Genossen haben ein Interview mit einer Büroangestellten im öffentlichen Dienst geführt über die Situation in der Corona-Pandemie und dem Ausnahmezustand.

 

Was arbeitest du?

Ich arbeite Vollzeit als Finanzbuchhalterin im Öffentlichen Dienst. Ich habe ein paar Jahre über Zeitarbeitsfirmen gearbeitet, aber einer dieser Arbeitgeber hat mich dann übernommen und mittlerweile bin ich unbefristet angestellt.

Wie war die Situation als Zeitarbeiterin vorher?

Meine Situation ist auch schwierig. Aufgrund dass ich Alleinverdienerin bin, zwei Kinder habe und eben diese Ausbildung und dazu noch schwerstbehindert bin, steht mir der Weg in die „freie Wirtschaft“ nicht offen. Ich habe nur eine geringe Bandbreite, was ich an Jobs machen kann, um auch als qualifizierte Fachkraft bezahlt zu werden.

Und als ich bei der Zeitarbeitsfirma war, hatte ich sehr lange Berufswege, eine geringe Bezahlung und ich musst die Existenzangst hinnehmen, weil ich den Druck hatte, dass ich den Job ja behalten muss. Bei einem Arbeitgeber wurde ich am letzten Tag gekündigt, war innerhalb einer Stunde arbeitslos und wurde auch von der Zeitarbeitsfirma gekündigt. Als ich dann nach zwei Wochen wieder vermietet wurde, wurde mir gesagt, dass die Kündigung erst zurückgezogen wird, wenn ich die zwei Wochen Kündigung mit meinem Urlaub nutze.

Und nun als Festangestellte?

Bei meiner jetzigen Arbeitsstelle ist der Chef sehr daran interessiert, das alles wirtschaftlich zu gestalten. Er versucht, uns als Finanzbuchhaltung vom Gesamtbetrieb abzuspalten, was dazu führt, dass wir wirtschaftlich arbeiten dürfen, was wir eigentlich gar nicht dürfen.

Es wurde angefangen, unsere Arbeitskraft an kleinere Gemeinden zu verkaufen, wodurch sich diese Arbeitskraft einsparen. So könnten wir eine Anstalt öffentlichen Rechts werden und eine Preisliste erstellen. Dadurch werden nicht nur Menschen ihre eh schon unsicheren Arbeitsplätze verlieren, sondern diese Arbeit wird dann auch auf weniger Arbeiter aufgeteilt. Das heißt, dass es nicht mehr nur mehr Arbeit pro Person gibt, sondern es wird auch schwieriger, weil man nicht mehr in den Ämtern ist und sich das immer mehr abspaltet und nur noch mehr Probleme dazukommen. Wir sollen dazu jetzt auch aus dem Amt raus und irgendwo in einen Industriekomplex ziehen. Jetzt sind also auch von der Arbeitnehmervertretung räumlich getrennt. Und schon vor Corona gab es die Bestrebungen, dass „Desk Sharing“ gemacht wird, sich also mehr Leute einen Tisch teilen, damit Platz, EDV etc. eingespart wird. Das ist arbeitsrechtlich schwer durchzusetzen und konnte auch lange nicht durchgeetzt werden.

Wie hat sich die Situation während Corona verändert?

Seit Corona begonnen hat und auch die verschärften Maßnahmen, wurden wir eindringlichst gebeten, ausschließlich Homeoffice zu machen. Es gibt zwar arbeitsrechtlich keine Handhabe dafür, aber wir wurden sehr stark, auch von höheren Stellen, unter Druck gesetzt, das zu tun. Jahrelang wurde das schon versucht, aber es wurde nie geplant und jetzt wurde es durchgedrückt.

Gibt es da Probleme?

Ja, die Hardware müssen wir selbst stellen dafür, also eigene Laptops benutzen, eine Umschaltung auf unsere Telefone machen, einfach alles, was man so für die Buchhaltung benötigt, müssen wir stellen.

Wie geht es euch mit dem Homeoffice?

Jetzt wurde Druck gemacht von zuhause aus zu arbeiten, alle arbeitsmedizinischen und arbeitsrechtlichen Vorgaben wurden unter dem Vorwand aufgehoben. Sprich, wir haben jetzt keine ergonomischen Stühle mehr, wir haben keinen Schreibtisch mit genügend Licht, was bei Kollegen mit einer Behinderung sehr einschränkt und belastet. Ich habe jetzt Rückenprobleme bekommen und musste mir auf eigene Kosten so einen Stuhl kaufen. Auch räumlich ist das durch den geringen Verdienst ein Problem. Man lebt in seiner Arbeit, das zuhause ist nur noch stressig und bei mir steht das Telefon neben meinem Bett und weckt mich auch samstags. Viele Kollegen haben mir mitgeteilt, dass sie im Homeoffice psychische Probleme wie z.B. Depressionen oder „Weltschmerz“ bekommen haben. Der Alltag und der Schlafrythmus sind gestört.

Du hast ja auch Kinder, wie ist das mit denen im Homeoffice?

Viele Kolleginnen haben seit den Schulschließungen nun auch noch Homeschooling zuhause. Daher wurden für alle Arbeitnehmerinnen mit Kindern die Kernarbeitszeiten abgeschafft, und zwar komplett. Am Anfang wurde gesagt, dass wir alle nur zwischen 6 und 20 arbeiten dürfen und uns das frei einteilen können. Wir müssen ab spätenstens 8.30 Uhr erreichbar sein und dürfen frühestens 15.30 Uhr Schluss machen, aber ansonsten vor und nacharbeiten dürfen, wie wir wollen. Bei den Leuten mit Kindern zuhause wurde das nun aufgehoben und wir sollen uns die Arbeitszeit quasi in den 24 Stunden, die der Tag hat aufteilen, damit wir die Arbeitszeit vollbekommen. Da durch das Homeschooling viele nicht zur Arbeit kamen, waren einige bis 22 Uhr am arbeiten.

Und uns mit Kindern wurde dann auch gesagt, dass wir ja auch 24/7 arbeiten dürften, statt uns entgegenzukommen. Jetzt haben wir die doppelte Arbeitsbelastung, vor allem für uns Frauen ist das schwer, gleichzeitig zu arbeiten und dann die Probleme der Kinder gleichzeitig. Und das in einer so kleinen Wohnung, es gibt ständig Streit. Es ist einfach eine Menge Stress, ich habe Magengeschwüre bekommen, leide unter ständigen Kopfschmerzen, Schlafproblemen und dem Ausbleiben meiner Periode seit Beginn von Corona.

Und wie entwickelt sich die Situation weiter?

Wir hatten auch noch Büros, in die wir zurückkehren konnten, wo jeder seinen eigenen Schreibtisch hat, aber die werden jetzt anderweitig, um uns aus der Behörde zu drängen. Die benutzen wir jetzt im Schichtwechsel, dafür müssen wir uns dann anmelden. Alle Arbeitsrechte wurden außer Kraft gesetzt und auch medizinisch gesehen, läuft das falsch und es ist nicht mal klar, wann das wieder zuende sein soll. Das ist ganz schön schlimm, wenn man schwerstbehindert ist.

Aber gibt es nicht auch weitere Probleme, du bist ja bestimmt mit allerhand sensibler Daten betraut?

Ja, es werden die datenschutzrechtlichen Vorgaben der Kunden nicht befolgt, die ja faktisch weiterbestehen. Es ist rechtlich eigentlich absolut verboten, dass wir Daten zu Unterhaltsvorschüssen vom Jugendamt, Insolvenzverfahren, Adressen und Bankverbindungen zuhause haben. Aber es ist unmöglich, ohne diese zu arbeiten und da die alle nicht digitalisiert sind, müssen wir diesen ganzen Papierkram mitnehmen und das ist eine riesengroße Schweinerei und bringt uns in eine schwierige Situation, weil wir ja genötigt werden, etwas zu tun, was wir überhaupt nicht dürfen. Und weil wir es ja nicht dürfen, müssen wir da auch den Transport selbst bewerkstelligen, weil wir ja kein Anrecht auf Hilfe dabei haben. Und dann haben wir das alles zuhause rumliegen und können schauen, wo wir das alles unterbringen.

Corona hat also ermöglicht, dass selbst wo man dachte, dass Arbeitnehmerrechte, Datenschutz etc. im öffentlichen Dienst so eine große Priorität hat, dass das einfach egal ist. Und als Schwerstbehinderte wird man dem ganzen Stress ausgesetzt, die mentalen Probleme wachsen rasant und verschlechtern sich und sie haben es geschafft, uns in so einem kurzen Zeitraum neue Arbeitsplätze, mehr Homeoffice und Desk Sharing aufzuzwingen. Dass wir private Ressourcen für den Job geben müssen, dass unsere Arbeitskraft gegen unseren Willen auf einmal verkauft wird und dass wir von unserer eigentlich Arbeitsstätte getrennt werden. Und das alles in einem rasanten Tempo.

Wenn du viel mit den Menschen zu tun hast, die zu euch kommen, kannst du erzählen, was du von denen mitbekommst?

Durch Corona ist die Arbeit einfach noch mehr geworden und die Probleme der Kunden verstärken sich, Arbeitslosigkeit, Probleme bei der Zahlung und die haben keine Möglichkeit mehr zu uns zu kommen, weil wir ja geschlossen hatten. Jetzt gibt es ein Terminsystem und das läuft nur langsam an, aber man merkt, dass die Leute auch aggressiver geworden sind, sie sind verzweifelt, das führt zu Beleidigungen und Angriffen. Die Situation ist so schlimm für die Leute. Die Problematik für viele Menschen ist, dass ihr Aufenthalt sehr unsicher ist, oder nur sehr kurzfristig und sie kommen täglich in Trauben zu der Behörde, um ihren Aufenthalt verlängern zu lassen. Und dann gibt es ja noch die Sprachbarriere und die Flüchtlingshelfer sind nicht so aktiv und das führt dazu, dass man nicht mehr weiß, wie man Sachen erledigen muss und wie man an Hilfen kommt. Und die Leute werden dann aggressiv und lassen ihre Wut nicht nur an der Security sondern auch an uns aus. Und das stresst auch uns mehr, weil wir ja auch vom Arbeitgeber allein gelassen werden, alleine damit umzugehen.

Man merkt richtig, dass das Coronavirus jetzt genutzt wurde, um alles durchzusetzen, was man vorher nicht konnte. Sie wollen in dieser vorteilhaften Zeit für sie soviel wie möglich durchsetzen, was schlecht für uns ist. Und zwar auch so, dass Corona Bestand hat und keine Besserung eintreten wird. Ein Kollege z.B. hat sich gegen Homeoffice widersetzt und der wurde dann von der Chefetage bei allen Mitarbeitern schlecht geredet. Und der Kollege ist schwerstbehindert und sieht die Zusammenlegung von Arbeit und Zuhause als großes Problem für seine Gesundheit. Und der Öffentliche Dienst präsentiert sich doch immer so heuchlerisch als toller Arbeitgeber, der jetzt aber versucht, alle Rechte der Arbeitnehmer auszuhebeln, die Arbeitskraft noch mehr auszuschöpfen und zu verkaufen.