aufnehmen dass es kracht und die Kollegen da sind besonders betroffen.
Die 60-Stunden Woche ist ja jetzt möglich. Glaubst du, sowas gibt es schon?
Ja, auf jeden Fall. Wie gesagt, die Situation in der Altenpflege und in Krankenhäusern ist extrem schlecht. In der Altenpflege sind auch viele Leute aus Osteuropa tätig, die in die Heimat gefahren sind, ehe sie nicht mehr das Land verlassen dürfen. Das hat auch die Auswirkung, dass die häusliche Pflege ausgesetzt wurde. Dort arbeiten fast nur Menschen aus Osteuropa. Die Leute, die das beansprucht haben, kommen jetzt alle in die Altenheime zur Kurzzeitpflege. Auf 38 Pflegebedürftige kommen da manchmal nur 2 Pfleger. Durch die Aufweichung des Betreuungsschlüssels müssen die Altenheime die Leute aufnehmen. Das heißt nicht nur Arbeitszeit sondern auch -intensität wird erhöht. Vor allem staatliche Einrichtungen trifft es da am stärksten.
In den systemrelevanten Berufen stehen ja jetzt viele Überstunden an. Daher gibt es die Idee, dass Unternehmen ihren Angestellten eine Prämie von bis zu 1500 zahlen können ohne diese zu versteuern. Kannst du uns mehr dazu sagen?
Ja, also die Pflege ist davon ausgenommen. Das gibt es da einfach nicht. Die Boni sind für Einzelhandel, Landwirtschaft etc. die Pflege ist ausgeschlossen. Der Grund ist angeblich, dass die Verhandlungen mit den Pflegekassen schwierig sind. Da wird nichts passieren.
Ansonsten könnte man argumentieren, dass wir wegen der hohen Ansteckungsgefahr Gefahrenzulage kriegen müssten. Ich kann ja nicht von Zuhause arbeiten. In den meisten Arbeitsverträgen ist das aber schon festgelegt, dass es so was nicht gibt, weil man ja einfach berufsbedingt näher an der Infektionsquelle ist.
Wir produzieren halt nichts. Deswegen haben wir auch keine Prämien. Das sähe auch anders aus, wenn wir irgendwas wirtschaftlich relevantes machen würden aber wir waschen halt nur Menschen. Wir werden eigentlich nur in Worten wertgeschätzt. Alle klatschen und lehnen sich aus dem Fenster, machen Facebook-Posts. Aber real bekommt man von dieser Wertschätzung gar nichts mit. Wir werden halt trotzdem total schlecht bezahlt. Manche Berufsgruppen haben es da auch deutlich schwerer als andere. Pflege, Erziehung etc., die werden finanziell absolut vernachlässigt.
Was denkst du über die Initiativen, die Respekt vor den entsprechenden Berufen zeigen sollen? Zum Beispiel, dass Leute auf ihrem Balkon für Pflegekräfte klatschen?
Mich macht das wütend, ich fand das von Anfang an zum Kotzen. Man steht halt da und denkt sich so: Danke für nichts. Es geht auch nicht darum, dass die Leute dir wirklich Dankbarkeit zeigen wollen. Das ist nur Selbstdarstellung und bringt den Menschen, die diese Jobs machen gar nichts. Ich hätte gerne mehr Arbeitsschutz und mehr Geld und würde gerne meinen Job auch bis zur Rente machen können. Diese heuchlerische Geste bringt mir da herzlich wenig. Die Leute, die auf dem Balkon stehen und klatschen, könnten beim nächsten Pflegestreik ja einfach mal mit auf die Straße gehen. Meistens sind das halt aber die Leute, denen dann nichts besseres einfällt, als einen darauf hinzuweisen, dass man sich den Job ja selbst ausgesucht hat. Statt einem anständigen Lohn kriegen wir jetzt halt Dankesbriefe. Auch letztes Jahr habe ich statt einem 13. Monatsgehalt eine Tafel Schokolade bekommen. Was soll ich damit? Ich mache doch Arbeit, auf die diese Gesellschaft angewiesen ist. Und das soll der Dank dafür sein?
Was denkst du, wie sich die Situation auf die Lage der Frauen auswirkt?
Denke, die Menschen die jetzt noch arbeiten sind zu einem wesentlichen Teil Frauen. Vor allem in der Reproduktion. Dazu noch sind Frauen dazu gezwungen, ihre Familie mitzutragen und so. Auch Gewalt sind sie viel stärker ausgesetzt wegen der Ausgangssperre. Stell dir vor, du bist Krankenschwester und die Kitas haben zu. Dann musst du dich dazu noch um die Kinder kümmern und darfst nicht mal auf den Spielplatz gehen. Die Leute, deren Beziehungspartner jetzt ihren Job verloren haben oder in Kurzarbeit sind, müssen jetzt auch zusätzlich die ganze Familie finanzieren.
Die Situation ist vor allem für die Schwächsten der Schwächsten noch mal besonders schlecht geworden. Natürlich darf man auch nicht vergessen, dass die Kinder Mahlzeiten in der Kita oder der Schule bekommen. Wenn die Kinder zu Hause sind, musst du die auch ernähren. In ganz vielen Einrichtungen ist ein Essen mitinbegriffen.
Was hältst du von der verhängten Ausgangssperre?
Also die Menschen aus den Risikogruppen müssen natürlich geschützt werden. Aber gleichzeitig werden da demokratische Grundrechte massiv eingeschränkt. Vor allem wurden mit diesen Beschlüssen einfach in wenigen Tagen die Siege von Jahrzehnten des Kampfes ausgesetzt. Uns wurde gleichzeitig auch die Möglichkeit genommen, uns dagegen zu wehren. Man hat überhaupt keine Kontrolle darüber, was gerade passiert und ich denke, das passt einigen Leuten ganz gut. Ein Demonstrationsverbot ist so eine Methode, die angeblich nur totalitäre Regime anwenden. Natürlich gibt es so auch die Möglichkeit, bestimmte Gruppen gezielt zu verfolgen und zu kriminalisieren. Das ist total einfach geworden durch die Versammlungsverbote.
Ich wohne in einer recht großen WG und habe da auch selbst schon schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Als ich mit ein paar meiner Mitbewohner unterwegs war, wurden wir kontrolliert und obwohl wir nachweisen konnten, dass wir zusammenwohnen haben die Bullen uns krass schikaniert.
Ich bin auch sehr besorgt über die Frage von Datenschutz, vor allem auch, weil diskutiert wurde, ob Datenaustausch stattfinden darf zwischen Handyanbietern, Krankenkassen und Polizei. Solche Daten haben einfach nicht bei der Polizei zu landen. Das geht die doch nichts an, wo ich mich bewege. Auch ein gutes Beispiel ist diese Corona-App. Darüber lässt sich richtig krass kontrollieren, wer sich wann mit wem trifft. Es ist ja auch die Frage, wie viele dieser Maßnahmen am Ende wieder zurückgenommen werden
Damit wären wir bei der nächsten Frage: Denkst du, dass der Staat diese Maßnahmen aufrecht erhalten wird?
Naja, da spricht ja kaum jemand von. Man sagt halt einach: Das muss halt jetzt so sein.
Das ist eine Entwicklung, die ich richtig gruselig finde. Das heißt im schlechtesten Fall verlieren wir einfach Rechte, für die wir sehr lange gekämpft haben. Da kann man zu der Ausgangsbegrenzung sagen: unser Gesundheitssystem ist halt einfach kaputt. Alle Maßnahmen werden ja nur beschlossen, weil in der Pflege so ein Mangel ist. Die Gefahr, dass das Gesundheitssystem zusammenbricht ist ja ein Problem, das die Herrschenden selbst geschaffen haben zum Beispiel mit der Privatisierung der Krankenhäuser. Damit werden ja all die Maßnahmen gerechtfertigt. Schon seit Jahren wurde doch davor gewarnt, was das für Konsequenzen mit sich bringt. Im falle einer solchen Epidemie können dann eben nicht mehr alle getragen werden. Aber das Problem geht ja auch nicht einfach weg. Auch wenn das Virus unter Kontrolle ist, bleibt ja die Situation in den Krankenhäusern gleich. Das eigentliche Problem ist die krasse Privatisierung des Gesundheitssektors. Die Krankenhäuser dienen nicht uns sondern sind ganz normale kapitalistische Unternehmen. Da geht es nicht um die Menschen sondern um die Profite. Weniger Ausgaben, weniger Angestellte und mehr Arbeitsintensität.
Ist Corona schuld an der Wirtschaftskrise?
Es zeigt einfach, wie krisenanfällig dieses System ist. Das Problem ist wie gesagt nicht das Virus sondern dass das System damit nicht umgehen kann. Das ist ein grippales Virus, aber das zeigt sehr gut, wie wenig es braucht um dieses ganze Kartenhaus in sich zusammenfallen zu lassen. Corona ist jetzt grade ein Faktor, der das verstärkt, aber den könnte man mit allem möglichen ersetzen. Wie kaputt muss denn ein System sein, dass es nach zwei Wochen schon in die Krise stürzt und überall Mangel herrscht.
Nicht umsonst gibt es doch in jedem größeren Unternehmen Krisenmanagement. Jetzt so zu tun, als wäre das wegen Corona ist irgendwie nicht überzeugend. Die Prioritäten sind in dem ganzen Laden halt auch grundfalsch. Schau doch mal, wie schnell tatsächlich Beschlüsse getroffen werden, sobald es um die Wirtschaft geht. Da ist die Bürokratie dann auf einmal egal, während man über alles andere große Debatten führen muss. Das zeigt doch ganz gut die Interessen dieses Staats. Wenn man nichts produziert, ist man auch nicht so wichtig. Durch die Krise wird einem sehr sehr gut bewusst, dass der Staat ökonomische Interessen verfolgt und alles andere dem untergeordnet ist.
Habe heute darüber nachgedacht, weil viele vom Potenzial der Krise reden. Das könnte doch ein Nährboden für große Sachen sein. Bin mir ziemlich sicher, dass die Situation von Menschen wie mir relativ egal geworden sind. Wenn Leute vom Potenzial einer Krise reden, dann heißt das Potenzial für sie selbst. Vorher sollte man sich Gedanken machen, wie man zu den Leuten ist und wie man sich mit den Leuten solidarisieren kann.