Wir veröffentlichen an dieser Stelle einen Leserbrief, den wir unlängst erhalten haben:
Liebe Redaktion von Dem Volke Dienen,
an erster Stelle wollen wir uns bedanken, für die tolle informative und klare Arbeit die ihr seit so vielen Jahren leistet. Dann wollen wir uns vorstellen. Wir sind einige Kolleginnen und Kollegen aus dem sogenannten Dienstleistungsproletariat. Wir sind natürlich gewerkschaftlich organisiert. Dabei fällt unsere Wahl, die wir in Frage der gewerkschaftlichen Organisation nicht haben, auf die ver.di. Ab und zu treffen wir uns und diskutieren Fragen der betrieblichen und auch gewerkschaftlicher Arbeit. Dabei sprechen wir gelegentlich auch darüber was in der publik so veröffentlicht wird. Da wir weder innerhalb der ver.di, noch sonstwo, wirklich Gehör finden, haben wir uns entschieden diesen Leserbrief zu schreiben, in der Hoffnung, dass ihr ihn veröffentlicht. Vorausgesetzt natürlich ihr stimmt mit seinem Inhalt im allgemeinen überein.
In Ausgabe 3/2024 der publik prangt auf der Titelseite der Slogan „Deine Stimme für Europa“ und darunter erstrecken sich einige Zeilen eines Aufrufs, den Frank Wernecke, Vorsitzender der ver.di, verfasst hat. Wir haben uns überlegt, ob wir vielleicht einige Worte über Frank Wernecke verlieren sollten, aber sind dann zu dem Schluss gekommen, dass wir uns lieber auf den Inhalt des Aufrufs zur Europa-Wahl konzentrieren. Frank Wernecke dürfte den meisten ver.di-Mitgliedern bekannt und ebenso unbeliebt sein, ist er doch derjenige, der regelmäßig als Kopf der Verhandlungsdelegationen mit den Bossen bzw. Arbeitskäufern (wir denken der Begriff Arbeitgeber ist in Anbetracht des Umstands, dass wir diejenigen sind die ihre Arbeit geben, d.h. verkaufen, müssen, völlig unangebracht) federführend den Verrat an unseren Forderungen – egal ob bei der Post, im öffentlichen Dienst oder beim ÖPNV – auch persönlich zu verantworten hat.
Aber nun wirklich zum eigentlichen Thema, den EU-Wahlen. Gleich der zweite Satz behauptet: „Die EU braucht uns!“ und tatsächlich ist das nicht völlig falsch. Die EU braucht uns – aber was bedeutet das? Als unlängst die Kollegen von der Bahn gestreikt haben – beachtenswerterweise nicht in einem sogenannten „Vollstreik“, sondern immer noch im „Warnstreik“, da hieß es plötzlich, dies wäre ja total unangebracht, weil die Kollegen mit ihrem Streik tatsächlich etwas bewirkten – einen ökonomischen Schaden bei der Deutschen Bahn AG. Mit einigen Erfolgen, die sich die GdL ans Revers heften konnte, wurde dann auch dieser Streik auf halber Strecke abgewürgt. Trotzdem wurden von vielen Seite Stimmen laut, die sich für eine weitere Einschränkung des Streikrechts (welches es so in Deutschland eigentlich gar nicht gibt) aussprachen. Braucht die EU uns also als eine Gewerkschaft (ver.di behauptet ja immer wir alle seien ver.di), welche die Interessen der Arbeiter tatsächlich vertritt und gegen die Interessen der Bosse durchsetzt? Braucht die EU etwa Erzieher, die gegen die untragbare Situation in den deutschen Kitas Sturm läuft und zumindest akzeptable Arbeitsbedingungen und eine gute Kinderbetreuung erkämpft? Wir denken die Bilder der Landwirte, die neulich versuchten ihre Interessen gegen Brüssel durchzusetzen, sind vielen noch in Erinnerung. In Deutschland wurden diese gleich erstmal Nazis genannt und anschließend von der Polizei verprügelt und ihre Trecker kaputt gemacht. In Brüssel wurden sie mit Tränengas und Wasserwerfern angegriffen. Wer tatsächlich glaubt, dass die EU Arbeiter und Werktätige braucht, die für ihre Rechte und ihre Bedürfnisse kämpfen, der glaubt wahrscheinlich auch an den Weihnachtsmann.
Aber wer ist dieses „uns“ dann, welches die EU braucht? Dafür müssen wir uns zuerst Fragen, was ist die EU. Gerade wurde ein Text bei euch publiziert, in dem es heißt die EU sei „ein Bündnis europäischer Länder unter der Hegemonie Deutschlands“, „ein Bündnis der Imperialisten“. Es gibt also ganz verschiedene Interessen, die innerhalb der EU zusammenkommen. Frank Wernecke und ver.di vertreten entsprechend deutsche Interessen, wenn es zu Belangen der EU kommt. So wird aus dem rhetorischen „Die EU braucht uns!“ übersetzt bzw. vom Schleier bürgerlicher Propaganda befreit: Das deutsche Finanzkapital braucht treue und willfährige Arbeiter! Es braucht Arbeiter, die nicht nur ihre Schnauze halten, die nicht nur nicht ernsthaft streiken, es braucht Arbeiter, die mit dem deutschen Imperialismus die Reihen schließen gegen die Arbeiter aus anderen europäischen Ländern, und insbesondere gegen die Arbeiter aus der dritten Welt. Das ist wozu uns Frank Wernecke auffordert, und das ist was die DGB-Gewerkschaften in der sogenannten „konzertierten Aktion“ gemeinsam mit den Bossen und unter der Führung des Regierung in der Tat auch umsetzen.
Gleich danach erfolgt dann der Appell zur „Verteidigung unserer Demokratie und unserer Freiheit“. Was Frank Wernecke und ver.di meinen ist die Notwendigkeit zur Verteidigung der bestehenden herrschenden Ordnung. Er bläst damit ins gleiche Horn, wie es unlängst Bundespräsident Steinmeier bei seiner Rede zum Jahrestag des Grundgesetz tat. Weiter im Text spricht Wernecke von den Millionen, die auf den „großen Demonstrationen ein starkes und ermutigendes Zeichen gegen Rechts“ gesetzt haben. Natürlich finden wir es gut, dass ein großer Teil der Menschen im Land den Faschismus ablehnen und ihm etwas entgegen setzen wollen, aber wir müssen uns auch darüber bewusst sein, dass diese Demonstrationen in der Hauptsache pro-Regierungs-Demonstrationen waren. Sie sind wie so vieles, was zur Zeit in der medialen Öffentlichkeit stattfindet Teil einer Kampagne vor allem der SPD die CDU davon abzuhalten mit der AfD zu koalieren, in dem diese unmöglich gemacht wird und die SPD-Politiker weiterhin auf ihren gemütlichen Posten sitzen können. Das ist deren Antrieb, auch von ver.di. In Fragen von Demokratie und Freiheit reicht es unserer Meinung nach aus sich vor Augen zu führen, was schon vor vielen Jahren im Kampf unserer Klasse etabliert wurde: Bei der Demokratie geht es darum alle paar Jahre zu wählen, wer uns die nächsten Jahre ver- und zertreten darf und unsere Freiheit als Arbeiter besteht vor allem darin frei zu sein vom Besitz an Produktionsmitteln und frei zu sein in der Wahl unserer Ausbeuter. „Demokratie und Freiheit“ sind nicht für die Arbeiter, sind nicht unsere Ideale, es sind die Ideale derjenigen, die uns beherrschen, die uns ausbeuten und unterdrücken, weil sie uns genau dadurch beherrschen. Das will Frank Wernecke verteidigen.
Frank Wernecke bleibt aber nicht dabei stehen. Es soll nicht nur der status quo aufrecht erhalten werden. Er will, wie der deutsche Imperialismus, mehr. Dies verbirgt sich etwas mehr als die zuvor genannten Offensichtlichkeiten. Wernecke schreibt von „einer Zeit, in der die USA als Weltmacht einer unsicheren Zukunft entgegen geht. Europa muss sich mit eigener Stärke und Einigkeit in einer komplexen Welt behaupten.“ Es ist schon ein paar Jahre her und vielleicht mag es dem ein oder der anderen angesichts der seit Jahren andauernden schweren Krise hier im Land entfallen sein, aber ihr habt einmal einen langen Text veröffentlicht über das Streben des deutschen Imperialismus den Sprung zur Supermacht zu machen. Dieser Text war damals für ein paar von uns sehr wichtig und hat uns die Augen geöffnet, wohin der Weg nach dem Willen der Herrschenden in Deutschland gehen soll und welche Mittle sie dafür in Gang setzen. Nur weil es grade nicht so richtig gut läuft, haben die Herren von Deutschland ihren Wunsch nicht aufgegeben Herren der Welt zu werden.
Wenn wir diese drei Aspekte nun zusammenfassen, dann kommen wir zu dem Schluß, dass ver.di und Frank Wernecke uns, das heißt die Arbeiter, die in der ver.di organisiert sind, hier tatsächlich aufruft treue Untertanen zu sein, mit unserem Feind die Reihen zu schließen, für dessen großes Ziel den Sprung machen zu können eine imperialistische Supermacht zu werden.
Wir sind dagegen und wir sind angewidert davon. Eine Gewerkschaft sollte solche Niedrigkeiten nicht machen. Vielmehr sollte sie klar machen, dass wir Arbeiter rein gar nichts Gutes von der EU zu erwarten haben, genauso wie von den Bundes- und Landesregierungen oder den kommunalen Verwaltungen. Wahlen dienen uns nicht. Haben sie nie und werden es auch in Zukunft nicht. Eine Gewerkschaft sollte uns zum Kampf ermutigen und uns nicht dazu animieren unsere Stimme abzugeben. Wir wollen keine Sklaven sein und weil wir gezwungen sind es doch zu sein, müssen wir kämpfen – die Bundesrepublik ist keine Schicksalgemeinschaft, ebenso wenig ist es die EU, sondern es ist die Organisationsform der Klassenherrschaft über uns und unser Kampf, auch und insbesondere der ökonomische Kampf, welcher durch die Gewerkschaften geführt wird, muss der Überwindung dieser Zustände dienen, ansonsten marschieren wir orientierungslos von Niederlage zu Niederlage.
Wir verbleiben mit solidarischen Grüßen,
einige „rote Kollegen“ in der ver.di